ADB:Vorrede (Band 45)
Vorrede.
Seitdem ich mit meinem Redactionsgenossen v. Wegele im J. 1875 die Vorrede zum 1. Bande der Allgemeinen Deutschen Biographie unterzeichnen konnte, sind bis zum Abschluß des Buchstaben Z, dem ich diese Worte mitgebe, 24 Jahre verflossen. Wir rechneten damals darauf, die Arbeit in 10–12 Jahren beendigt zu sehen: so ist nun fast ein Vierteljahrhundert darüber hingegangen und statt der damals in Aussicht genommenen 20 sind es 45 Bände geworden. Diese Zahl der Jahre und der Bände ergibt aber, daß die damals ausgesprochene Hoffnung, wir würden im Jahre durchschnittlich 2 Bände fertigstellen können, sich im allgemeinen erfüllt hat.
Wenn die Leser der A. D. B. die Vorrede von 1875 heute wieder in die Hand nehmen, so werden sie finden, daß wir dasjenige, was wir damals über die Natur unserer Aufgabe und über die Art und Weise ihrer Ausführung programmatisch aussprachen, festgehalten haben. Durch mancherlei Zweifel und Widerspruch haben wir uns nicht beirren, durch viel und oft recht große Schwierigkeiten nicht entmuthigen lassen und wir sind nach bestem Vermögen bestrebt gewesen, dem Werke die seinem Grundplan entsprechende Ausführung zu sichern. Dabei hat uns die hülfsbereite und opferwillige Antheilnahme der deutschen Gelehrtenwelt in einem Maaße unterstützt, wie selbst unsere getrosten, ja kühnen Hoffnungen es doch nicht in Rechnung stellen durften. Wenn dennoch das Werk in manchen Einzelheiten hinter dem Ziele zurückblieb, hier in zu dürftigen und ungenügenden Artikeln, dort in unangemessen breiten Erörterungen unwichtiger Dinge, oder auch in Ungleichheiten oder Lücken der Namenreihe, so wolle man überzeugt sein, daß die Redaction selbst sich solcher Schwächen der Arbeit wohl bewußt ist, daß sie aber im rastlosen Fortgang der Fertigstellung die Mittel zu ihrer Abstellung nicht zu finden vermochte. Möge dasjenige, was auf der anderen Seite in dem Werke durch seinen hohen wissenschaftlichen Werth wie durch den Reiz der Darstellung über das Maaß gewöhnlicher encyklopädischer Behandlung hinausragt und was sich daneben an ernster wissenschaftlicher Arbeit in unübersehbarer Fülle findet, jene Mängel einstweilen decken, [VI] bis einst die glücklichere Redaction einer zweiten Auflage in der Lage sein wird, sie auszumerzen. Als tadelnswerthe Abweichung von dem, was die Vorrede von 1875 in Aussicht stellte, wird man, wie wir glauben, die viel größere Ausdehnung, welche das Ganze gewonnen hat, nicht schelten wollen, weil der Vortheil, welcher dem Werke daraus erwachsen ist, deutlich genug in die Augen springt. Es dürfte aber Manchem von Interesse sein zu hören, wie sich nach dieser Seite hin der Plan allmählich erweitert hat.
