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Artikel „Winter, Franz“ von Gustav Hertel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 539–540, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Winter,_Franz&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 18:04 Uhr UTC)
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Winter *): August Franz W. wurde geboren am 2. November 1833 zu Stolzenhain bei Jüterbogk als der älteste Sohn des Erb- und Lehnrichters W. daselbst. Nach kurzer Vorbereitung durch den Ortspfarrer besuchte er von 1848–1853 das Gymnasium zu Wittenberg, studirte darauf in Halle Theologie und Philologie und bestand seine erste theologische Prüfung 1856. In demselben Jahre erwarb er die facultas docendi und trat als Probecandidat beim Pädagogium zum Kloster U. L. Fr. in Magdeburg ein, wo er dann bis 1862 wirkte. Am 2. Februar 1862 wurde er Diakonus in Schönebeck a. Elbe, im Sommer 1875 Pastor zu Altenweddingen, wo er am 22. December 1878 infolge eines Magenleidens starb.

W. war ein Mann von ganz ungewöhnlicher Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit. Man erzählt von ihm, daß er sich darum nicht verheirathet habe, weil ihm dann nicht genug Zeit zur Arbeit bliebe. Mit ganz besonderem Eifer hat er sich den historisch-archäologischen Studien zugewandt. Selbst als Geistlicher, als ihm in den kleinen Orten seiner Wirksamkeit keine Bibliotheken und Archive zu Gebote standen, hat er sie mit dem größten Eifer getrieben. Sein erstes größeres Werk: „Die Prämonstratenser des 12. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für das nordöstliche Deutschland“ erschien 1865 und fand ungetheilten Beifall. Das größere, 2 Bände umfassende Werk über die Cistercienser folgte 1871. In beiden hob W. die Bedeutung der beiden Orden für die Christianisirung, Germanisirung und Cultur des nordöstlichen Deutschlands hervor, und wenn auch in der Folgezeit seine Darstellung berichtigt und überholt ist, so haben seine Arbeiten doch nicht ihren Werth verloren, da sie so zahlreiche Hinweise und so mannichfaltige Gesichtspunkte enthalten, daß sie für die Forschung nicht entbehrt werden können. Ueber die Culturarbeit in den deutschen Grenzgebieten hat W. noch einige Arbeiten in den Magdeburger Geschichtsblättern veröffentlicht. Selbständige Bücher hat W. nämlich nicht mehr geschrieben, aber seine flinke Feder hat zahlreiche Aufsätze in den verschiedenen Fachzeitschriften geschaffen, die ein glänzendes Zeugniß von seiner großen Gelehrsamkeit und seiner glänzenden Darstellungsweise ablegen. Fast kein Gebiet der historischen Forschung ist unberücksichtigt geblieben, aber eine vollständige Uebersicht über seine Arbeiten zu geben, würde zu weit führen. Die Geschichte der kirchlichen Stiftungen, des Erzstifts und einzelner Erzbischöfe ist von ihm eifrig durchforscht worden. Eine ganz besondere Begabung hatte er für die Auffassung topographischer Verhältnisse, wofür seine zahlreichen größeren und kleineren Aufsätze Zeugniß geben. Wir nennen hier nur die Arbeiten über die Grenzbestimmungen der Stifter Magdeburg, Merseburg und Meißen, über die Wüstungen bei Magdeburg und seine Wanderungen im Magdeburger Lande. Daran schließen sich kunstgeschichtliche und antiquarische Forschungen. Besonderes Geschick hatte W., aus den Kirchenbüchern, Acten und Archiven der Städte reichen Stoff zu gewinnen. Auch die Rechtsgeschichte blieb von ihm nicht unberücksichtigt: eine in den [540] „Forschungen“ über den Sachsenspiegel erschienene Arbeit hat vielen Beifall gefunden. Aber nicht nur in den Archiven der Pfarren und Städte hat W. mit Eifer und Erfolg geforscht, sondern er hat auch in Italien, Frankreich, Oesterreich, Dänemark, Schweden und in ganz Deutschland die Bibliotheken und Archive nach unbekannten Urkunden und Quellen durchsucht und dort reichen Stoff gesammelt. Die Chroniken von Gottesgnaden und Ammensleben, der Codex Viennensis, einige Formelbücher des Mittelalters sind von ihm zuerst herausgegeben worden, von den Urkunden zu geschweigen. Er hat die sorgfältigen Aufzeichnungen des Pastors Möser in Staßfurt über den dreißigjährigen Krieg vor dem Verderben gerettet und manche andere Quelle zugänglich gemacht. Endlich ist er der erste gewesen, der sich der Dialektforschung zugewendet hat. Und alle diese mannichfaltigen Gegenstände wußte W. geschmackvoll und so darzustellen, daß er zu weiterer Forschung aufforderte. Es ist, wie gesagt, unmöglich, alle seine Arbeiten im einzelnen durchzugehen. Man muß die Magdeburgischen Geschichtsblätter, die Neuen Mittheilungen des Thüringisch-sächsischen Vereins, das Archiv für sächsische Geschichte, die Forschungen zur deutschen Geschichte durchsehen, um ein Bild von der glänzenden Begabung, der Vielseitigkeit und dem großen Geschick der Darstellung Winter’s gewinnen zu können.

Aber er hatte auch ein organisatorisches Talent. Er gehörte zu den Begründern des Magdeburgischen Geschichtsvereins, dessen bedeutendstes Mitglied er ohne Zweifel gewesen ist. Er hat es verstanden, selbst in den Zeiten böser Verwicklungen den Bestand des Vereins zu erhalten und neue Kräfte für die Arbeit in demselben heranzuziehen. Er ist es ferner gewesen, der die Gründung der historischen Commission der Provinz Sachsen 1876 bewirkt hat und in ihr hat er zu den hervorragendsten Mitgliedern gehört, obgleich er ihr nur wenige Jahre angehört hat. Daß er diese große wissenschaftliche Thätigkeit ausgeübt hat, ohne dabei die Pflichten seines geistlichen Amtes zu vernachlässigen, kann seinen Ruhm nur erhöhen. Seine Thätigkeit um die Erforschung vaterländischer, namentlich magdeburgischer Geschichte wird nicht vergessen werden.

Magdeb. Geschichtsblätter XIV, 488 ff.

[539] *) Zu Bd. LXIII, S. 465.