Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Steinheil, Adolf“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 717–720, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Steinheil,_Adolf&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 15:26 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Steinhäuser, Carl
Band 35 (1893), S. 717–720 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Nach Wikipedia-Artikel suchen
Adolf Steinheil in Wikidata
GND-Nummer 129222356
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|35|717|720|Steinheil, Adolf|Ernst Wunschmann|ADB:Steinheil, Adolf}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=129222356}}    

Steinheil: Adolf St., Militärpharmaceut und Botaniker, geboren zu Straßburg i/E. im December 1810, gestorben während der Ueberfahrt von der Insel Martinique nach Caracas am 26. Mai 1839. Nach Absolvirung des Gymnasiums seiner Vaterstadt kam St. noch sehr jung an das Laboratorium von Chevreuil in Paris und bildete sich hier zu einem tüchtigen Chemiker aus, während er nebenher mit Eifer Botanik trieb. Durch Reisen im nördlichen Frankreich erweiterte er seine floristischen Kenntnisse und schuf sich ein ansehnliches Herbarium. Ein bei dieser Gelegenheit in der Umgegend von Le Havre gefundenes Exemplar von Salvia pratensis mit alternirenden Blättern gab ihm Veranlassung zu einer kleinen, der Pariser Société d’histoire naturelle eingereichten [718] Arbeit, in welcher er eine neue Erklärung der Entstehung der Blatt- und Blüthenquirle zu geben suchte. Die Arbeit blieb Manuscript, fand aber die Anerkennung der gelehrten Gesellschaft wegen der bewiesenen scharfen Beobachtungsgabe. Ueberhaupt kennzeichnet St. in seiner wissenschaftlichen Thätigkeit der Drang nach gründlicher Erfassung jedes, auch des schwierigsten Problems. In Begleitung eines auf einer Excursion ihm bekannt gewordenen Pflanzenliebhabers machte St. eine Reise nach Montpellier, welche ihm nicht nur eine gute Kenntniß der südfranzösischen Flora verschaffte, sondern auch in Berührung mit gelehrten Botanikern, wie Delile, Auguste de Saint-Hilaire und Dunal brachte, durch welche angeregt, St. seine ihm lieb gewordenen morphologischen botanischen Studien mit Eifer wieder aufnahm. Gerade um jene Zeit waren durch die Arbeiten von Roeper, Dunal und Moquin-Tandon über Blüthenentwicklung und die Beziehungen der einzelnen Blüthentheile zu einander die Fragen nach dem Dedoublement und Abortus von Pflanzenorganen der wissenschaftlichen Welt nahe gelegt worden und da eben jene Punkte auch Steinheil’s specielle Forschungen betrafen, so erhöhte sich sein wissenschaftlicher Eifer, ohne seine floristischen Studien zu stören, in deren Interesse er Ausflüge nach Nimes und Avignon unternahm. Nach Paris zurückgekehrt zwangen ihn Familienverhältnisse, seine Zukunft ins Auge zu fassen. Sein jüngster Bruder war zu den Fahnen einberufen worden. Da dieser von schwächlicher Constitution war, so lag der Familie daran, ihn loszukaufen, und dies konnte nur dadurch geschehen, daß St. als Ersatz für den Bruder eintrat. So wurde er Militärpharmaceut, wozu seine chemische Vorbildung ihn besonders befähigte, und versah seinen Dienst am Hospital Val-de-Grâce in Paris. Seine bald erfolgte Versetzung nach Lille, wiewol für sein Avancement von Vortheil, wirkte nachtheilig auf seine Gemüthsstimmung. An seinen Lebensgewohnheiten, dem Umgange mit der Familie und den Freunden dadurch gehindert, den wissenschaftlichen Hülfsquellen ferne gerückt, bemächtigte sich Steinheil’s eine Melancholie, die ihn zeitweise ganz beherrschte und die er nur durch angestrengteste geistige Thätigkeit zuweilen überwand. Ein Abstecher