ADB:Stolberg, Botho II. Graf zu

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Artikel „Stolberg, Botho II. Graf zu“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 324–327, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stolberg,_Botho_II._Graf_zu&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 23:11 Uhr UTC)
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Stolberg: Botho der Aeltere, Graf zu St., Sohn Graf Heinrich’s XVI. und der Elisabeth geb. Gräfin v. Hohnstein, geboren etwa 1375, † 15. März 1455. Ueber seine Erziehung wissen wir nichts bestimmtes; nur mit einiger Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß er an einem schwarzburgischen Hofe, wol in Sondershausen, vorbereitet wurde. Daß es sich bei ihm nicht nur, wie es in älterer Zeit Sitte war, um eine bloß höfische, noch weniger um eine kriegerische Ausbildung handelte, geht aus seinem Thun und den von ihm eingenommenen Stellungen zur Genüge hervor. Anfangs mit seinem älteren Bruder Heinrich regierend, der gegen 1416 starb, tritt er seit 1403 selbständig handelnd hervor und zwar in einer Thätigkeit, durch welche er der eigentliche Begründer der stolbergischen Hausmacht geworden ist. Im Jahre 1403 wird das Reichslehn Rosperwende, 1413 gemeinschaftlich mit Schwarzburg, zunächst pfandweise, dann dauernd Amt und Schloß Kelbra erworben, zu derselben Zeit theils durch Kauf, theils durch Erbschaft, Burg und Amt Hohnstein, seit 1417 ebenfalls mit Schwarzburg, kürzere Zeit auch noch mit zwei weiteren Mitbesitzern das reiche Amt Heringen. Dazu kommt, zunächst wiederkäuflich, im Jahre 1430 vom Landgrafen Friedrich von Thüringen Schloß Questenberg. Endlich gelangte er noch 1448 zunächst mit Graf Heinrich von Schwarzburg in den Pfandbesitz der gräflich beichlingschen Herrschaft Frohndorf. Andere Besitzungen, Rechte und Anwartschaften besaß er nur vorübergehend; dauernd waren noch seine Besitzungen und Rechte zu Harzgerode und Güntersberge. Seine Aufwendungen an Kaufgeldern und Vorschüssen werden auf rund 94,000, seine Bürgschaften auf 68,000 Gulden berechnet – Summen, welche für die damalige Zeit sehr erheblich waren und umsomehr für sein treffliches Wirthschaften zeugen, als seine hinterlassenen Schulden verhältnismäßig gering waren. Es ist anzunehmen, daß neben den gewöhnlichen Gefällen die mit Eifer von ihm betriebenen Bergwerksunternehmungen etwas erkleckliches einbrachten.

Zeugen seine übrigen Erwerbungen für den sicheren Blick, mit welchem er die Mehrung und Abrundung seines Hausbesitzes betrieb, der beim Ende seiner Regierung wohl mehr als das dreifache betrug, als er ihn überkommen, so scheint es, als ob dieser weite Ueberblick ihm bei der bedeutendsten Erwerbung, die ihm zufiel, nicht in gleichem Maaße eigen gewesen sei. Infolge einer Erbschaft, deren Grund kaum genau festzustellen sein wird, hatte B. sich schon 1417 in der Stadt Wernigerode huldigen lassen; etwa zwölf Jahre später fiel mit dem Tode des letzten Grafen von Wernigerode dann die ganze Grafschaft und [325] zugleich das erzreiche Amt Elbingerode auf dem Harz an ihn und sein Haus. Wohl drückt sich das außerordentliche dieser Erwerbung darin aus, daß er sich alsbald – schon im August 1429 – Graf zu Stolberg und Herr zu Wernigerode nannte, eine Vermehrung des Titels, wie sie bei keinem andern Erwerbe geschah. Aber schon seit dem J. 1438 sehen wir den Grafen Wernigerode bald halb, bald ganz an Schwarzburg verpfänden und mit ihm theilen, ja als Herzog Wilhelm der Aeltere von Braunschweig für seinen Sohn um die noch im zarten Kindesalter stehende Tochter Graf Botho’s – natürlich aus politischen Gründen – wirbt, da verschreibt ihr der Vater halb Wernigerode als Mitgift; Elbingerode aber wird mit Schulden beschwert. Kurfürst Friedrich von Brandenburg, der nach 68jähriger Lehnrührigkeit Wernigerodes vom Erzstift Magdeburg im Nov. 1449 durch den Vergleich von Zinna Oberlehnsherr dieser Grafschaft wurde, nöthigte den Grafen, die Pfandsumme, womit dieselbe beschwert war, abzulösen, und ihm wird es auch zu danken sein, daß Braunschweig die Verschreibung von halb Wernigerode wieder herausgeben mußte, an deren Stelle nun eine sehr hohe Mitgift an Geld trat.

