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Artikel „Tengler, Ulrich“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 568–570, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tengler,_Ulrich&oldid=- (Version vom 24. April 2024, 20:00 Uhr UTC)
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Tennhart, Johann
Band 37 (1894), S. 568–570 (Quelle).
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Tengler: Ulrich T., Landvogt zu Höchstädt, Verfasser des Layenspiegels, geb. muthmaßlich zwischen 1435 und 1445 zu Heidenheim, ob in dem württembergischen Städtchen an der Brenz oder in dem gleichnamigen bairischen Marktflecken am Hahnenkamme ist ungewiß; † während der ersten vier Monate des Jahres 1511.

Ueber Tengler’s Lebensgang ist bis zu seiner Anstellung bei der Reichsstadt Nördlingen nichts auf uns gekommen. Zweifellos hat er sich in seiner Jugend humanistischen Studien gewidmet, wenn er auch keine eigentliche akademische Erziehung genossen. Jene Anstellung erfolgte am Montag vor dem St. Michaelstage 1479 als Oberrathschreiber vorläufig auf ein Jahr mit einem Gehalte von 40 fl. und freier Wohnung. In der Pfingstwoche 1483 wurde der Vertrag auf Lebensdauer erneuert unter Erhöhung des Jahresgehaltes auf 100 fl. und der Vergünstigung „zwei redlich Substituten als Cantzleischreiber zu halten“. Aber schon gegen Ende des Jahres 1483 legte T. aus unbekannten Gründen sein Amt nieder, blieb jedoch der Stadt „zu Dienst und Beistand“ verpflichtet aus Dankbarkeit, daß Bürgermeister und Rath „aus besonderer Neigung ihm und seynen Kindern zu Ergötzlichkeit ain Erung getan“. Später erhielt T. die bedeutende Landvogtei Höchstädt, welche 1505 als Theil des Herzogthums Pfalz-Neuburg an die Kurpfälzer Linie fiel. Ueber seine weitere amtliche Thätigkeit berichtet T., daß er „ettlich jar unnd zeiten bei seinen gnädigen, des heiligen reiches Fürsten, Herrn, Stetten und anderen in erbern (ehrbaren) geschäfften, ambten, gerichtlichen, bürgerlichen und peinlichen sachen etc. auch anderen enden mermals zu handeln gebraucht worden“, von welchen Dienstleistungen manche nur vorübergehend gewesen sein mögen. So gewann T. eine reiche Summe praktischer Erfahrungen; aber auch seine Kenntnisse trachtete er zu vermehren, da er nach eigener Angabe „bei hochgeübten, geleerten und rechtweysen Rath, Unterricht und gute lehren“ erholte. Mit den Ingolstädter Gelehrten [569] stand er (wie wir aus dem Briefe an seinen Sohn Christoph wissen) in näheren Beziehungen und schrieb Jacob Locher, genannt Philomusus, Poesie-Professor in Ingolstadt, zur ersten Ausgabe des Layenspiegels eine lateinische Vorrede im heroischen Versmaße. Als Landvogt verfaßte T. in vorgerückten Jahren seinen bekannten „Layenspiegel“, offenbar die Frucht langjährigen Fleißes. T. beabsichtigte mit diesem Hülfs– und Nachschlage-Buche die „Halbgelehrten“, welche ohne vorgängige kostspielige Rechtsstudien auf Hochschulen damals als Schreiber, Advocaten, Procuratoren, Notare, Rathgeber, Redner oder in anderer untergeordneter Beschäftigung sehr zahlreich bei Gerichten thätig waren, in den Rechten zu belehren und ihnen ein richtiges Verhalten vorzuzeichnen. Das Werk verbindet somit praktische Belehrung mit theoretischem Unterrichte und kann als systematische Realencyklopädie der populären Rechtswissenschaft für den Praktiker bezeichnet werden … T. sandte das Manuscript an Sebastian Brant in Straßburg, welcher hierdurch offenbar geschmeichelt, in der von ihm verfaßten Vorrede berichtet, daß T. „sein besonder günstiger und gebietender Herr solch Werck seiner klainmütigkeit zugefügt habe“ und dasselbe (in offenbarer Uebertreibung) mit den Verdiensten der berühmten Seefahrer des 15. Jahrhunderts vergleicht. Brant’s Vorrede schließt mit einem längeren Lehrgedichte über die nothwendige Kenntniß des geschriebenen Rechtes. Der Verfasser hatte als Vorbild seines Werkes das speculum juris des Italieners Durantis († 1296) gewählt. Es zerfällt gleich letzterem in drei Theile und wird „im ersten buch, von etlichen person gehandelt, so zu weltlicher regierung inner und ausserhalb rechtens in Städten, merkten und anderen ennden gewondlichen gebraucht worden“; – „im anderen buch von gerichtlicher ordnung und wenigerley formen in burgerlichen sachen“ (vom Civilprozesse), im dritten Buch „von peinlichen sachen“ (Strafprozeß). Neben Durantis, Aristoteles, der Bibel, den Quellen des gemeinen Rechtes und dem Schwabenspiegel hat T. auch die italienische Jurisprudenz und etwa zehn der beliebtesten populären Fachschriften jener Zeit benützt, welch’ letztere er mehr oder minder vollständig seiner Arbeit einverleibte. Indem aber der ausführlicher gehaltene Layenspiegel das Wesentliche dieser Schriften in sich aufnahm, konnten letztere fortan die alte Bedeutung nicht mehr behaupten und geriethen rasch in Vergessenheit. Auf diese Weise bildet Tengler’s Buch nebst dem etwas jüngeren „richterlichen Klagspiegel“ (einem von Sebastian Brant ziemlich flüchtig überarbeiteten, 1516 in Straßburg zuerst erschienenen Rechtsbuche) den Abschluß der populären Rechtslitteratur des 16. und 17. Jahrhunderts. Ueber ganz Deutschland verbreitet stand es während 6 oder 7 Jahrzehnten in ununterbrochener Anwendung und ausschließender Geltung; weshalb kein Werk nachhaltiger und erfolgreicher die Einbürgerung der fremden Rechte in die Praxis der Untergerichte gefördert hat. Den Layenspiegel verdrängte allmählich die gelehrte Litteratur unter Führung des Zasius und seiner Schule.

