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Artikel „Wampen, Eberhard von“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 132–133, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wampen,_Eberhard_von&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 13:57 Uhr UTC)
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Wampen: Eberhard v. W., niederdeutscher Lehrdichter des 14. Jahrhunderts, stammte wahrscheinlich aus einem bei Greifswald oder auf Rügen gelegmen Oertchen des Namens W., nach dem seine wappenfähige Familie hieß. Liebe zur Wissenschaft, nicht äußere Gründe, veranlaßten ihn, im Auslande, namentlich wol in Italien, medicinische Studien zu treiben, in denen er es zur Würde eines Magisters der Arzneikunde brachte. Er übte seinen Beruf in Schweden aus, nicht unangefochten: als in den ersten Jahren des blutjungen König Magnus Erichsons dessen leichtfertige Mutter Ingeborg, die selbst deutsches Blut in den Adern hatte, die Ausländer begünstigte, da verschärfte sich der Gegensatz der Einheimischen und der Fremden; W. hatte auf der einen Seite unter Mißtrauen und Verleumdung zu leiden, auf der andern fand er warme Anerkennung, wie er uns das selbst andeutet. In Schweden nun schrieb er 1325 für den König sein mittelniederdeutsches Lehrgedicht ‚de spegel der naturen‘; dieses von ihm selbst angegebene Datum ist das einzige uns bekannte seines Lebens: er wird nirgend sonst erwähnt, auch in schwedischen Urkunden nicht. Jene Dichtung nun, die an 2000 Verse zu umfassen scheint (sicher ist das nicht, da mindestens ein Blatt in der Hs. ausgerissen ist), steht in dem allerlei interessante medicinische Litteratur bergenden Gothaer Foliocodex, Nr. 980, 15. Jahrhundert. Es ist nicht nur die Schuld der Ueberlieferung, wenn uns Wampen’s Werk formell äußerst roh erscheint. In die Reimpaare schieben sich hier Drei- und Vierreime, dort reimlose prosaartige Zeilen ein; die zu Grunde liegende Vierhebigkeit wird durch willkürliche Tactfüllung so und so oft fast gesprengt; die Reime sind von ungewöhnlicher Nachlässigkeit. Der Dichter täuscht sich darüber nicht: er beruft sich auf Frauenlob, den er sagen läßt: ‚beter ein rîm wen ein sin verloren‘, gewiß eine apokryphe Aeußerung. Außer ihm wird einmal Meister Cato und ein paar Mal Aristoteles citirt, dieser schwerlich aus directer Kenntniß. Die formale Nachlässigkeit des Dichters offenbart sich auch darin, daß die gereimte Inhaltsübersicht, die er voranschickt, gar nicht zu der wirklichen Vertheilung des Stoffs auf die vier Bücher paßt. Diese Vierzahl ist wohl beabsichtigt: schon im Titel treten ‚de conplexiones‘, die vier Temperamente auf, und zu ihnen werden die diätetischen und sonstigen hygienischen Wissenschaften, die das zur medicinischen Belehrung von Laien bestimmte Buch zusammenstellt, in möglichst enge Beziehung gesetzt. Das entsprach ganz den Theorien der Zeit, deren wissenschaftliche Höhe Wampen’s Gedicht durchaus abspiegelt. Zur Charakteristik der vier complexiones benutzt W. lateinische Verse, die aus dem berühmten Flos medicinae der Schola Salerni entnommen sind. Mit ihm berührt sich W. überhaupt in weiter Ausdehnung: zu ihm stimmen im wesentlichen seine Bemerkungen über die medicinische Bedeutung der Jahreszeiten, über Reinigung und Bewegung des Körpers, über Arzneimittel aller Art, über die Beziehungen des Thierkreises zu den menschlichen Gliedern, über die Symptome, die der Harn ergibt, Vieles in der von W. stark betonten Aderlaßlehre. Aber jener Flos medicinae war mindestens nicht Wampen’s einzige Quelle. Er widerspricht ihm gradezu in der uneingeschränkten sanitären Werthschätzung des Hammelfleisches; er gibt für das cholerische und das phlegmatische Temperament je 4 Unterarten, die in de Renzis Text des Flos fehlen, aber freilich in anderer salernitaner Litteratur, wie in den Concordantien des Joh. v. St. Amand, in