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Artikel „Struve, Karl Ludwig“ von Ludwig Stieda in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 687–690, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Struve,_Karl_Ludwig&oldid=- (Version vom 16. November 2024, 11:18 Uhr UTC)
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Struve: Karl Ludwig St., Philolog und Dichter, wurde am 2. Mai 1785 zu Hannover als der älteste Sohn des dortigen Rectors des Lyceums, Jakob St. (s. o.) geboren. Als die Familie im J. 1791 nach Altona übersiedelte, trat der kleine Karl in die dritte Classe des k. Christians-Gymnasiums ein. Er wurde hier in der Mathematik von seinem Vater, im Lateinischen und Griechischen von Professor G. E. Klausen unterrichtet. Als vierzehnjähriger Knabe hielt er bei der Festfeier am Geburtstage des Königs von Dänemark Christian VII. eine deutsche Rede in Versen, und als fünfzehnjähriger versuchte er in Steinbek zu predigen, wobei er durch seinen Ernst und seine Würde alle Anwesenden in Erstaunen setzte. Nachdem Karl St. im J. 1801 [688] sein Abiturientenexamen glänzend bestanden, zog er nach Göttingen, um daselbst Theologie und Philologie zu studiren. Hier zeichnete er sich durch seinen Fleiß und seine Fähigkeit aus und gewann am 4. Juni 1802 eine goldene Medaille für die Lösung einer Preisaufgabe: „De doctrina Graecorum et Romanorum de statu animarum post mortem“ (Altona 1803, 113 S.). Nach einjährigem Aufenthalt in Göttingen zog der junge Student nach Kiel, um der Forderung zu genügen, 2 Jahre auf einer einheimischen Universität zu verbringen. In Kiel behagten dem geistreichen lebhaften Jüngling die Vorlesungen und die Professoren nicht; er studirte privatim, suchte und fand anderweitige angenehme Gesellschaft, machte viel ernste und heitere Gelegenheitsgedichte und sandte sie seinen Eltern nach Hause. Kurz vor Weihnachten 1803 wurde er in Kiel Dr. phil. („Observationum et emendationum in Propertium edendum specimen“, 77 S., 8°) und kehrte nun zu seinen Eltern nach Altona zurück, um sich eine eigene Lebensstellung zu suchen. Der schöne Plan, einem reichen jungen Mann auf einer Reise nach Frankreich, Italien und Griechenland als Begleiter sich anschließen zu können, kam leider nicht zur Ausführung, weil der Betreffende erkrankte. Was nun beginnen? Zwei Stellen, beide außerhalb Deutschlands, wurden dem jungen Doctor angeboten; die eine in England (London), die andere in Livland durch den dortigen Professor Gaspari, zu dem die Struves in verwandtschaftlichen Beziehungen standen. St. wählte Livland. Im Frühjahr 1804 verließ Karl St. das Elternhaus und reiste zu Schiff nach Livland, um hier die Stelle eines Hauslehrers bei einem Herrn Meiners, 40 Werst von Dorpat, anzutreten. Durch Vermittelung seines Onkels Gaspari machte er die Bekanntschaft der Dorpater Professoren, insonderheit schloß er innige Freundschaft mit dem Professor der Nationalökonomie Friedr. Rambach, dem die Aufgabe zugefallen war, in Dorpat ein Gymnasium einzurichten. Professor Rambach, der den talentvollen Jüngling schätzen gelernt hatte, forderte ihn auf, die Stelle des ersten Lehrers der griechischen Sprache und Litteratur zu übernehmen; Karl St. ging mit Freuden darauf ein. Als am 15. (27.) September 1804 das Gymnasium feierlich eröffnet wurde, hielt der noch nicht zwanzigjährige Doctor eine lateinische Rede „De educatione et