ADB:Vischer, Ludwig Friedrich

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Artikel „Vischer, Ludwig Friedrich“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 65–67, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vischer,_Ludwig_Friedrich&oldid=- (Version vom 23. April 2024, 21:05 Uhr UTC)
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Vischer: Ludwig Friedrich V., öfters fälschlich M. (oder gar Martin) Vischer genannt (irrige Deutung von ’M[agister]. Vischer‘), Reiseschriftsteller und Uebersetzer aus Calw in Württemberg, magister philosophiae, ersichtlich philologisch, wol auch theologisch vorgebildet, kam 1703 oder Anfang 1704 („Die Zeit meiner 8.Jährigen Pilgrimschaft“ in der vom 30./11. 1710 datirten Vorrede zu Lahontan’s ’Reisen‘) nach Hamburg, wo er in mißlichen Verhältnissen theils als ’Haus-Informator‘, theils durch Uebersetzungen actueller Novitäten kümmerlich den Lebensunterhalt erwarb. Ob er zu dem Staatscapitän Martin Tamm, dem er zum Dank für die Mitnahme auf eine Seereise (1708 und wol 1704/5) „Das Groß-Brittanische America“ 1710 mit einer höchst devoten und rühmenden Widmung zueignete, oder irgend welcher andern Hamburger Persönlichkeit von Rang in bestimmter Abhängigkeit gestanden hat, läßt sich nicht feststellen; überhaupt nicht, ob es ihm bis zu seinem Tode gelang, eine leidliche Versorgung zu erlangen. Während er nach einer uncontrollirbaren Angabe erst 1743 zu Hamburg gestorben sein soll, will man neuerdings sein Ableben schon ins Jahr 1720 oder den Beginn von 1721 setzen, da unter der Vorrede zur zweiten Ausgabe seiner „Robinson“-Verdeutschung von letzterem Jahre des Verlegers [66] Name für seinen eingetreten ist. Und in der That ist es auffällig, daß damit die anderthalb Jahrzehnte hindurch ununterbrochene Reihe seiner, ausnahmslos in Hamburg gedruckten und verlegten Schriften abbricht, er also zweifellos seitdem nicht mehr auf diesem Wege sein Dasein gefristet hat. Andererseits könnte er aber damals die Schriftstellerei an den Nagel gehängt haben, falls sich ihm eine angenehmere Existenz eröffnet hätte; das letzte schriftstellerische Zeugniß nämlich, das wir von ihm besitzen, nennt jene noch von ihm gezeichnete erste Auflage „eine von meinen letzten hiesigen Uebersetzungen“.

Zu seiner genauen Kenntniß der englischen Sprache hat er bei jener älteren überseeischen Reise den Grund gelegt, während er das Französische wol schon von früher beherrschte, das Italienische aber kaum an Ort und Stelle je geübt hat. Schon seit 1705 begegnen wir ihm als fleißigem Uebersetzer aus beiden ersteren Sprachen, der es mit seiner Aufgabe stets sehr genau nimmt. Die meisten seiner Vorreden verbreiten sich über die hierbei befolgten Grundsätze, zeigen allenthalben das aufrichtige Streben nach innerer Treue und nach Lesbarkeit und verrathen die wachsende Praxis ebenso wie die Arbeiten selbst. In seiner Selbständig- und Sauberkeit hätte er manchem Pfuscher der nächsten Periode Vorbild werden können. Die Unterlagen zu seiner bezüglichen Thätigkeit hat er mit wenigen Ausnahmen aus den jüngsten Reisebeschreibungen gewählt; von andern: „Evangelische Tugendlehre (The Christian Morale), aus dem Englischen des Herrn Dr. Lucas, Predigern in London verdeutscht“ (1705); „Lebens- und Liebes-Geschichte des königlichen Sklaven Oroonoko, von Mistress [Aphra] Behn“ (nach der berühmten gleichnamigen Novelle, die, vor 1689 geschrieben und seit 1696 wiederholt gedruckt, von Southern zu einem Trauerspiel desselben Titels, von Luise Mühlbach [s. d.] zu dem Roman „Aphra Behn“ benutzt wurde), „Leben der Königin Elisabeth aus Engelland, I. und II. Theil“, „Greg. Leti Leben des weltberühmten Protectors von England, Olivier Cromwels, I. und II. Theil“ (1710; letztere beide aus dem Italienischen), „Leben der Schwedischen Könige Gustav Adolph und Carl Gustav“, „Feldzüge Sr. Schwedischen Majest. Caroli XII., 2ter Theil“ (geht daraus, daß er nicht auch Band I übersetzte, hervor, daß er öfters auf buchhändlerischen Auftrag für den Tagesbedarf arbeitete?), „Das Leben des blutdürstigen Tyrannen Muley Ismael, jetzt regierenden Kaisers von Marocco, durch P. Busnet beschrieben, aus dem Englischen verdeutscht“ (1716). Außerdem lieferte er: wenigstens 10 Uebertragungen von Reise- und Länderbeschreibungen, Ortsführern und dergl., die selbständigen Werke „Sehenswürdigkeiten der weltberühmten Stadt Londen, in Engelland, nebst unvorgreifflichen Raisonnementen von der Englischen Nation, Königin, Sprache u. s. w.“ (1707; angeregt durch die eigene Uebersetzung desselben Jahres von „Curieuser Wegweiser in dem weltberühmten Haag“), „Der wol informirte Informator in einem auf gesunde Vernunfft und lange Erfahrung gegründeten Vorschlage zum Unterrichte Adel. und Bürgerl. Jugend, in Frömmigkeit, Sitten, Sprachen, Künsten und Wissenschaften“ (1709), die älteste deutsche Bearbeitung von Daniel Defoe’s „Robinson Crusoe“ (1720), welche geniale Dichtung V. auch wesentlich nur als „gantz ungemeine Begebenheiten“ eines Seefahrers betrachtet zu haben scheint, endlich ’sind aus MStis als Opera Posthuma ediret‘ „Vincentii Plac(c)ii Theatrum Anonymorum et Pseudonymorum“, das noch heute unentbehrliche Nachschlagewerk, mit Matthias Dreyer’s Beihülfe und J. A. Fabricius’ (s. d.) Vorreden (1708) und Joh. Georg Dorsch(ei; vgl. A. D. B. V, 363) „Harmonia quatuor Evangelistarum“ (so Vischer’s eigene Angabe, gegenüber Schröder [s. u.]).

