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Artikel „Stalder, Franz Joseph“ von Ludwig Tobler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 416–417, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stalder,_Franz_Joseph&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 08:55 Uhr UTC)
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Stalder: Franz Joseph S., aus einer alten bürgerlichen Familie der Stadt Luzern, geb. am 14. Septbr. 1757, besuchte die Schulen seiner Vaterstadt und erlangte im Jahre 1786 die Priesterweihe. Er leistete dann Dienste als Pfarrvicar in der Stadt und in zwei Gemeinden des Entlebuch und wurde im Jahre 1792 Pfarrer in Escholzmatt, wo er bis 1821 blieb und neben dem geistlichen Amte 20 Jahre lang das Schulinspectorat mit großem Eifer verwaltete. Im Jahre 1822 zog er sich wegen Altersbeschwerden aus jener Stellung zurück und verbrachte den Rest seines Lebens als Canonicus in Beromünster, wo er im Jahre 1833 starb.

Seine Thätigkeit als Pfarrer und Schulinspector ließ ihm noch Zeit, gab ihm aber auch vielfache Gelegenheit, die Zustände und Eigenthümlichkeiten des Volkes gründlich kennen zu lernen. Seine „Fragmente über Entlebuch“ (2 Bde., Zürich 1797–98) behandeln die wirthschaftlichen Verhältnisse, den Charakter [417] und die Sitten der dortigen Bevölkerung. Im Jahre 1806 erschien der erste Band seines „Versuch eines schweizerischen Idiotikon, mit etymologischen Bemerkungen“ (Basel und Aarau, Flick), dem Erbprinzen Georg von Mecklenburg-Strelitz gewidmet, der im J. 1802 auf einer Reise bei ihm eingekehrt war und großes Interesse an den Sitten der schweizerischen Gebirgsbewohner gezeigt hatte. Der zweite Band, der Regierung von Luzern gewidmet, erschien im Jahre 1812 (Aarau, Sauerländer). Schon dem ersten Bande war eine kurze „Dialektologie“ (Grammatik mit Proben einzelner Mundarten) beigegeben. Mit Hülfe seines Freundes, Prof. Füglistaller in Luzern, der die altalemannische Sprache aus den Schriften des Kero und Notker in St. Gallen studirte, und auf Antrieb des französischen Ministers Cretet, arbeitete er die „Dialektologie“ weiter aus und sie erschien als ein stattlicher Band im Jahre 1819 (im selben Verlage wie der zweite Band des Idiotikons) unter dem Haupttitel „Die Landessprachen der Schweiz, mit kritischen Sprachbemerkungen. Nebst der Gleichnißrede vom verlorenen Sohn in allen Schweizermundarten“.

Da der erste Band der „Deutschen Grammatik“ von J. Grimm in demselben Jahre erschien, so konnte St. nicht von diesem Werk angeregt sein, während umgekehrt Grimm in den folgenden Bänden vielfach St. benutzte und gebührend anerkannte. Es ist erstaunlich, wie zu einer Zeit, wo es noch keine deutsche Sprachwissenschaft gab und auch erst wenige Idiotiken in Deutschland erschienen waren, ein katholischer Pfarrer in einem abgelegenen Bergdorfe der Schweiz den Gedanken fassen konnte, solche Werke zu schreiben. Seine Schulstudien hatten ihm dazu keine Anregung gegeben und auch sein späterer Verkehr mit Mitgliedern der „Helvetischen Gesellschaft“ (deren Versammlung er drei Mal präsidirte) und mit benachbarten reformirten Geistlichen konnte ihm keine Fachkenntnisse verschaffen. Er mußte Alles durch stillen Privatfleiß aus Büchern schöpfen, deren Herbeischaffung ihm auch schwer genug gefallen sein wird. Mitglied des „Frankfurtischen Gelehrtenvereins“ und der „Berlinischen Gesellschaft für deutsche Sprache“ ist er erst durch seine Werke geworden. St. hat Alles geleistet was unter seinen Lebensumständen möglich war, und darf als Vorläufer Schmeller’s bezeichnet werden. Er arbeitete auch unablässig an Nachträgen zu seinem Idiotikon; das fertige Manuscript zu einer zweiten Auflage desselben liegt auf der Stadtbibliothek Luzern und ist dem neuen Schweizerischen Idiotikon, das seit 1881 bei Huber in Frauenfeld erscheint, zu Grunde gelegt worden.

Gelehrten- und Schriftstellerlexicon von Waitzenegger, Landshut 1820, Il, 361–363. – Jahrbuch der Luzernischen Kantonallehrerconferenz 1858, S. 35–53 (besonders über Stalder’s Wirksamkeit im Schulwesen).