Durch die in die Vorjahre des Unternehmens (1869–75) fallenden Untersuchungen war man zunächst zu der Einsicht gekommen, daß eine (von dem Unterzeichneten) versuchsweise zusammengestellte Namensliste für A und B, welche nach Procenten berechnet für das ganze Alphabet eine Summe von 80 000 Namen ergeben haben würde, auf die Hälfte reducirt werden müsse, um in einem auf 20 Bände berechneten Werke Platz zu finden. Etwa 50 Artikel erster Classe, so war die weitere Rechnung, 500 der zweiten, 5000 der dritten zusammen auf ca. 11 000 Druckseiten veranschlagt, würden den als kurze Notizen gedachten Artikeln der vierten Ordnung noch 5000 Druckseiten nachlassen, so daß ihrer also ungefähr sieben auf eine Seite kommen müßten (vgl. den Sitzungsbericht der Plenarsitzung der Historischen Commission vom 4. October 1870). Aber schon die ersten versuchsweisen Ausführungen überzeugten davon, daß man auch mit diesen 40 000 Artikeln noch sehr weit über dasjenige Maaß hinausgegriffen hatte, welches eine Lösung der Aufgabe in dem von der Historischen Commission gewünschten Sinne möglich erscheinen lasse, daß man sie vielmehr zum großen Theile zu einer ungenießbaren Notizensammlung herabdrücken werde. Das führte also zu dem weiteren Versuch und dem sich daran alsbald anknüpfenden Beschluß, den Kreis der aufzunehmenden Namen nochmals bis auf die Hälfte einzuschränken, wofür dann wiederum die verhältnißmäßige Bedeutung der Persönlichkeiten den Maaßstab zu bieten hatte. So entstand nun endlich die Namensliste für A und B, wie sie im wesentlichen im gedruckten Werke jetzt vorliegt, und dasselbe Verhältniß ist fortan für das ganze Werk nach Möglichkeit festgehalten worden. Nach Procenten gerechnet mußte jene Summe der Artikel in A und B für das ganze Alphabet die Zahl von 20 000 ergeben; mein vor dem Beginne der Ausarbeitung für den Druck zusammengestelltes Generalverzeichniß enthielt einstweilen an 18 000 dieser Namen; jetzt bis zum Ende des Z sind es thatsächlich 23 273 Namen geworden.
Wir standen aber damit doch noch nicht am Ende der Abweichungen von dem ursprünglichen Plane, die wir im Laufe der nächsten Entwicklung als innerlich berechtigt und darum als geboten anerkennen mußten. Schon der erste Band faßte nicht ganz die Anzahl der Artikel, die ihm die Rechnung bestimmt hatte: statt 1000 sind es nur 953 und während der nächsten Bände ergab sich eine ziemlich stetig fortschreitende Minderung, bis sich mit dem 7. Bande eine nach aufwärts wie abwärts schwankende mittlere Zahl von 500 Artikeln ergab; herbeigeführt ward diese Minderung, wie sich versteht, durch ein eben so stetiges Anwachsen des Umfangs der einzelnen Biographien. Stärker ins Auge fällt es [VII] natürlich bei den großen Artikeln, bei weitem schwerer ins Gewicht aber für den Umfang des Ganzen fällt es durch den Antheil, welchen die Artikel der vierten, kleinsten Gattung daran haben. Grade von hier aus stellte sich der Redaction bald die Ueberzeugung fest, daß es sich dabei um eine zum wesentlichen Vortheil der Sache gereichende Thatsache handle. Allein mit dem redactionellen Rothstift ließ sich der wachsende Umfang der kleinen Artikel überhaupt nicht beseitigen; wir hätten ihre Aufnahme ablehnen und den Mitarbeitern eine grundsätzlich und gründlich andere auf äußerliche Notizen und trockene Nachweisungen beschränkte Behandlung zur Pflicht machen müssen. Wir würden aber damit nicht nur die besseren Arbeiten, sondern noch dazu in vielen Fällen gerade solche Mitarbeiter eingebüßt haben, die nicht nur unselbständige Excerpte sondern eigene Arbeit gaben und damit eben in erster Linie zu dem eigenthümlichen wissenschaftlichen Werth der A. D. B. beitrugen. Es war durchaus nicht zu verkennen, daß gerade die große Masse dieser kleinen Artikel durch die Art der Behandlung, welche sich bald wie von innen heraus einem organischen Triebe folgend festsetzte, einen viel höheren Werth erlangte, als wir ihn uns früher davon versprechen durften. Angesichts dessen etwa nochmals eine Einschränkung der Artikelzahl vorzunehmen, das mußte uns nach dem nun einmal eingenommenen Standpunkt als unmöglich erscheinen. Mithin blieb nur das zweite übrig, dem Ansteigen der Bändezahl seinen Lauf zu lassen. Sie entspricht im letzten Erfolg der Proportion der angeführten Zahlen, wie man leicht ersieht, wenn man nachrechnet. Die Historische Commission gewährte der Redaction vertrauensvoll Freiheit und Mittel und der Verleger, der für sich von vorne herein das Unternehmen nur unter dem Gesichtspunkt buchhändlerischer Ehre, nicht geschäftlichen Gewinnes betrachtet hat, ließ in liberalster Weise die Zahl der Bände wachsen, ohne Widerspruch dagegen zu erheben.