Im dritten Theile des Spiegels (Bl. 190–95) berichtet T., daß wegen Zweifels der Juristen an der Wirklichkeit des Hexenwesens dieses lange unbestraft geblieben sei und bis zum Erscheinen des malleus maleficorum merklich zugenommen habe. Indem der Autor aus letzterem einen Auszug gibt, ist leider nicht zu bezweifeln, daß er bei seinem mächtigen Einflusse der Verfolgung der Hexen, jener traurigsten Verirrung der Rechtspflege, nicht unerheblich Vorschub geleistet. – Der Layenspiegel erschien zuerst 1509 zu Augsburg bei „Meister Hansen Otmar“, und ist diese Ausgabe eine typographische Seltenheit geworden; schon in den folgenden Jahren – 1510 und 1511 – erschienen zu Straßburg zwei unbefugte Nachdrucke; T. selbst aber bereitete eine zweite, vermehrte Auflage vor, welche als „Der new Layenspiegel“ 1511 zu Augsburg kurz nach Tengler’s Tod mit 2 verschiedenen Titelblättern die Presse verließ. Die Vermehrung [570] ist eine namhafte, da die frühere Auflage 174, die zweite (nach richtiger Zählung) 260 Blätter enthält, aber auch inhaltlich so bedeutend, daß zum Theil erst durch sie das Werk seine geschichtliche Bedeutung gewann. Diese zweite Aufslage ist um so beachtenswerther, als sie die letzte ist, welche der Verfasser selbst besorgte, da er (wie oben bemerkt) während des Druckes mit Tod abging, und weil die folgenden Ausgaben bloße Wiederholungen jener von 1511 sind. Schon im nächsten Jahre 1512 wurde in Augsburg eine neue Auflage veranstaltet, welche mit geringen Abweichungen mit der vorhergehenden übereinstimmt. Von 1514 bis 1560 sind 10 weitere ziemlich gleichlautende Ausgaben bekannt, deren Druck ausnahmslos in Straßburg besorgt wurde.

Der zweiten Auflage ist ein Epitaphium Udalrici Tenngler in 3 Distichen beigegeben, aus dem wir erfahren, daß T. dreimal verheirathet war, und 24 Kinder – 14 Söhne und 10 Töchter – hatte. Auf einem dieser Ausgabe gleichfalls beigefügten Holzschnitte in Folio sehen wir T. als älteren, bärtigen Mann in pelzverbrämter Schaube, wie er knieend in Gegenwart der sieben Kurfürsten dem Kaiser (Maximilian I.) sein Werk überreicht. Ihn umgeben seine 14 Söhne, voran Christoph, sicher erkennbar an der Tonsur. Letzterer war nach den Ingolstädter Annalen 1511 Rector und wird als artium et juris pontificii doctor et collegiatus aufgeführt. Auf der anderen Seite des Bildes knieen die drei Frauen mit ihren sämmtlichen Töchtern. – Ueber T. und dessen Layenspiegel hat Prof. D. Stintzing ebenso gründliche als umfassende Forschungen angestellt und deren Ergebniß in seiner Geschichte der populären Rechtslitteratur niedergelegt.

Stintzing a. a. O. S. 409–447. – Derselbe, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I. Abth., S. 85–87. – Stobbe, Gesch. d. dtsch. Rechtsquellen II, 170–73.