Man staunt über die unermüdliche Schaffenslust dieses Zwangsschriftstellers. Ein Vergleich seiner ausgezeichneten „Robinson“-Verdeutschung mit späteren Versuchen oder eine Parallelisirung der beiden Auflagen von De Lahontan’s [67] „Neuesten Reisen“ (1711; nach Gel. Zeit. 1725, S. 700, ist ein ’ehemaliger Mönch‘ Nicolas Gueudaville [1650–1720] der Verfasser des Originals: vgl. Nouv. biogr. génér. 22, 478) erweist auch seine Anlagen für das aus Brotnoth bepflügte Feld und seinen stetigen Fortschritt, wovon auch die Vorreden Zeugniß ablegen. In letzteren spiegeln die Beweglich- und Mannigfaltigkeit seines Stils, die gehörige Rücksicht auf sein particulares Publicum, die durch die meisten Themata verlangte Ausdrucksweise des Seewesens, außerdem auch die Hamburger Gönnerschaft, die freimüthige und doch nirgends radicale Gesinnung sich mehrfach deutlich ab. Als Stilist, als umsichtiger Uebersetzer, als Mehrer unseres geographischen Wissens, als Erwerber des „Robinson“-Schatzes verdient V. eine hohe Beachtung in der Geschichte des deutschen Schriftthums.

Die Reisewerke, die Moller, Cimbria litterata II 919, Jöcher IV 1646 f., Zedler, Universal-Lexikon IIL, 1804, Heinsius, Allg. Bücher-Lexikon IV 237, Thieß, Versuch einer Gelehrtengesch. v. Hambg. II 319, Schröder (-Kellinghusen), Lex. d. Hamburgisch. Schriftsteller VII 496 f. aufzählen, wurden hier, trotzdem viele Titel dort ungenau oder modernisirt stehen, nicht wiederholt; eine eigene Liste bis 1710 gibt V. hinter dem Vorwort zu „Groß-Brittanisches America“, doch sind sicherlich gar viele (vgl. Zedler’s Schlußnotiz) verschollen, die meisten heute sehr selten. Aufgefrischt hat sein Andenken Karl Biltz in einem Aufsatze „Arch. f. d. Stud. d. neuer. Sprachen u. Lit.“ XC, 18–26 (vgl. Bolte ebd. 414 f.), während Aug. Kippenberg, „Robinson in Deutschland bis zur Insel Felsenburg“ (1892) S. 26–31, nur die „Robinson“-Uebersetzung kennt, die er gut charakterisirt. Zedler verweist auf Hauber’s Discours von der Geographie S. 48, Kippenberg auf Beckmann’s Litteratur der älteren Reisebeschreibungen (1809) II 287. Vgl. (K. Biltz,) Neuer deutscher Bücherschatz, 1895, S. 201.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 67. Z. 25 v. o.: Zu Ludw. Friedr. Vischer, dem Robinson-Uebersetzer, der de la Hontan’s „Mémoires de l’Amérique“ verdeutscht hat und dem Interesse für Columbus und Amerika vgl. Martini Simonii De literis pereuntibus libellus praefationem adiecit et annotationibus illustravit Jo. Hermannus ab Elswich (Frankf. u. Lpz. 1726), S. (33–)35. [Bd. 45, S. 675]