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Artikel „Tirolff, Hans“ von Hugo Holstein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 361–362, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tirolff,_Hans&oldid=- (Version vom 11. November 2024, 01:37 Uhr UTC)
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Tirolff: Hans T. (Tyrolff), deutscher Dramatiker des 16. Jahrhunderts. Er stammte aus Kahla, besuchte die Schule zu Zwickau, wo Paul Rebhun seit 1531 als Lehrer wirkte, und studirte 1538 in Wittenberg (die Einzeichnung im Album S. 170 lautet: Joannes Tirolbus Calensis). Schon im nächsten Jahre erschien als seine „erste Frucht des Reimens und geistlichen Spielmachens“, wie er selbst sagt, „die schöne Historia von der Heirat Isaacs und seiner lieben Rebeken“, ein Drama in vierfüßigen Jamben. Die Handlung gestaltet sich nach dem 24. Capitel des Buches der „Geschöpff“ und ist in fünf Acte zerlegt. Die Tendenz des Stückes ist die Verherrlichung der christlichen Ehe als eines Actes göttlicher Ordnung. Es sollte gezeigt werden, wie christliche Eltern schuldig sind, ihre Kinder gottselig in den Ehestand zu versorgen, und die Kinder schuldig sind, ihnen zu folgen; auch wie Gott solch sein Werk und Einsetzung wunderbarlich fördert und segnet. T. widmete sein Werk seinem Vetter Konrad Tirolff zu Freiberg im Meißnerlande, der sammt seiner tugendsamen Hauswirthin, Frau Martha, dem Beispiel des frommen Bethuel und seiner Hausfrau nach, seine Kinder in aller christlichen Gottseligkeit von Jugend auf unterwiesen und erzogen habe, auch wie beide in der Verheirathung ihrer Tochter Martha sich so christlich und wohl erzeigt haben, daß billig andere ein Exempel neben diesem Spiel von ihnen nehmen mögen. T. hat es verstanden, in seinem Isaacdrama, das 1539 zu Wittenberg in zwei völlig übereinstimmenden und doch wirklich, verschiedenen Drucken erschien, unter treuer Wahrung der biblischen Grundlage ein liebliches Familienbild zu geben. Die Sprache ist einfach und dem Stoffe angemessen. Auf eigner Erfindung ruht eine breit angelegte aber humoristisch gehaltene Scene von dem Gastmahl, das Rebekka’s Vater, Bethuel, dem Oberknechte Abraham’s gibt, der den ihm gewordenen Auftrag, für Isaac die Braut zu suchen, ausführt. In der an Ermahnungen überreichen Schlußrede spricht der Dichter die Hoffnung aus, daß er mit Gottes Hülfe im Gegensatze zu dem ganz still und „on als geschrey“ einhergehenden Isaacdrama „was prächtigeres an tag geben“ werde, sofern er nicht die Gunst seiner Zuhörer zu vermissen haben werde. Und in der That hätte der begabte T. den Ruhm eines dramatischen [362] Dichters erworben, wenn er nicht, von Thomas Naogeorg beeinflußt, sich dazu verstanden hätte, dessen Pammachius in deutsche Reime zu übertragen. Wurde T. einerseits durch eine edle Begeisterung für das großartige Werk Naogeorg’s bestimmt, das als das bedeutendste protestantische Kampfdrama im Zeitalter der Reformation angesehen werden muß, und stellte er sich damit neben Naogeorg, der das Drama als Waffe im Kampfe gegen die Kirche Roms benutzen wollte, so veranlaßte ihn besonders Rebhun, seine volksthümliche Uebersetzung in fünffüßigen Jamben zu schreiben, um „die künstliche Eleganz des Latein“ desto besser zu erreichen. Auch schickte Rebhun zur Empfehlung des „deutschen Gedichtes“ deutsche Verse voraus, weil durch Tirolff’s Uebersetzung die deutsche Sprache geschmückt und reich gemacht werde, und fügte ein Verzeichniß derjenigen Stellen bei, welche bei der Aufführung des Stückes ausgelassen werden könnten und für welche Aenderungen eintreten sollten. So erscheint denn T. in seiner Pammachius-Uebertragung nicht so selbständig, wie in seinem Isaacdrama, und doch nimmt sie unter den vier vorhandenen deutschen Uebertragungen dem Werthe nach die erste Stelle ein und übertrifft selbst die des Justus Menius durch den volksthümlichen Ton, den sie überall anschlägt. Da T. die Widmung seines wohl 1540 erschienenen Werkes an den „Gestrengen, Edlen, Ehrenvesten Nickeln Sack zu Gaylsdorff“ als Bürger von Kahla unterzeichnet, so ist anzunehmen, daß er ein geistliches Amt nicht versehen hat. Er verschwindet überhaupt nach 1540 aus der Oeffentlichkeit, so daß sein Todesjahr nicht bestimmt werden kann. T. behandelte auch den Streit David’s mit Goliath in einem 1541 verfaßten Drama, das er dem Bürgermeister von Annaberg, Caspar Kurschner, seinem alten Schulkameraden, widmete. Er legte dabei 1. Samuelis Capitel 17 zu Grunde und deutete David’s Streit als den ritterlichen Kampf und herrlichen Sieg Christi wider unsern gewaltigen Feind, den trutzigen Teufel, sammt seinen Bundesgenossen, den gottlosen Tyrannen. Von besonderem Interesse sind in diesem Spiele die ausführlichen scenischen Anweisungen.

Goedeke, Grundriß der deutschen Dichtung II² S. 334. 360. – Holstein, Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Litteratur des 16. Jahrhunderts S. 83. 208. Halle 1886. – Eine eingehende Würdigung der Pammachius-Uebersetzung geben J. Bolte und E. Schmidt in der Einleitung zu dem Neudruck von Naogeorg’s Pammachius (Lat. Litt.-Denkmäler des XV. und XVI. Jahrhunderts, Heft 3, S. XIII–XVI. Berlin 1891). – Bolte, Zeitschr. f. deutsch. Alterthum 32, N. F. 20, S. 10.