institutione puerorum apud veteres“. Allein sein Streben ging weiter. Im J. 1805 habilitirte er sich bei der philosophischen Facultät an der Universität („Diss. pro venia legendi de elementis Epidoclis,“ Dorpati, 28 S. 8°). Dann gründete er sich durch Verheirathung ein eigenes Haus. Neun Jahre verlebte Karl St. in Dorpat: als die schönsten Jahre seines Lebens hat er einst in einem Briefe sie bezeichnet. Als Lehrer am Gymnasium, als Privatdocent an der Universität gleichzeitig unterrichtend, litterarisch thätig, hatte er bald einen ansehnlichen Freundeskreis gefunden, zu dem auch die Professoren Rambach und Segelbach gehörten. Ueberdies waren zwei jüngere Brüder ihm nach Dorpat gefolgt: Wilhelm St., der spätere Professor der Astronomie, seit 1808; Ludwig, stud. med. seit 1811. Karl St. hielt Vorlesungen über Homer, Sophokles, Herodot, Juvenal, Horatius, über römische und griechische Alterthümer, über alte Geschichte und Mythologie, über griechische und lateinische Grammatik. Hier in Dorpat verfaßte er einige Abhandlungen: „Consilium de nova editione S. A. Propertii mox adornanda“ (1806, 39 S., 8°); „Juvenal’s erste Satire metrisch übersetzt und mit einem Commentar begleitet“ (1807, 49 S., 4°); „Sophoclis, ut volunt, Clytemnestrae fragmentum, post editionem Mosquensem principem edi curavit, notis adjectis“ (Riga 1807, 220 S.). Auch die später (1816) erschienene griechische Grammatik ist in Dorpat ausgearbeitet worden. Besonders bekannt wurde Karl St. in weiteren Kreisen durch eine Rede, die er am Krönungsfeste Kaisers Alexander I. (15. September 1812) im Gymnasium hielt: „Der Feldzug des Darius gegen [689] die Scythen“. In dieser bemerkenswerthen und mit vielem Beifall aufgenommenen Rede verweist er auf die Zähigkeit des Darius, durch die die Macht der eindringenden Scythen gebrochen wurde. Die Rede ist wiederholt deutsch gedruckt (1812, später 1813 und 1822), auch in russischer Sprache im „Sohn des Vaterlandes“ (1812, Nr. 4, S. 109) erschienen. – Während der Dorpater Periode war St. auch einmal in St. Petersburg, erneuerte hier die Freundschaft mit Friedrich Greef, schloß neue Freundschaft mit E. Koehler und machte Bekanntschaft mit dem Grafen Sergei Uwarow. – Trotz alledem wollte es ihm nicht gelingen – wonach er strebte – eine Professur an der Universität Dorpat zu erhalten: er war vom Conseil der Universität zum Professor der Geschichte gewählt worden, aber er wurde – aus unbekannten Gründen – von der Obrigkeit nicht bestätigt. Er sah sich nach einer andern Lebensstellung, nach einem andern Beruf um – er wollte Pfarrer werden. Im J. 1813 unterwarf er sich bei der theologischen Facultät der vorgeschriebenen Prüfung, erhielt den Grad eines Candidaten der Theologie, und bewarb sich um eine Pfarrstelle in der Nähe von Dorpat. Da er bereits die esthnische Sprache erlernt hatte, so konnte er mit Erfolg in Niggen (16 Werst von Dorpat) predigen; doch ein anderer Candidat erhielt die Stelle, – die Hoffnung war vergebens gewesen. Da erhielt er – durch Vermittlung des Professors Burdach und seines Onkels Gaspari – den Ruf nach Königsberg, um als Nachfolger Hamann’s die Stelle eines Directors am Altstädtischen Gymnasium zu übernehmen. Am 29. Mai 1814 verabschiedete er sich von seinen Schülern und Collegen und verließ mit schwerem Herzen das ihm und seinen Brüdern zur Heimath gewordene Dorpat. Wie oft hat er sich später dahin zurück gesehnt!