nach Calais gab ihm Veranlassung, die dortige Vegetation zu studiren und durch Untersuchungen des Stengels von Lamium album nahm er seine anatomisch-morphologischen Forschungen wieder auf. Die französische Expedition nach Algerien veranlaßte ihn, um seine Versetzung zu den kriegführenden Truppen zu bitten, wol hauptsächlich in der Absicht, seine botanischen Kenntnisse zu fördern. Er kam nach Bona kurz nach der Einnahme dieser Stadt und bewies in seiner militärischen Stellung die unermüdlichste Pflichttreue, die durch grassirende Fieber in der Armee und Bevölkerung auf eine harte Probe gestellt wurde. Dennoch war er wissenschaftlich unermüdlich thätig. In einem dürftigen Hause untergebracht, zu dem der Regen Zutritt hatte, konnte er nur mit Mühe seine Pflanzen trocken erhalten, doch brachte er es zu Stande, das gesammelte Material, wie es seine Gewohnheit war, zu zeichnen, zu analysiren und zu beschreiben. Infolge dieser Anstrengungen erkrankte er am Wechselfieber und mußte, nur ungern dem Drängen seiner Kameraden nachgebend, um Zurückberufung bitten. So kam er 1834 wieder nach Paris. Die häusliche Pflege der Seinen gab ihm seine körperliche Gesundheit und auch seine frühere heitere Gemüthsstimmung wieder. Die Mußezeit benutzte er zu den Vorarbeiten für eine Publication über die Pflanzen der Berberei, die er als „Matériaux pour servir à une Flore de Barbarie“ in mehreren Artikeln veröffentlichte, deren erster im Februarheft und deren zweiter im Maihefte der Ann. sc. nat. von demselben Jahre erschien. Völlig genesen kam er an das Militärhospital in Versailles. Hier schloß er Bekanntschaft mit dem älteren Edwards und mit Philippar, die ihn zur Theilnahme an ihren Arbeiten heranzogen und ihm die Berufung zum Mitgliede der Société d’histoire naturelle verschafften. 1835 wurde er nach [719] Straßburg versetzt, wo er sich an W. Schimper anschloß, und kehrte gegen Ende 1837 unter Beförderung seines Grades als chirugien sous-aide major an das Pariser Hospital Val-de-Grâce zurück. Gleichzeitig erhielt er auf Grund einer Preisarbeit die silberne Medaille. Von der naturwissenschaftlichen Akademie, deren Mitglied St. war, wurde er der französischen Regierung, die damals mit dem Plane umging, in mehreren Städten Frankreichs wissenschaftliche Facultäten zu errichten, als Candidat für die Besetzung einer Professur vorgeschlagen. Die Wahl fiel indessen nicht auf ihn, was ihm als eine unverdiente Zurücksetzung erschien und den früheren trüben Gemüthszustand wieder veranlaßte. Da griffen seine Freunde helfend ein. Sie schlugen ihm vor, eine auf ihre Kosten auszuführende wissenschaftliche Forschungsreise nach Südamerika zu machen, hauptsächlich zu dem Zweck, die verschiedenen Arten der Chinabäume an Ort und Stelle zu studiren. Mit Eifer ergriff St. diesen Plan und machte sich unverzüglich an die dazu nöthigen Vorarbeiten. Unter dem Titel eines Correspondenten des Museums von Paris trat er von Bordeaux aus im Frühling 1839 an Bord des „Orinoko“ seine Reise an. Am 3. Mai erreichte er Saint-Pierre auf Martinique. Einen kurzen Aufenthalt daselbst benutzte er zu botanischen Excursionen, wobei er sich unbedacht zu häufig den Strahlen der tropischen Sonne aussetzte, doch verließ er, anscheinend gesund, am 19. Mai die Insel zur Ueberfahrt nach Curupana an der Küste von Venezuela, von wo aus er nach ganz kurzem Aufenthalte, doch schon unter den Anzeichen des gelben Fiebers, sich zur Weiterfahrt nach Caracas einschiffte. Aber bevor die Expedition den Hafen La Guayra erreichte, verschied er im jugendlichen Alter von noch nicht 29 Jahren und fand sein Grab in den Fluthen des Meeres. Steinheil’s wissenschaftliche Arbeiten