Um zu zeigen in welchem Maaße sich an der Ausführung der Biographien die deutsche Gelehrtenwelt betheiligt hat, sei auch die Anzahl unserer verehrten Mitarbeiter hier genannt: es sind bis zum Schluß des Z 1418. Sehr viele derselben weilen schon nicht mehr unter uns Lebenden; sie können leider ihren Antheil an dem tiefgefühlten Danke nicht mehr entgegennehmen, den ich hier allen unseren treuen Arbeitsgenossen nicht nur für mich selbst, sondern im Namen der Historischen Commission aussprechen darf. Gar manche von ihnen finden sich schon an ihrem Orte in unserem Alphabet derer, die für das deutsche Volk unvergessen sind und unvergeßlich bleiben sollen, wie Ranke selbst, der erste Urheber des Gedankens der A. D. B., oder, dessen ich ja billig vor allen Anderen hier gedenke, mein theurer treuer College Wegele. Von den 1418 sind viele nur mit einem einzigen Beitrag betheiligt, dann aber auch stets mit einer Biographie von hervorragender Bedeutung; andere mit kleinen untereinander zusammenhängenden Gruppen, viele aber auch mit langen Reihen schöner Beiträge, darunter auch heute noch solche, die von Anfang an ihr besonderes Fach in unermüdeter Arbeit vertreten haben und die sich heute mit uns des erreichten Zieles freuen. Unter den ersten Vorbereitungen glaubte ein erfahrener Mann [VIII] des Faches, der österreichische Biograph Wurzbach mich mahnen zu sollen, von dem in Aussicht genommenen Verfahren wieder abzulassen, weil es ganz unmöglich sein werde, die dafür erforderliche große Zahl der Mitarbeiter zu finden und zu binden. Ich ließ mich aber auch durch ihn in meinem guten Glauben nicht wankend machen und die 1418 haben seinen Unglauben Lügen gestraft.
Auch mit dem Ende des Z ist aber das Ende des Ganzen noch immer nicht erreicht. Da von der Aufnahme in die A. D. B. alle noch Lebenden ausgeschlossen waren, so lagen ja von Jahr zu Jahr unseren Scheuern neue Garben bereit, nachdem unser Erntewagen bereits vorübergefahren war. Wenn wir diesen Stoff von Band zu Band in Nachträgen hätten mitnehmen wollen, so wäre er in höchst unübersichtlicher Weise verzettelt worden und hätte zugleich eine unliebsame Verzögerung des Druckes zur Folge gehabt. Wir werden ihn deshalb zu einem neuen Alphabet gesammelt in einigen Nachtragsbänden nachfolgen lassen. Das bietet zugleich die Gelegenheit, einzelne z. Th. wichtige Artikel noch nachzutragen, deren Bearbeitung zur rechten Zeit nicht zu erlangen war, sowie verschiedene Lücken anderer Art noch auszufüllen.
In der Vorrede des ersten Bandes ist bereits darauf hingewiesen, daß am Schluß ein Generalregister gegeben werden solle, nicht nur über die Stichnamen der Biographien, sondern auch solche umfassend, die innerhalb der Artikel gelegentlich besprochen werden. Ein solches Verzeichniß ist ein dringendes Bedürfniß schon wegen der verschiedenen Schreibung so vieler Namen; auch aber weil es in vielen Fällen nicht unmittelbar klar ist, unter welchem Stichnamen eine Persönlichkeit zu suchen ist. In besonderem Maaße ist dies bei den mittelalterlichen Namen der Fall. Wir hielten es für besser, die Abhülfe durch ein Generalregister am Schluß zu bieten, als das Werk selbst durch unzählige Verweisungen zu verunzieren. Dies umfangreiche Register liegt bis zum Schluß des Z bereits fertig vor, mit Umsicht und Sorgfalt gearbeitet von Herrn Kanzleisecretär Graap, Beamten des hiesigen Provinzialstaatsarchivs, der mir schon seit zwölf Jahren für die Bureauarbeiten der A. D. B. förderliche Dienste geleistet hat. Da aber die eben erwähnten Nachtragsbände einen Zuwachs bringen werden, dem ein neues eigenes Register zu geben durchaus unpraktisch wäre, so verschieben wir den Druck des gesammten Namensverzeichnisses vielmehr bis auf den letzten Nachtragsband, so daß es dann also die ganze Allgemeine Deutsche Biographie in einem Alphabet umfassen wird.
- Schleswig, den 10. September 1899.