Als Karl St. das Amt eines Directors übernahm, war er erst 31 Jahre alt, viel jünger als mancher der Lehrer des ihm anvertrauten Gymnasiums, aber energisch und thatkräftig. Unter seiner Leitung kam das Gymnasium, wie allseitig anerkannt wurde, zur größten Blüthe. Fast 25 Jahre hat Karl St. in Königsberg gewirkt und sich den Ruf eines tüchtigen Schulmannes, eines gründlichen Gelehrten classischer Bildung erworben, wohl angesehen bei Collegen und Fachgenossen, insbesondere nahe stand er dem Professor C. A. Lobeck. – Allein die Last der Arbeit in der Schule drückte ihn nieder, – in Königsberg hatte er keine Aussicht eine Professur zu erlangen, seine Blicke waren immer noch auf Dorpat gerichtet – erst 1823 ließ er die Hoffnung, daselbst Professor zu werden, gänzlich schwinden. Als ein Wilnaer Professor der alten Litteratur gestorben war, beschloß St. sich um die erledigte Stelle zu bewerben, da wurde die Universität aufgehoben. Einen Ruf nach Baiern, woselbst man die Schulen nach preußischem Muster verbessern wollte, sowie einen Ruf nach Lübeck als Director des Gymnasiums lehnte er ab. – Trotz seiner übergroßen Arbeitslast als Director des Gymnasiums war Karl St. auf litterarischem Gebiet außerordentlich thätig. Außer einer Anzahl von Abhandlungen (28), die er in den Schulprogrammen veröffentlichte (kleinere und größere), außer den Vorträgen, die er in der Deutschen Gesellschaft zu Königsberg hielt (2. Juli 1824 öffentliche Rede bei Gelegenheit des hundertjährigen Geburtstages Klopstock’s; 18. Januar 1820 über die Ungewißheit der alten Geschichte u. a. m.), verfaßte er: „Griechische Grammatik für die Gymnasien des Lehrbezirks der k. Universität zu Dorpat; Formenlehre“ (Riga und Dorpat 1816, 2., verbesserte Aufl. 1823); „Abhandlungen und Reden, meist philologischen und pädagogischen Inhalts“ (Königsberg 1822, XXIII, 340 S.); „Ueber den politischen Vers der Mittelgriechen, eine Abhandlung“ (Hildesheim 1828, 139 S. 8°); „Quaestionum de dialecto Herodoti specimen“ (Regiomonti 1828, 421 S.); specimen secundum [690] (1829). Ferner lieferte er sehr schätzenswerthe Beiträge zu J. G. Schneider’s griechisch-deutschem Wörterbuch, einen Supplementband zu Buttmann’s neuer Ausgabe der vier Dialoge des Plato. Mit Ph. Buttmann, dem Herausgeber der griechischen Grammatik, stand St. in sehr regem Briefwechsel. Er veröffentlichte auch eine „Theorie der Parallellinien“ (Königsberg 1820) und gab einen Band „Gelegenheitsgedichte“ (Königsberg 1817, 126 S. 8°) heraus; ferner „Diana und Endymion“, ein Festspiel zur goldenen Hochzeit seiner Eltern (20. Januar 1833). – Ein Verzeichniß aller seiner Veröffentlichungen ist abgedruckt in Recke-Napiersky’s Gel.-Lexikon IV, 324–326, sowie in Beise’s Nachträgen II, 22 u. 26 und in den Opuscula selecta Caroli Ludovici Struvii, die sein Neffe J. Th. Struve in Leipzig 1854 herausgab (p. XLIV–XLIX).

Als Karl St. am 17. Juni 1838 nach kurzem Krankenlager aus diesem Leben schied, schrieb sein Freund Lobeck (Königsberg, K. Pr. Staatszeitung Nr. 135): „Struve der Philolog, ein berühmter Name ist in diesen Tagen unter uns erloschen, berühmt durch andere in andern Wissenschaften, in der classischen Philologie zuerst durch unsern verewigten Freund. Was er auf diesem Gebiet für griechische und lateinische Grammatik und Lexikographie geleistet, wird noch lange fortleben in der Wissenschaft, ein Denkmal seiner Thätigkeit, rühmlich der Zeit, der es angehört.“ – –

Karl St. hatte sich bereits in Dorpat im J. 1805 mit Wilhelmine Sparwat, Pflegetochter eines gewissen Roemer, der in Livland ein Gut besaß, verheirathet. In glücklicher Ehe lebte er, bis am Ende des Jahres 1832 durch eine Lungenentzündung ihm die geliebte Gattin entrissen wurde. Dieser Ehe entstammten 6 Kinder, 4 Töchter und 2 Söhne. Der jüngere Sohn Victor ging nach Amerika; der ältere Sohn Adolf Heinrich, geboren am 22. December 1809 in Dorpat, war Professor der Chirurgie an der Universität zu Charkow, und lebt heute hochbetagt, 83 Jahre alt, als Gutsbesitzer im Gouvernement Woronesch (Rußland). Die Töchter wurden verheirathet.

C. L. Struve, Opuscula selecta edidit J. Th. Struve. Vol. I, Lipsia 1854, p. XIII–XLIX: Vita C. L. Struvii.Lübker-Schroeder, Lexikon d. Schl.-H. Schr. 1829, S. 601–604. – Recke-Napiersky, Schriftsteller-Lexikon IV, Mitau 1832, S. 324–328.