fallen in den Bereich der botanischen Morphologie und Systematik. Seine speciellen Studien auf dem ersteren Gebiet sind auf die Fragen gerichtet, in welcher Weise appendiculäre Organe der Pflanzen, Blätter und Blüthen hinsichtlich ihrer Entstehung durch Dedoublement oder Abortus zu erklären sind. Er giebt die ersten Gedanken darüber schon in seiner ersten, Eingangs erwähnten, nicht gedruckten Schrift: „Coup-d’oeil rapide sur plusieurs lois de l’organogénie“, die im December 1830 in einer Sitzung der Soc. d’hist. nat. zur Verlesung kam. Bei den Monocotyledonen sei es normal eine Blattanlage, bei den Dicotyledonen seien es zwei, die durch Theilung in medianer und lateraler Richtung Blatt- und Blüthenquirle erzeugen. Für die genannte Arbeit war es ein abnorm entwickeltes Exemplar von Salvia pratensis, für eine zweite ähnlichen Inhaltes, im Mai 1831 publicirt, ein solches von Scabiosa atropurpurea, die seine Theorie stützen sollten. Die auf dem Wege der Vergleichung gewonnenen morphologischen Resultate suchte St. dann weiter durch anatomische Untersuchungen zu erhärten, so behandelte er in einer 1834 der Akademie eingereichten Arbeit den Gefäßbündelverlauf im Stengel von Lamium album und suchte hieraus die Bildung der Anhangsorgane zu erklären. Eine umfangreichere Abhandlung: „Quelques observations sur la théorie de la phyllotaxis et des verticilles“, August 1835, wendete sich gegen die Braun-Schimper’sche Theorie der Spiralstellung, die er als Abweichung vom normalen Zustande der Alternation, hervorgerufen durch die physiologische Thatsache des Lichtbedürfnisses der Pflanzen bezeichnete. Zwei Jahre später erschien in der Abhandlung: „Observations sur le mode d’acroissement des feuilles“, eine durch zahlreiche Messungen an Blättern erläuterte Darlegung seiner Ansicht im Einzelnen. Während seines Straßburger Aufenthaltes erschien 1836 die Schrift: „De l’individualité considerée dans le regne végétal“. An eine so strenge Individualität, wie sie im Thierreich vorkommt, glaubt St. bei den Pflanzen nicht; sie sei vielmehr relativ und man könne z. B. bei den Monocotyledonen einen, bei den Dicotyledonen zwei Zellcomplexe als Individuum [720] ansprechen. Von Steinheil’s Arbeiten zur descriptiven Botanik sei zunächst genannt eine „Note sur la spécification des Fumeterres et sur leurs propriétés médicales“, 1833 im Archives de Botanique erschienen, worin er die verschiedenen Fumaria-Arten unseres Klimas nur als Racenvarietäten angesehen wissen will. Ferner beschäftigten ihn die genera Urginea und Scilla aus der Familie der Liliaceen und Zannichellia, eine Potamogetonee. Die bezüglichen Aufsätze sind abgedruckt in den Abhandlungen der Sc. nat., beziehungsweise Juni 1834, November 1837 und Februar 1838. Wichtiger sind Steinheil’s floristische Arbeiten. Neben den bereits genannten Materialien zur Flora der Berberei, von denen noch ein letzter Artikel 1838 herauskam, ist hervorzuheben eine Schrift über Dünenpflanzen: „Observations sur la végétations des dunes à Calais“, publicirt 1835 in den Mém. sc. nat. Seine-et-Oise, in der er einen interessanten Vergleich zieht zwischen der Flora des afrikanischen Wüstenlandes und des Dünensandes der Nordküste Frankreichs. Im Anschluß hieran gab er in den „Observations sur le climat, le sol et la Flore des environs de Bone“, abgedruckt in den Mém. med. milit. tome XXIX, 1836; eine allgemeine Uebersicht über die Vegetationsverhältnisse von Bona. Endlich behandelte St. noch die physiologische Frage der Saftströmung in den Pflanzen in einer 1838 veröffentlichten Schrift: „Qu’entend-on par endosmose et exosmose?“

J. Decaisne, Notice sur A. Steinheil. – Pritzel, thes. lit. bot.