des M. Maurus Regulae Urinarum auftreten; er treibt den Parallelismus zwischen den Temperamenten, die er gar in Thieren und Pflanzen wiederfindet, und allen möglichen andern Verhältnissen dieser Welt ungleich weiter als das Regimen salernitanum, vergleicht ihnen z. B. Mondviertel, Tagesstunden, Hauptwinde, Climata und Zonen, vor allem [133] auch die von den Salernitanern noch nicht herangezogenen, von W. sehr umständlich wiederholt erörterten Planeten. Man hat für diese Ergänzungen etwa an mündliche Tradition gedacht. Aber gerade bei solchen, dem Flos medicinae fehlenden Stellen beruft er sich auf die ‚schrift‘. Der Titel seiner Dichtung scheint auf des Vincentius Speculum naturale hinzudeuten: indessen hilft das nicht viel; das meiste, was in Betracht kommt, findet sich auch da nicht oder in einer Form, die den Zusammenhang sehr unwahrscheinlich macht: so wenn W. als Lehre des Aristoteles die Eintheilung der Seele in eine anima vegetiva, sensitiva und intellectiva angibt, während bei Vincenz an dritter Stelle eine anima rationalis erscheint. Entweder also ist die wahre Quelle Wampen’s noch nicht gefunden, oder er hat außer dem zu Grunde liegenden Salernitaner Lehrbuch noch ein zweites benutzt, das etwa aus den Kreisen der späteren medicinischen Aristoteliker stammte. Eine solche Combination aus zwei Quellen ist mir um so wahrscheinlicher, als außer den aus dem Flos medicinae entnommenen lateinischen Verspaaren noch zwei weitere, rohere lat. Reimpaare von ganz anderer Form citirt werden, die unmöglich mit den salernitanischen Leoninen zu einem lat. Gedicht vereinigt sein konnten. Aus Eigenem wird W. wenig hinzugefügt haben. Wenn er die Planetennamen verdeutscht (z. B. Jupiter = Donner), bei der Beschreibung der Climata hervorhebt, wo ‚Doringk‘ und ‚Westval‘ wohnen, u. a., so gehört das natürlich dem deutschen Dichter selbst. Aber auch die Klagen über die weiblichen Pfuscherinnen, die Schelte über die ‚unloveghen kater‘, die durch Zusammengießen von zweierlei Harn dem Arzte die Urinoscopie unmöglich machen, manche Details in den typischen Porträts, die er von den vier Temperamenten entwirft, wird er aus eigner Beobachtung dem überkommenen Stoffe eingefügt haben. Daß er dieses Stoffes poetisch Herr geworden wäre, davon kann keine Rede sein. Seine Sprache, in die sich lateinische Worte störend einmischen, enthält manchen bemerkenswerthen Ausdruck (auch Suedismen ? bliven = ‚werden‘?); im ganzen aber ist er recht wortarm und hat sich selbst sehr oft durch ganze Versreihen wörtlich ausgeschrieben, namentlich im 1. und 2. Buch. Ihm lag es sicherlich fern, auf einen andern Vorzug der Rede Werth zu legen als auf die Klarheit. Das einzige poetische Mittel, das er anwendet, sind schlichte Vergleiche: der rechte Arzt ist ihm ein Steuermann; der Sanguiniker ragt hervor wie der Falke unter den Vögeln und ist ein Saal der Minne; der Choleriker schreit wie ein Jäger und ficht wie ein Eber; der Melancholiker erinnert ihn an Mönch und Dieb. Neben diesen, einer behaglichen Ausmalung der Complexiones dienenden Bildchen treten etwa noch ein paar sehr bescheidene Keime zu Naturbildern bei Gelegenheit der Jahreszeiten hervor. Die humoristischen Ansätze Wampen’s, auf die er doch Werth legt (‚ik geve umme ein bok nicht ein stro, sin ende were gemelich vnde vro‘), sind ganz dürftig und mißglückt. Trotzdem wurde das übersichtliche Buch seines praktischen Inhalts wegen gelesen und benutzt: die Ebstorfer Liederhandschrift enthält mindestens 3 Citate aus Eberhard v. W. (Nd. Jahrb. XV, S. 16, Str. 1–3), freilich nach einer andern, etwas abweichenden Handschrift.

Vgl. Seelmann, Jahrbuch des Vereins für niederd. Sprachforschung, Bd. 10, S. 114–131, Bd. 11, S. 118–125; hier sind Einleitung, Buch 1 und 4 vollständig, aus Buch 2 und 2 Proben abgedruckt. – Prof. Husemann unterstützte mich durch nachbarlichen Rath.