Aerndtelied
Es ist ein Schnitter, heißt der Tod,
Hat Gewalt vom großen Gott.
Heut wetzt er das Messer,
Es schneidt schon viel besser,
wir müssens nur leiden.
Hüt dich, schönes Blümelein!
Was heut noch grün und frisch da steht,
Wird morgen schon hinweggemäht:
Die englische Schlüssel,
Der schön Hyazint,
Die türkische Bind.
Hüt dich, schönes Blümelein!
Was noch unter die Sichel fällt:
Rot Rosen, weiß Lilien,
Beid wird er austilgen;
Ihr Kaiserkronen,
Hüt dich, schönes Blümelein!
Das himmelfarbe Ehrenpreis,
Die Tulipanen gelb und weiß,
Die silberne Glöckchen,
Senkt alles zur Erden,
Was wird nur draus werden?
Hüt dich schönes Blümelein!
Ihr stolze Schwertlilien,
Ihr krause Basilien,
Ihr zarte Violen,
Man wird euch bald holen.
Aus Seiden ist der Fingerhut,
Aus Sammet ist das Wolgemut,
Noch ist er so blind,
Nimmt, was er nur findt,
Mag ihn vermeiden.
Hüt dich, schönes Blümelein!
Trotz! Tod, komm her, ich fürcht dich nicht,
Trotz! eil daher in einem Schnitt!
So werd ich versetzet
In den himmlischen Garten,
Auf den alle wir warten.
Freu dich, du schönes Blümelein!
Katholisches Kirchenlied.
Anmerkungen (Wikisource)
Es handelt sich um ein endloses Lied, dessen Muster beliebig viele Fortsetzungen innerhalb der Klammer der ersten und der letzten Strophe erlaubt. Insbesondere Brentano griff zuweilen in die überkommenen Texte ein, konnte, ohne daß Goethe es merkte, Volkslieder echter ergänzen oder auffüllen, als sie gewesen waren. (Curt Hohoff, in: Clemens Brentano. Ausgewählte Werke. München o. J., S. 619; diese Ausgabe enthält übrigens eine weitere Variante des Liedes unter dem Titel: Der Tod.)
Im Anhang der o.g. Ausgabe von Birlinger/Crecelius findet sich unter Litteratur. Nachlese (S. 505–575) zu dem Lied folgende Anmerkung (S. 517–520), die eine weitere Variante des Liedes als „Quelle“ anführt: