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Artikel „Vogel, Niklas“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 120–121, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vogel,_Niklas&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:10 Uhr UTC)
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Vogel heißen nicht weniger als drei bekannte Nürnberger Meistersänger des 16. Jahrhunderts. Der älteste, Niklas V., der in den ersten Decennien gedichtet haben wird, ist unter den Canon der zwölf alten Nürnberger Meister aufgenommen worden, obgleich es keinen Ton gibt, der seinen Namen trüge: er huldigte also noch der im 15. Jahrhundert herrschenden Manier, nur in den altüberlieferten Tönen zu dichten. Erhalten ist als sein Werk einzig eine unbedeutende, in Schilchers Hofton abgefaßte Reimerei des Gleichnisses vom verlornen Sohn, möglichst eng angelehnt an Luther’s Text von Luc. 15, aber sehr reich an Flickwörtchen und -sätzchen und durch eine Deutung bereichert, die nach bekannter Methode in den beiden Söhnen den alten und den neuen Bund, in dem geschlachteten Kalbe Christi Opfertod u. s. w. findet. Trotz seiner inhaltlichen und formellen Aermlichkeit ist das Gedicht mindestens 6 mal, bei 5 verschiedenen Firmen allein oder mit einem andern zusammen gedruckt worden, ein Erfolg, der sich wol nur so erklären läßt, daß Vogel’s ‚schön new Liedt‘ zu den ersten gehörte, die der bald zum Ueberdruß getriebenen Versificirung des Bibeltextes dienten. – Nur wenig jünger war der Taschner Hans V., von dem Meisterlieder zwischen 1527 und 1548 nachgewiesen sind; vor 1554 scheint er gestorben zu sein, da in diesem Jahre Velten Wildenauer eine in der Dresdner Hs. M 8 fol. theilweise erhaltne Sammlung seiner Lieder in Angriff nahm. Seine Stärke wird im Musikalischen gelegen haben: er erfand nicht weniger als 20 neue Weisen meist ziemlich beträchtlichen Umfangs (die längste enthält 88, die kürzeste 14 Reime): Engelweis, frischen, gefangen Ton, Glas-, Hund-, Jungfrau-, Klagweis, kurzen, langen Ton, Lilien-, Reben-, Sauer-, Schalweis, Schatzton, schwarzen und (schwachen?), strengen Ton, Süßweis, überlangen, verwirrten Ton, Vögelweis; und diese Töne waren höchst beliebt: Hans Sachs hat in ihnen nicht weniger als 282 Gedichte verfaßt. Auch Hans V. selbst bevorzugt seine eigenen Weisen stärker, als das seiner Zeit üblich war. Das Gros seiner Lieder dient natürlich auch der Bibeldichtung. Aber er verfährt freier als die meisten Bibelreimer, kürzt so, daß er z. B. das ganze Buch Jonas in einen dreistrophigen Meistergesang comprimirt, [121] und weiß sich stets Platz für Auslegung und Moral, oft in weiter Ausdehnung, frei zu halten. In diesen Zuthaten zeigt er neben manchem Abstrusen doch mehr lebensvolle Betheiligung als die meisten seiner Sangesgenossen: Josaphat’s wunderbarer Sieg über Ammon und Moab ermuntert ihn zu der Mahnung: vertraut gläubig auf Gott! ‚so wirt durch sein Hilff gestürtzt die Thiranney der Dürcken‘. Seine leidlich, nur oft etwas umständlich erzählenden weltlichen Gesänge enthalten sich des historischen Stoffs; ein Paar melancholische Liebesgeschichten nach Boccaccio; vor allem aber allerlei lose Schwänke, zumal von Mönchen, Nonnen und bösen Ehweibern, meist altbewährte Scherze z. B. von der Aebtissin mit der Bruch, von dem Waldbruder (Poggio’s Eremita), an dem bekanntlich noch Lessing sein Vergnügen hatte; auch hier fehlt die Moral nicht leicht, so seltsam sie sich in ihrer treuherzigen Biederkeit neben den verfänglichen Facetien ausnimmt. – Michael V. endlich, seines Zeichens Bierbrauer oder Steinmetz, war der jüngste; Dichtungen von ihm kenne ich aus den Jahren 1563 bis 1575; in den Jahren 1568–76 reden außerdem die Nürnberger Rathsprotocolle von ihm als einem Meistersinger, der mit Sixt Ludel u. A. zusammen Komödie agiren will. Die zum Theil verschnörkelten Namen seiner Weisen (überlange Vogelfreud-, lange Feld-, starke Oster-, Irrgarten-, Hopfen-süße Weihnachts-, harte Stein-, zornige Morgen-, kurze Tagweis, neuer verkehrter, hoher unverkehrter, kurzer lieber Ton) verrathen den Epigonen; doch hat Hans Sachs auch sie nicht ganz verschmäht. Am bekanntesten war von Michael Vogel’s Dichtungen sein geistliches Trostlied ‚Mach mich heilsam, o Gott‘, das, in kurzer sangbarer Strophe verfaßt, auch durch den Druck verbreitet wurde. Unter seinen Meistergesängen, die das religiöse Gebiet merkwürdigerweise verschmäht zu haben scheinen, sind nur wenige kurze Einzeldichtungen, so das Lied von der wundersamen Niederkunft einer Clevischen Dame mit 365 gesunden Kindern, die 1555 passirt sein soll und illustrirt, wie Gott alle Dinge möglich seien. Vogel’s eigentliche Stärke dagegen waren Liedercyklen, wie ich sie wenigstens bruchstückweise aus der Weimarer Foliohandschrift 419 kenne. So hat er die Geschichte von Apollonius 1563 in 9 Liedern, die ‚von den vier Liebhabenden‘ 1564 in 7, den Hugdietrich 1566 in mindestens 3, den Hugschapler (?) 1571 in mindestens 4, den Roman von der Königin aus England (Mai und Beaflor) 1575 in 7 Gesängen erzählt, die in den verschiedensten Meistertönen abgefaßt sind. Es ist natürlich wenig glücklich, daß die einzelnen Bare dieser Cyklen bei ihrer formellen Abgeschlossenheit inhaltlich bloße Ausschnitte ohne jede Selbständigkeit und Abrundung sind. Michael V. hat diesen Mangel kaum empfunden: stolz prägt er der letzten Strophe, die der Moral zu dienen pflegt, in der Schlußzeile: ‚Hat Michel Vogel zugericht‘ seinen Stempel auf, wie er denn schon dem Trostliede seinen Namen akrostichisch einverleibt hatte. Waren diese Cyklen Michael Vogel’s Erfindung? Von den umfänglichen Volksbüchern in Meistertönen, wie Hans Sachs’ Magelone, Mayer’s Trimunitas u. A., unterscheiden sich Vogel’s Dichtungen durch die feste Gliederung zu Baren verschiedener Töne; der Nürnberger Schulhalter Ambrosius Weinmann könnte mit seiner ebenso gegliederten Dichtung von Kaiser Maximilian 1570 auf Vogel’s Schultern stehn. Wenn wir aber sehen, daß 1588 das Thema vom Kaiser Octavian unter die Theilnehmer eines Freisingens aufgetheilt wird, wenn die Nürnberger Tabulatur, allerdings in später Fassung, historische Dichtungen in mehreren Baren ausdrücklich vermerkt, so schließt das Vogel’s Urheberschaft für diese Dichtart zwar nicht aus; aber es legt doch den Verdacht nahe, ob er nicht vielleicht lediglich eine im Freisingen geläufige Methode, verschiedenen Werbern ein gleichartiges Thema zu geben, zu seiner persönlichen Specialität umgewandelt habe.

Für Michael Vogel vgl. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied III, 577; Vierteljahrschr. f. Litteraturgesch. 3, 40, 42.