ADB:Tschammer-Osten, Alexander von

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Artikel „Tschammer-Osten, Alexander von“ von Friedrich Wienecke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 712–715, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tschammer-Osten,_Alexander_von&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 13:23 Uhr UTC)
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Tschammer: Alexander von T.-Osten, preußischer Generalmajor und Commandant des Invalidenhauses zu Berlin, entstammte einer alten schlesischen Adelsfamilie. Er wurde am 1. Januar 1737 geboren und trat mit 20 Jahren bei dem Infanterieregiment Nr. 34 Prinz Ferdinand ein, dem auch fast seine [713] ganze Dienstzeit angehört hat. Den bairischen Erbfolgekrieg machte er als Capitän, den holländischen Feldzug als Major und den Rheinfe1dzug als Oberstlieutenant bzw. Oberst mit. 1793 erhielt er wegen seiner Tapferkeit, die er bei der Belagerung von Mainz bewies, den Verdienstorden und wurde zum Commandeur des Regiments ernannt. Am 2. Juni 1801 erfolgte seine Beförderung zum Generalmajor und zum Chef des Infanterieregiments Nr. 27, das in Stendal und Gardelegen in Garnison stand. Infolge der unglücklichen Schlachten bei Jena und Auerstädt löste sich das Regiment auf. T. wurde zunächst auf Wartegeld gesetzt, dann, am 1. März 1809, zum Commandanten des Invalidenhauses zu Berlin ernannt; er starb am 29. Juli 1809.

Tschammer’s Bedeutung liegt auf dem Gebiet des Militärbildungswesens, auf dem er Außerordentliches geleistet und vorbildlich gewirkt hat.

Die Schule des Regiments Prinz Ferdinand war infolge des siebenjährigen Krieges in einem erbärmlichen Zustande. Sie wurde von dem alten gebrechlichen Regimentsküster verwaltet, der, um sein dürftiges Einkommen zu erhöhen, Bürgerkinder aufnahm und sich um den Unterricht und Schulbesuch der Soldatenkinder wenig kümmerte. T. hatte schon längst ihre Unwissenheit und sittliche Verwahrlosung beklagt, aber wenig zur Verbesserung ihrer Lage thun können. Das Rescript des Kriegsconsistoriums vom 20. September 1780 an die Feldprediger, den ihnen unterstellten Schulen eine genaue Aufsicht angedeihen zu lassen, gab auch hier den Anstoß, Abhülfe zu schaffen. Im Verein mit dem gleichgesinnten Feldprediger Müller ging T. ans Werk. Nach dem Vorbild der Potsdamer Garnisonschule entwarfen beide einen Plan, nach welchem die Schule in eine vierstufige, zweiclassige umgewandelt wurde. Auf seinen Antrag pensionirte das Regiment den unfähigen Küster und berief zwei methodisch vorgebildete Lehrer; gleichzeitig wurde einer dazu befähigten Unterofficiersfrau die Unterweisung der Mädchen im Stricken und Nähen übertragen. Durch Veranstaltung von öffentlichen Prüfungen wußte T. nicht nur das Interesse der Officiere, sondern auch das der Bürger zu gewinnen und die Lehrfreudigkeit der Lehrer durch Anerkennung ihres Fleißes und Eifers und durch Geschenke zu erhöhen.

Die weitere Entwicklung der Schule wurde durch den furchtbaren Brand der Stadt 1786 und durch die kriegerischen Ereignisse gehemmt; aber ihr Fortbestehen war dank der Fürsorge Tschammer’s gesichert. 1795 kehrte das Regiment in seine Garnison, und an seiner Spitze T. als Oberst und Commandeur zurück. Jetzt konnte er zur Ausführung seiner Pläne schreiten. Die Regimentsschule blieb zweiclassig fortbestehen; aber die Schülerzahl in den einzelnen Classen wurde beschränkt, die Ueberzahl den städtischen Schulen überwiesen und für einen geregelten Schulbesuch mit Hülfe der Compagniechefs gesorgt. Der Oberst besuchte selbst die Schule, erkundigte sich nach dem Fleiß und Wohlverhalten der Kinder, lobte die Fleißigen, ermunterte die Schwachen, tadelte die Trägen und suchte bei jeder Gelegenheit die Autorität der Lehrer zu heben und zu stärken. Er wußte stets Mittel zu finden, um den sittlichen Stand der Kinder zu heben und in ihnen das Ehrgefühl zu entfachen. So kleidete er aus den Abschiedsgeldern der entlassenen Cantonisten 1797 fünfundzwanzig Knaben, ließ sie durch einen Unterofficier exerciren und an den Kirchenparaden theilnehmen. Daß durch diese Wohlthat auch das Interesse der Eltern für die Bildung und Erziehung ihrer Kinder geweckt wurde, bedarf keines Nachweises.

Wodurch Tschammer’s Name bekannt und geachtet wurde, sind zwei Einrichtungen, die mustergültig genannt werden müssen: Industrieanstalt und Junkerschule.

