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Artikel „Wirsberg, Janko von“ von Herman Haupt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 518–520, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wirsberg,_Janko_von&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 08:11 Uhr UTC)
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Wirsberg: Janko (Johannes) und Livin (Levin) von W., ketzerische Apokalyptiker. Von den einem angesehenen fränkischen Rittergeschlechte entsprossenen Brüdern begegnet Livin bereits 1427 als böhmischer Lehensträger, 1430 als Dienstmann des Markgrafen Friedrich I. von Brandenburg in dessen fränkischen Stammlanden; in den folgenden Jahrzehnten finden wir ihn im Egerlande begütert und als Herrn von Höflas (bei Kemnath, Oberpfalz). Um das Jahr 1466 trat Livin’s Bruder, Janko, gleich Livin Laie und ohne tiefere wissenschaftliche Bildung, als Verbreiter apokalyptischer Lehren und Prophezeiungen hervor, als deren Urheber ein dem Kloster entflohener Mönch bezeichnet wird, und die in Livin einen begeisterten Anhänger fanden. Ueber den Inhalt jener Lehren, wegen deren sich Janko angeblich bereits seit zehn Jahren mit verschiedenen gelehrten Collegien in Verbindung gesetzt hatte, sind wir nur durch die von Janko’s und Livin’s erklärten Gegnern vorgebrachten Anklagen unterrichtet, die uns eine sichere Entscheidung über die kirchliche Stellung der beiden Brüder nicht ermöglichen. Feststehend scheint, daß sie unter dem Banne joachimitischer Vorstellungen von dem unmittelbar bevorstehenden Erscheinen eines Messias standen, der das dritte und letzte Testament verkündigen, seine Anhänger zu einem vollkommenen, spiritualen Verständniß der heiligen Schrift führen und an die Stelle der mit dem Antichrist identificirten, durch und durch verderbten, Papstkirche das in der Apokalypse verkündigte Gottesreich treten lassen würde. Jenem Messias, dem „unctus salvatoris“, sollte ein Vorläufer in der Person eines „Johannes de Oriente“ vorangehen, für welchen angeblich Janko v. W. selbst gelten wollte. Nachdem die göttlichen Strafgerichte vollzogen und ein furchtbares Blutbad unter den weltlichen und geistlichen Häuptern der Christenheit angerichtet worden – von der vorausgesagten Verfolgung des Clerus würden nur die vier Bettelorden ausgenommen bleiben – sollte im J. 1467 das neue Evangelium aller Welt verkündigt werden. – Für ihre Lehren machten die Schwärmer in der Umgebung von Eger und in der Stadt selbst energisch und, wie es heißt, mit Erfolg Propaganda, so daß Livin erklärte, sein Anhang, zu dem angeblich Prälaten und weltliche Große zählten, könne der Macht jedes Fürsten die Spitze bieten. Als Provocation erscheint es, wenn Janko seine „Bücher“ im Frühjahr 1466 dem Provincial des Minoritenordens zu Freiberg zur Prüfung sendet, der in ihnen nicht weniger als 72 ketzerische Artikel fand [519] und Janko und seiner „Gesellschaft“, falls sie bei ihren Irrlehren beharrten, den Feuertod in Aussicht stellte. Nachdem der päpstliche Legat, Bischof Rudolf von Lavant, am 11. Juni 1466 den Regensburger Bischof, Heinrich IV. von Absperg, auf das Umsichgreifen der Wirsberger Secte, namentlich unter den Angehörigen der Bettelorden, aufmerksam gemacht hatte, ließ dieser am 20. Juni zu Regensburg die Oberen der dortigen Mendicantenklöster über ihre Stellung zu den Wirsberger Irrlehren vernehmen; die Regensburger Bettelmönche sowol, als die von Regensburg aus denuncirten Egerer Minoriten wiesen den Verdacht einer Begünstigung jener Irrlehren mit Entschiedenheit zurück. Janko und Livin v. W., durch die für sie bedrohliche Wendung der Angelegenheit nicht eingeschüchtert, erhoben in Briefen, die sie an die Stadt Eger, König Georg von Böhmen und Bischof Heinrich von Regensburg richteten, wie in einem offenen