ADB:Vorste, Günther von dem
Lichtenstein’s, den seine Metrik zeigt, und Winterstetten’s, an den Reminiscenzen erinnern, auch noch von Walther’s von der Vogelweide einfacherer Art abhängig scheint. Seine Liebeslieder sind einfach, anspruchslos, in der Strophenform an volksthümliche Weise angelehnt; eine geringe Zahl einfach gereimter Verse in eine verdoppelte Schlußzeile auslaufen zu lassen, ist allemal ihr Grundprincip. Sie ordnen sich zu einem kleinen Roman, der originell auf der Idee aufgebaut ist, die Geliebte als „Helferin“ darzustellen. Das erste Lied meint, sie würde ihm seinen Kummer durch Wehklagen erleichtern; aber, sagt das zweite, er getraue sich nicht, ihn ihr zu beichten. Das dritte jubelt, sie lindere seine Sorge. Das vierte ergeht sich fast ganz in Lob- und Freudenrufen und bereitet zugleich durch seinen Refrain auf das Hauptstück vor. Dies ist die merkwürdigste seiner Schöpfungen: ein Tagelied von unerhörter Ausdehnung (23 Strophen), in seinem „fast bänkelsängerischen Anfang“, in der spielmannsmäßigen Anrede an die Hörer, in der bequemen Wortaufnahme, dem starren Refrain, der breitspurigen Sentimentalität (wie Roethe gezeigt hat) völlig von der Art des Volksliedes durchtränkt. Innerhalb [312] des Cyclus deutet es die Erhörung des Dichters an, die das Schlußgedicht zu Ehren der Geliebten wieder verschleiern soll: hier erzählt V. von einem Traum der erfüllten Liebe.
Vorste: Günther von dem V., Minnesinger. Der Dichter, von dem die Manessische und die Heidelberger Handschrift die gleichen sechs Lieder aus gemeinsamer Quelle bringen, gehörte wahrscheinlich dem bairischen Landadel an. Man mag ihn etwa auf 1240 ansetzen, da er neben dem EinflußV. hat Bedeutung als Typus. Die starke Richtung der nachlichtensteinischen Lyrik auf epische Haltung findet in seinem Tagelied ein interessantes Denkmal, ebenso die Neigung jener Romantiker Wahrheit und Dichtung durcheinander gehen zu lassen und die Absicht, die höfische Poesie aus der Volkspoesie heraus zu verjüngen. Sonst ist es ein verschwommenes rührseliges Product, in kraftlosen Wiederholungen vergeblich nach Fortschritt strebend, Ritter und Dame blaß und steif stilisirt, wie von Schnorr von Carolsfeld gezeichnet. Scherer’s zweifelnde Vermuthung, ob V. seiner einfachen Verskunst wegen nicht sehr früh anzusetzen sei, verbietet sich schon, weil er die ganze Entwickelung des Tageliedes im Minnesang voraussetzt, weil das Raffinement der Verkleidung, der Ton namentlich des vierten Liedes, gewisse metrische Eigenheiten und die wahrscheinlichen Reminiscenzen ihn einer bestimmten spätern Periode des Minnesangs zuweisen.
- Text: v. d. Hagens Minnesinger 2, 164 f. – Biographisches: ebd. 4, 477. – Schulte, Zs. f. d. A. 39, 237. – Zu den Gedichten: Scherer, Deutsche Studien 1, 15. – Roethe, Reinmar von Zweter Anm. 165; zum Tagelied insbesondere: de Gruyter, Das deutsche Tagelied, S. 19. – Roethe, Anz. f. d. A. 16, 78.