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Artikel „Wachsmuth, Adolf“ von Ludwig Stieda in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 421–423, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wachsmuth,_Adolf&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 02:33 Uhr UTC)
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Wachsmuth: Adolf W., hervorragender Arzt und Kliniker, wurde am 10. Mai 1827 in Neuhaus an der Elbe in Hannover geboren. Er wurde zuerst von seinem Vater, der als Lehrer an der Volksschule thätig war, unterrichtet und kam dann 1841 in das Gymnasium in Lüneburg. Im J. 1846 bezog er die Universität Göttingen und widmete sich dem Studium der Medicin. Er fand es möglich neben seinen eifrigen und fleißigen Arbeiten sich am studentischen Leben zu betheiligen: er gehörte als eifriges Mitglied einer progressistischen Verbindung Allemannia an. Leider zeigte sich bereits während der Studienzeit der erste Anfang jener Erkrankung, die ihm einen frühen Tod bringen sollte: er hatte wiederholt kleine Lungenblutungen (Haemoptoe); nur große Vorsicht und Regelmäßigkeit der Lebensweise ließ ihn wieder genesen. Am 15. August 1849 wurde W. in Göttingen [422] zum Doctor der Medicin promovirt und begab sich nun nach Berlin, um daselbst seine medicinischen Studien fortzusetzen. Im Herbst 1850 nach Göttingen zurückgekehrt, wurde er Assistent an der medicinischen Klinik, die damals unter Professor Fuchs’ Leitung stand. Im Sommer 1852 habilitirte er sich für innere Medicin – er hatte unterdeß in Hannover das Staatsexamen glücklich bestanden und war erster Assistent an der medicinischen Poliklinik geworden. Im December 1855 starb Professor Fuchs und nun wurde W. zum Leiter der medicinischen Klinik ernannt. Er verwaltete dieses Amt zu voller Zufriedenheit der Facultät bis zum Beginn des Winters 1856, um dann die Klinik dem neu ernannten Professor Hasse zu übergeben. – Nun wandte sich W., der wiederum in das Amt des ersten Assistenten der medicinischen Poliklinik eingerückt war, psychiatrischen Studien zu. Damals bestand in Göttingen noch keine psychiatrische Klinik – W. hoffte, daß eine solche Klinik gegründet werden würde; die Regierung unterstützte seine Bestrebungen, gewährte ihm eine Reiseunterstützung, damit er aus eigener Anschauung Irrenanstalten kennen lerne. Von nun an zog W. auch die Psychiatrie in den Kreis seiner Vorlesungen. Allein es kam Alles anders, als es geplant war: Das in W. schlummernde Lungenleiden erwachte aufs neue – er wurde aufs Krankenlager geworfen; seine Freunde waren sehr besorgt um ihn. Aber er erholte sich noch ein Mal und begann aufs neue seine unterbrochene Lehrthätigkeit, freilich zunächst ohne Aussicht auf eine selbständige Stellung: Die Regierung hatte die Absicht, eine Irrenklinik einzurichten, bald wieder aufgegeben. – Da kam – völlig unerwartet – ein Ruf nach Dorpat. Der bisherige Leiter der Dorpater medicinischen Klinik P. Uhle hatte Dorpat verlassen und war nach Jena übergesiedelt, um die dortige Klinik zu übernehmen. – W., erfreut eine feste Stellung zu finden, nahm ohne langes Zögern den Ruf an, verheirathete sich mit Bertha Murray, einer Urenkelin des berühmten Pharmakologen, und zog fröhlichen Muthes im J. 1860 nach Dorpat, um sich hier seinen eigenen Heerd zu gründen. Leider war es ihm nicht vergönnt, sich lange Zeit seines Lebens zu freuen. Seine Wirksamkeit in Dorpat war entschieden eine sehr angenehme; wohl angesehen als Professor bei seinen Collegen und Studirenden, beliebt als Arzt bei Reich und Arm, geachtet und verehrt von vielen Freunden, die er durch seine Liebenswürdigkeit und Wohlwollen schnell erworben, konnte er sich auch in seiner eigenen Häuslichkeit glücklich preisen. Allein das nordische rauhe Klima wirkte nicht günstig auf Wachsmuth’s Gesundheitszustand ein: Im Frühjahr 1864 unternahm er mit seiner kleinen Familie eine Reise nach Deutschland, um seinen geliebten und verehrten Vater zu besuchen und sich selbst zu erholen. Er fand den Vater nicht mehr lebend – und nicht so freudig als er fortgereist war, kehrte er nach Dorpat zurück. Er wäre lieber in Deutschland geblieben, doch mußte er im sonnenlosen dunkeln Norden aushalten und die Sehnsucht nach dem wärmeren Süden unterdrücken. – Im Herbst stellte sich wieder das alte Leiden ein – es kam zu leichten Lungenblutungen – um die Weihnachtszeit erkrankte er schwer, konnte aber im Beginn des Jahres 1865 seine klinischen Vorlesungen halten. Da traten zu der lange bestehenden Lungentuberculose Mitte März ziemlich plötzlich die Erscheinungen einer schweren Gehirnhautentzündung auf – nach langem schwerem Leiden entschlummerte W. sanft am 13. April 1865. „So endete ein Leben, das mehr Leid als Freud, mehr Arbeit und Mühe als Lohn und Ruhm aufzuweisen hat, – ein Menschenleben, wie so viele untergehen, da die Sonne einer besseren Zukunft ihm anfing zu leuchten“. (Ziemssen.) W. hat – trotz seiner vielfach praktischen Thätigkeit als Arzt und als Lehrer – außerordentlich fleißig auf litterarischem Gebiet gearbeitet. Er hat eine große Reihe streng wissenschaftlicher Abhandlungen in verschiedenen medicinischen Zeitschriften veröffentlicht: Ueber progressive Muskelatrophie [423] und über die Function der Vorkammern (in Henle und Pfeufer’s Zeitschrift): über Temperaturbeobachtungen bei Geisteskrankheiten, zur allgemeinen Pathologie der Geisteskrankheiten; zur allgemeinen Pathologie der Manie; zur Lehre vom Fieber u. s. w. – An Monographien seien hier genannt: „Allgemeine Pathologie der Seele“ (Frankfurt a/M. 1859), ein Werk, wodurch W. sich in psychiatrischen Kreisen einen guten Namen erwarb; ferner „Ueber progressive Bulbär-Paralyse und die Diplegia facialis“ (Dorpat 1864).

W. war ein ausgezeichneter Lehrer; er verstand es, wie kaum ein anderer, nicht nur seine Zuhörer zu fesseln, sondern auch zu belehren. Er hatte einen sehr angenehmen, außerordentlich klaren Vortrag. W. war aber auch ein vortrefflicher Arzt; ruhig und mild am Krankenbett, liebenswürdig und freundlich gegen die Kranken, gewann er schnell das Vertrauen Aller. Ueberaus sicher und scharf in der Diagnose – geübt in allen Hülfswissenschaften der Medicin; besonnen und vorsichtig in der Untersuchung, vereinigte er in sich alles, was zu einem hervorragenden Kliniker gehört.

Deutsches Archiv für klinische Medicin. I. Band. Leipzig 1860, S. 136 bis 136. – Ziemssen, Nekrolog auf Wachsmuth. (Daselbst ein Verzeichniß aller litter. Arbeiten Wachsmuth’s.)