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Artikel „Schlüter, Karl H. W.“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 611–612, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schl%C3%BCter,_Karl&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 13:21 Uhr UTC)
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Schlüter: Karl H. W. S., Bildhauer, geboren am 24. October 1846, † am 26. October 1885. S. ward am 24. October 1846 zu Pinneberg in Schleswig-Holstein als Sohn des Arztes August Marcus Dietrich S. geboren. Schon seit seiner Kindheit eine ungewöhnliche Begabung für die Kunst verrathend und vom Vater in seinen künstlerischen Bestrebungen wirksam gefördert, bezog er im J. 1865 die Akademie zu Dresden und trat im J. 1868 als Schüler in das Atelter des Bildhauers Johannes Schilling ein. Seine erste größere Arbeit wurde die im J. 1871 vollendete überlebensgroße Statue eines Germanen, der mit dem Fuße römische Waffen und Legionsadler zertritt. Sie ließ die Eigenart des Künstlers noch nicht erkennen, trug ihm aber auf der Dresdner Ausstellung akademischer Schülerarbeiten die kleine goldene Medaille und im J. 1873 in Wien die Medaille der Weltausstellung ein. Da auch die weiteren Arbeiten, die S. in Schilling’s Atelier ausführte, allgemeinen Beifall fanden und der akademische Rath in Dresden ihn in mehrfacher Hinsicht auszeichnete, wurde ihm im März 1873 von Seiten des preußischen Ministeriums ein Reisestipendium zu einem zweijährigen Aufenthalt in Italien bewilligt. Im Herbste des genannten Jahres begab sich S. über Venedig, Bologna und Florenz nach Rom, wo er am 23. December anlangte und mit einer kurzen Unterbrechung bis zum Herbste [612] 1876 verweilte. In Rom entstand Schlüter’s Hauptwerk, der „Hirtenknabe“. Zuerst für Geheimrath Hitzig in Berlin in kleinem Maaßstabe in Bronze ausgeführt, wurde er im September 1878 in Marmorausführung für die Berliner Nationalgalerie angekauft. S. läßt in diesem Werke eine heitere Auffassung der Natur erkennen, welche durch ein strenges Gefühl für das Schöne in feste Grenzen gebannt wird. Seit dem Ende November 1876 lebte er wieder in Dresden und vermählte sich hier im August 1880 mit einer Tochter des Musikschriftstellers Professor Emil Naumann. Die Büste seiner jugendlichen Frau, welche in die Galerie Seitz nach Nürnberg gelangte, eine der besten Portraitbüsten der neueren deutschen Kunst, ließ erst erkennen, auf welchem Gebiete die eigentliche Begabung Schlüter’s zu suchen war. Seine besten Arbeiten aus den letzten Jahren seines Lebens waren gleichfalls Portraitbüsten, so die im J. 1882 ausgeführte der Frau Niemann-Seebach, welche jedoch von der Künstlerin nicht angenommen wurde, weil sie sich zu alt in der Wiedergabe Schlüter’s vorkam. Eine vorzügliche Arbeit wurde auch der für das Museum der Gipsabgüsse in Dresden bestimmte weibliche Studienkopf. Leider sollte das freudige, der Vollkommenheit von Jahr zu Jahr sich mehr nähernde Schaffen des Künstlers vorzeitig abgebrochen werden. Am 20. October 1885 erkrankte S. an der Diphteritis und schon am 26. October erlag er dem heimtückischen Leiden, dem wenige Tage später auch seine Frau zum Opfer fiel. – „Die Formenwelt, in der sich S. bewegte“, urtheilt Max Lehrs, „war eine eng begrenzte. Jene große Monumentalplastik der Schilling’schen Schule, aus der er selbst hervorgegangen, lag außerhalb der Grenzen seines Reiches. Er lebte in einer Welt heiterer Anmuth und leidenschaftsloser Schönheit. Nur wenig konnte er in der kurzen Spanne Zeit, die ihm vom Schicksal zugemessen war, vollenden, aber das Wenige vollendete seine fleißige Hand mit einer Liebe und Sorgfalt, wie sie in unserer nach immer neuen Effecten jagenden Zeit sehr selten angetroffen wird. Er folgte der Natur bis in die geheimsten Fasern ihres innersten Daseins und umkleidete seine Gestalten mit dem keuschen Zauber des Unbewußten. Der lyrische Stimmungsgehalt ist darum auch all seinen Schöpfungen gemeinsam, und ihr Hauptreiz basirt im wesentlichen auf dem Geheimnisse der Verbindung einer realistischen Wiedergabe des Lebens mit einem vornehmen Idealismus, der individuelle Züge des Modells nicht in das Kunstwerk überträgt und sich gleichweit entfernt hält von akademischer Nüchternheit und aufdringlicher Naturwahrheit.“

Vgl. Zeitschr. f. bildende Kunst. Hrsg. von Karl v. Lützow, Jahrg. 20, S. 125–134. Leipzig 1885.