Eine seiner wichtigsten Unternehmungen war Graf Botho’s Erbverbrüderung mit den Häusern Schwarzburg und Hohnstein. Da die harzisch-thüringischen Grafen und Herren es nie zu einer so festen allgemeinen Verbindung brachten, als es in andern Gegenden Deutschlands geschah, so suchte Graf B. sich mit den nächstgesippten und benachbarten Grafenhäusern möglichst fest zusammenzuschließen. So kam es am 24. Juni 1418 zu einer Erbverbrüderung mit den Grafen von Schwarzburg und Wernigerode, und als letztere ausgestorben waren, zu einem Landfriedensbündniß und Erbeinigung zwischen den Häusern Stolberg, Schwarzburg und Hohnstein am 18. August 1433, als deren Vorläufer schon ein zehn Jahre älterer Schutzvertrag zwischen denselben Häusern betrachtet werden kann. Es kam besonders für Graf B. nicht nur auf eine gesicherte Erbfolge an, oder auf die Niederhaltung unruhiger Ritter und Knappen, wider die man sich z. B. 1411 verband, es galt auch ein festes Zusammenhalten gegenüber den Zunöthigungen der damals immer mächtiger werdenden fürstlichen Gewalten. In einem erweiterten Bunde verpflichteten sich die Genossen im J. 1424 einander einträchtig behülflich zu sein, wenn die Lehns- und Erbherren sie ’homutigen‘, hochmüthig behandeln und ihnen ’Gedrenknisse‘ thun sollten, auch sie von hergebrachten Ehren und Würden brächten.