[714] Neben der schon bestehenden Strick- und Nähschule gründete er 1796 eine Spinnschule, eine Anstalt zur Bereitung der sogenannten Kniestreichwolle und spanischen Wolle und mit Hülfe eines Berliner Kaufmanns 1797 eine Klöppelschule. In ihnen fanden Soldaten, Invaliden, Soldatenfrauen und -Mädchen einen lohnenden Erwerb. Was T. zu diesen Einrichtungen veranlaßte, war nicht nur allein der Erwerb, sondern vor allem der sittliche Werth der Arbeit. Sein Grundsatz war: „Die Kinder und Erwachsenen vor dem Müßiggang zu bewahren und die Unglücklichen aus dem Elend zu erretten!“ Die Industrieanstalt erregte Aufsehen; Zeitungen und Zeitschriften brachten Beschreibungen und Berichte über ihren Fortgang, das Generaldirectorium gewährte eine jährliche Beihülfe von 200 Thalern; und der König wies in seiner „Cirkularverordnung vom 31. August 1799 an sämmtliche Regimenter und Bataillone, den Unterricht in den Garnisonschulen betreffend“ auf die Zweckmäßigkeit hin: „Die von Oberst von Tschammer (Prinz Ferdinand-Regiment) eingerichtete Industrieschule, in welcher die Kinder monatlich 2, 3 bis 5 Rhthl. verdienen, leistet alles, was man von solcher Anstalt erwarten kann und wird allen Regimentern und Bataillonen zur Nachahmung empfohlen.“

Das gleiche Interesse erregte die Regimentsjunkerschule, die von den Fähnrichen und Gefreitencorporalen besucht werden mußte. Mit Hülfe des idealgesinnten Majors v. Sydow und des Feldpredigers Merz entwarf T. einen Plan, der seiner pädagogischen Befähigung alle Ehre macht. Der Zweck der Schule war „Vorbereitung zur wissenschaftlichen Bildung eines Officiers“. Die Lehrgegenstände waren 1. Vorbereitungswissenschaften: Arithmetik nach Principien, Geometrie, Trigonometrie mit Anwendung derselben auf praktische Geometrie, allgemeine Grundsätze der mechanischen Wissenschaften, einige Kenntnisse der optischen Wissenschaften und mathematische Geographie und 2. Hülfswissenschaften: politische Geographie, physische Geographie, Geschichte, Statistik und deutscher Stil gruppirt. Durch ein Abkommen mit dem Rector der Friedrich Wilhelmsschule (Gymnasium) wurde es den Junkern ermöglicht, an dem französischen und englischen Unterricht an dieser Anstalt theilzunehmen.

Um einen einheitlichen Unterrichtsbetrieb in den genannten Schulanstalten zu wahren, ernannte T. eine Schulcommission aus Officieren, dem Feldprediger, dem Auditeur und dem Collaborator der Regimentsschule. Sie tagte jeden ersten Montag im Monat, und jedes Mitglied hatte über die ihm zugetheilten Obliegenheiten zu berichten. Das Protocoll der Sitzung mußte ihm vorgelegt und in wichtigen Fällen seine Genehmigung bzw. Entscheidung eingeholt werden.

Für diese Commission wurde ebenfalls ein Arbeitsplan entworfen und dieser mit dem Plan der Junkerschule dem Könige zur Genehmigung eingesandt. Der Monarch entsprach nicht nur dem Wunsche des Obersten, sondern dankte ihm in einem Cabinettsschreiben mit der Versicherung, „daß ich nie zugeben werde, daß das von Euch gestiftete Gute früher oder später rückgängig gemacht werde“.

Am 29. September 1799 traten beide Pläne als „Reglements“ in Kraft. Sie haben vielen Regimentern zu gleichen Einrichtungen als Muster gedient und den König zu der schon genannten Cirkularordnung vom 31. August 1799 und der Cabinetsorder vom 19. December 1799 „Ueber den Unterricht in den Junkerschulen“ veranlaßt. Auf vielseitigen Wunsch sind beide Reglements in den Jahrbüchern der preußischen Monarchie 1799 veröffentlicht worden.

Infolge des unglücklichen Krieges von 1806–07 wurde das Regiment Prinz Ferdinand aufgelöst, und damit hörten auch die durch T. begründeten Anstalten auf. Bei der damaligen Militärverfassung und bei den bestehenden [715] socialen Verhältnissen der Soldatenfamilien waren seine Einrichtungen von höchst segensreichem Einfluß, und sein Name ist mit der Geschichte der preußischen Garnisonschulen unauflöslich verbunden.

Acten des Geh. Archivs im Kriegsministerium, Acten des Invalidenhauses zu Berlin, Berliner Monatsschrift, 1784, Bd. 3, S. 422. – Koßmann und Heinsius, Denkwürdigkeiten der Mark Brandenburg, 1797, Bd. 3, S. 493. –– Jahrbücher der preußischen Monarchie, 1799 und 1800.