Sendschreiben an die ganze Christenheit gegen die wider sie erhobenen Anklagen Einspruch und erboten sich, vor einem Gerichte, in dem neben Geistlichen und Gelehrten auch Fürsten und Reichsstädte vertreten seien, für ihre Lehren einzustehen. Auch die Stadt Eger, die mit den Wirsbergern freundliche Beziehungen unterhalten, und an die sich die Brüder wiederholt mit vertraulichen Mittheilungen in ihrer Angelegenheit gewandt hatten, gerieth in den Verdacht der Förderung der Wirsberger Sectirer, sodaß sie sich veranlaßt sah, in Ausschreiben, die sie an alle Reichsstände, ja sogar an den Papst aussandte, gegen solche Nachreden Verwahrung einzulegen. Um sich gegen die Fortdauer dieser Gerüchte zu sichern, wies ferner die Stadt die Wirsberger an, Eger künftig zu meiden; auch König Georg Podiebrad, der wenige Monate vorher die Egerer angehalten hatte, Livin gegen gewaltthätige Angriffe in Schutz zu nehmen, ließ sich von der geängstigten Stadt dazu bestimmen, im December 1466 Livin v. W. den Aufenthalt in Eger zu untersagen. Nachdem noch am 5. December 1466 die beiden Wirsberger zur Verantwortung vor das bischöfliche Gericht zu Regensburg vorgeladen worden waren, verschwindet der Name Janko’s, des eigentlichen Urhebers der ketzerischen Bewegung, aus den uns erhaltenen Acten; ob er zu Anfang des Jahres 1467 gestorben oder flüchtig gegangen ist, muß dahingestellt bleiben. Livin, der der bischöflichen Vorladung trotzte, wurde auf Veranlassung des Pfalzgrafen Otto[WS 1] im Frühling 1467 festgenommen und im Mai dieses Jahres in Regensburg in Untersuchung gezogen. Vor die Wahl zwischen dem Feuertod und dem Widerruf seiner Lehren gestellt, hat der jedenfalls schon hochbetagte Schwärmer den Muth, für seine religiöse Ueberzeugung einzutreten, nicht gefunden; im Dome zu Regensburg leistete er feierlichen Widerruf, worauf er vom Inquisitionsgericht zu lebenslänglichem Gefängniß verurtheilt wurde. In der Haft auf dem bischöflichen Schlosse Hohenburg in der Oberpfalz schlug aber Livin das Gewissen; er wandte sich mit einer schriftlichen Vorstellung an den Bischof, in der er von neuem zu seinen früheren Ketzereien sich bekannte. Einem weiteren Einschreiten gegen Livin v. W. setzte sein zu Ende 1468 im Gefängniß erfolgter Tod ein Ziel. Seiner Wittwe und Kinder nahm sich Livin’s Bruder, der Deutschordensritter Vincenz v. W., an, der bei seinen diesbezüglichen Verhandlungen mit den Egerern jeden Antheil an Livin’s Ketzereien mit Entschiedenheit von sich wies. Ein anderes Glied der Wirsberger Familie, der brandenburgische Lehensträger Sebastian v. W., dagegen nahm Livin’s Proceß zum Anlaß, um gegen den Bischof und die Stadt Regensburg eine Fehde zu eröffnen, die bis in den Sommer des Jahres 1469 fortdauerte. Die durch die beiden Wirsberger erregte religiöse Bewegung, die wol überhaupt nicht sehr tiefgehend gewesen ist, hat mit dem Tode Livin’s ihr Ende gefunden.

Gemeiner, Regensburgische Chronik III, 393 f., 413 f., 451 ff. – Oefele, Rerum Boicar. scriptores I, 223, 538. – Archiv f. oesterr. Gesch. 39, 254, [520] 280 ff. – Quellen z. bayer. u. deutschen Geschichte II, III. – H. Gradl, Die Irrlehren der Wirsperger, in den Mittheilungen d. Vereins f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen XIX, 270–279. – H. Haupt, Zur Geschichte des Joachimismus, in der Zeitschrift f. Kirchengeschichte VII (1885), 423 ff. – Janner, Geschichte d. Bischöfe v. Regensburg III, 564–571. – Analecta Franciscana (1887) Tom. II, 422–426. – Fontes rerum Austriacar., Abth. II, Bd. 42, 394, 470. – Schelhorn, Acta hist.–eccles. saec. XV, p. 67 (= Döllinger, Beiträge z. Sektengeschichte d. Mittelalters II, 625 f.).


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Otto II. (geb. 1435) aus der Linie Mosbach, Sohn von Otto I., war von 1462–1499 Pfalzgraf.