Solche Zunöthigungen kündigten sich wol schon an, wenn Graf Botho im J. 1428 mit anderen Grafen und Herren, freilich noch in milder Form zu einer Art landständischer Versammlung bei den Herzögen von Sachsen in Gotha erscheinen mußte. Von jener Zeit an sehen wir ihn auch oft als ’heimlichen‘, als vertrauten Rath beim Kurfürsten von Sachsen; zwischen 1429 und 1440 aber ist er dauernd ’Hofmeister‘ bei dem Landgrafen Friedrich d. J. von Thüringen. Bei der Regierungsunthätigkeit jenes Fürsten war die Stellung an und für sich eine recht bedeutsame und einflußreiche, aber weniger vortheilhaft vom Gesichtspunkte der gräflichen Hoheit. – In der unruhigen fehdereichen Zeit will es etwas sagen, wenn wir von keiner einzigen vom Grafen veranlaßten Fehde wissen, vielmehr ihm das Zeugniß geben müssen, daß er den Frieden nach Kräften zu erhalten suchte. Daß bei der Niederlage der Halberstädter bei Uftrungen im November 1437 auch stolbergische Mannschaft während seiner Abwesenheit betheiligt war und daß bei einer durch die schwarzburgische Erbfolge hervorgerufenen Fehde 1448 Graf B. mit Graf Heinrich von Schwarzburg plündernd in die Herrschaft einfiel, war eine nothwendige Folge der festen Verbindung der erbverbrüderten Grafen. Sonst leistete er nur durch seinen Namen oder durch Hülfsmannschaften in Kriegen und Fehden Dienste, besonders den [326] Erzbischöfen von Magdeburg und den Herzögen von Braunschweig gegen die Städte Magdeburg, Halle und Braunschweig. Mit Nordhausen waltete dagegen trotz der sich nahe berührenden und daher auch leicht kreuzenden Interessen meist ein gutes Verhältniß, mehr noch mit Erfurt. Durch den sog. Bruderkrieg wurde Graf B. in sehr unerwünschter Weise in die Wirren des sächsischen Hauses hineingerissen. Von 1445–1448 war er auf Seiten des Kurfürsten, neigte sich aber seit dem letzteren Jahre infolge des bei der schwarzburgischen Erbtheilung entstandenen Streits dem Herzoge Wilhelm zu. Der enge, feste Bund mit den benachbarten Grafen, insbesondere mit dem Hause Schwarzburg, war also auch hier bestimmend. Ueberhaupt steht der feste, während eines halb-hundertjährigen Regiments nie ernstlich gestörte Freundschaftsbund Graf Botho’s mit seinen schwarzburgischen Vettern, die ihrerseits auch stets zur Hülfe bereit waren, in der unruhigen fehdereichen Zeit einzig da. – Von dem großen persönlichen Ansehen und Vertrauen, welches Graf B. genoß, zeugen seine häufigen Vormundschaften, Bürgschaften, Theilnahme bei Nachlaßordnungen und Schiedsgerichten. Im J. 1451 steht er an der Spitze von elf vornehmen Räthen bei einem Austrägalverfahren zwischen Herzog Wilhelm von Sachsen und Friedrich von Witzleben. Inbetreff seiner Stellung als Reichsstand ist zu bemerken, daß er nach der Matrikel vom J. 1431 gleich den Grafen von Mansfeld mit 10 Gleven angesetzt ist, während die Grafen von Gleichen mit 8, die von Hohnstein-Clettenberg mit 6 Gleven nach ihm folgen. Eine besondere Beachtung verdient des Grafen Verhalten in kirchlichen Dingen. Durch Schenkungen an auswärtige Klöster zeichnete er sich nicht aus, vielmehr ist daraus eine Rücksicht auf das nahe gelegene und persönliche zu bemerken, daher denn besonders S. Martins Kirche und die Capellen zu Stolberg sich seiner Gunst zu erfreuen hatten. Wenn er aber besonders den Bettelmönchen gewogen war und innerhalb seiner Lande das Augustiner-Einsiedlerkloster Himmelpforten bei Wernigerode das einzige ist, welchem er noch letztwillig etwas vermachte, so ist wol mit Recht daran erinnert worden, daß hier das herkömmliche große Interesse seines Hauses an der Predigt bestimmend war. Zu beachten ist sein entschiedenes Bemühen um die Reformation von Klöstern und Stiftern. Unter seinem Schutz konnte der aus Osnabrück fliehende Heinrich Zolter die Reformation der Augustiner-Einsiedlerklöster um 1430 in Himmelpforten beginnen. Unter ihm that der bedeutende Fortsetzer dieses Unternehmens Andreas Proles in demselben Kloster Profeß. In Ilsenburg wurde die Reformation 1452 durchgeführt. Den geistlichen Herren des gräflichen Familienstifts in Wernigerode gegenüber trat er im October 1451 sehr entschieden auf, verwies ihnen ihr unsittliches Leben und ihre Beschäftigung mit Berg- und Waldwerk. Da ihm die völlige Durchführung dieses Reformationswerkes nicht mehr möglich war, so legte er dasselbe noch in seinem letzten Willen dem einzigen Sohne ernstlich ans Herz. Schaurig waren allerdings die von ihm und seinem Sohne hinsichtlich des weltlichen Arms geleiteten Ketzergerichte der Dominicaner zu Stolberg und Lorenzrieth im J. 1454, wobei an ersterem Orte nach entsetzlicher Kerkerhaft 30 Personen, Männer, Weiber und Kinder, an letzterem ein Mann und Weib verbrannt wurden. Wenn aber der erlauchte Verfasser der stolbergischen Familiengeschichte Graf Botho’s d. Aelteren Geschichte gern von diesem Flecken reinwaschen möchte, so ist zu bemerken, daß die römische Kirche zwar die Strafe dem weltlichen Richter überließ, daß aber dieser mit dem eigentlichen Gericht, als einem geistlichen, und dem Urtheil über die durch die Folter erpreßte Schuld nichts zu thun hatte. Eine Verweigerung des weltlichen Arms gegen solche gerichtet wäre ein verdammungswürdiger Ungehorsam gegen die Kirche gewesen.

Graf Botho war nur einmal vermählt und zwar im Juni 1431 mit Anna, [327] Tochter Graf Heinrich’s von Schwarzburg. Damals schon in den fünfziger Jahren stehend wurde er von seiner Gemahlin gegen 1433 und 1434 mit einem Sohne Heinrich und einer Tochter Elisabeth beschenkt. Ersterer wurde sein Nachfolger und starb 1511, letztere, dem Herzoge Wilhelm dem Jüngeren vermählt, wurde Stammutter des mittleren Hauses Braunschweig und ging in einem noch höhern Alter 1520 heim.

Nachdem Graf Botho am 15. März 1455 gestorben war, wurde er zwei Tage später in der Gruft seiner Väter in der Herrencapelle zu St. Martini in Stolberg beigesetzt.

Botho, Graf zu Stolberg-Wernigerode, Gesch. des Hauses St.-W., herausgegeben von G. A. v. Mülverstedt. Magdeburg 1883. S. 171-289.