ADB:Schütz, George Ludwig Christoph

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Artikel „Schütz, George Ludwig Christoph“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 121–124, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sch%C3%BCtz,_George_Ludwig_Christoph&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 14:20 Uhr UTC)
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Schütz: George Ludwig Christoph S., hervorragender Industrieller und ausgezeichneter Musterzeichner, geboren am 2. Juli 1802 zu Hannover; † zu Wurzen i. S. am 22. März 1877. S. wurde am 2. Juli 1802 zu Hannover als Sohn eines Goldschmiedes geboren. Als solcher wurde er vom Vater gleichfalls für das Goldschmiedhandwerk bestimmt und trat mit 14 Jahren als Lehrling in das Geschäft seines Vaters ein, nachdem er bereits durch einen gewissen Winkelmann tüchtigen Unterricht im Zeichnen empfangen hatte. Am liebsten wäre er Maler geworden, aber die Bedenken des Vaters gegen diesen unsicheren Lebensberuf verhinderten die Ausführung seines Wunsches. Nach Vollendung der Lehrjahre begab sich S. auf die Wanderschaft. Noch nicht 18 Jahre alt, arbeitete er ein Jahr lang bei einem Goldschmied zu Kassel, wo er durch den Verkehr mit mehreren gebildeten Familien für Herz und Geist mannichfache Anregung erfuhr. Von Kassel kehrte er für die Dauer eines Jahres nochmals ins väterliche Haus zurück, um sodann in Stuttgart im Geschäfte von Sick jun. eine Stellung als Ciseleur anzunehmen, wo er 20 volle Monate hindurch als Volontär ohne Gehalt mit Anfertigung von figürlichen Arbeiten zu Tafelservicen und Tafelaufsätzen für den König von Württemberg beschäftigt war. Von Stuttgart wandte er sich nach Straßburg i. E. Die Arbeiten des genialen Goldschmiedes Kirstein, die er hier sah, erregten in ihm den sehnlichen Wunsch, sich ebenfalls als Künstler in seinem Fache auszuzeichnen. Obwohl ohne alle Mittel und nur auf die Unterstützung eines Gönners, des Justizkanzleidirectors v. Hinüber aus Hannover, angewiesen, begann er die Ausführung einer Silberplatte, welche im Hochrelief Hercules im Kampf mit dem Löwen darstellte. Um das Werk vollenden zu können, mußte er sich während der Arbeit jeglichen Genusses enthalten. Ohne etwas Warmes zu sich zu nehmen, lebte er sieben bis acht Wochen von frischen Zwetschen und Brod, mußte aber dennoch nach vierzehn Wochen seine Thätigkeit einstellen, da sich Niemand mehr fand, um ihm Unterstützung zu gewähren. Ein Befehl des Vaters, der den künstlerischen Versuch des Sohnes mißbilligte, bestimmte S. nach Basel überzusiedeln und in dem Geschäfte eines gewissen Hauptmann Pfander eine Stelle anzunehmen. Da er sich jedoch mit seinem durchaus unkünstlerischen Principal nicht ins Einvernehmen setzen konnte, beschloß er, den ganzen Goldschmiedskram für immer an den Nagel zu hängen und die Miniaturmalerei auf Elfenbein auf eigene Faust zu erlernen. Unter den erschwerendsten Umständen fertigte er eine Copie nach einem Christuskopf an, welche ihm für acht Laubthaler von einem Kunstfreund abgekauft wurde. S. verwandte sie, um noch zwei weitere Copien desselben Werkes anzufertigen, da ihn sein erster Versuch nicht befriedigte. Der Lohn für solchen Fleiß blieb nicht aus. S. erhielt zahlreiche Aufträge für Porträts, namentlich in Altkirch, [122] wohin er sich von Basel aus begeben hatte. Im Begriff, die gemachten Ersparnisse zu seiner weiteren künstlerischen Ausbildung in München oder Rom zu verwenden, lernte er in Altkirch einen gewissen Kraft kennen, der mit der Erfindung einer Gravirmaschine beschäftigt war, aber aus Mangel an Vermögen sie nicht vollenden konnte. S. beschloß daher, nicht nur ihm das nöthige Geld aus eigenen Mitteln vorzustrecken, sondern reiste sogar mit Kraft zu seinem Vater nach Hannover, um ihn zur Unterstützung des Unternehmens zu bestimmen. Dieser ging auf den Plan, obwohl höchst ungern, ein, und S. begab sich mit Kraft wieder nach Altkirch zurück. Hier zeigte sich jedoch, daß er von Kraft schmählich betrogen war, da dessen Maschine nur zu untergeordneten Zwecken im Graviren nutzbar war, niemals aber für wirklich künstlerische Aufgaben hätte brauchbar gemacht werden können. In seiner Verzweiflung über diese Täuschung und über den drohenden Verlust des vom Vater empfangenen Darlehens machte sich S. selbst daran, die Verbesserung der Erfindung vorzunehmen, obwohl er sich bis dahin mit dem Maschinenbau noch nicht befaßt hatte. Nach drei Jahren schwerer Arbeit war S. so weit, daß er glaubte, die Maschine soweit verbessert zu haben, daß damit die Gravirung einer für die Kattundruckerei bestimmten kupfernen Walze ausgeführt werden könnte. Für den Fall des Gelingens hatte ihm der Mühlhausener Fabrikant Kaspar Dollfus die Summe von 1200 Francs für die Maschine zugesagt. Dollfus aber verlangte gleichzeitig, „daß das von S. zu gravirende Dessin eine vom bisherigen Genre ganz abweichende neue Erscheinung in Möbelzeugen zur Garnirung von Schlafzimmern, Bettumhängen, Gardinen u. s. w. bieten sollte und zwar ein in naturgroßen Blumen schlafendes, nacktes Kind von halber Körpergröße und -länge“. Da es damals noch ganz an geschickten Musterzeichnern für derartige größere Aufgaben fehlte, sah sich S. genöthigt, selbst das verlangte Muster zu entwerfen. Selbstverständlich bereitete ihm die Ausführung dieses neuen Unternehmens, für welches er wiederum einzig und allein auf seine Kräfte angewiesen war, die größten Schwierigkeiten. Da es Winter war, mußte er die nöthigen Vorstudien für die Blumen nach alten Kupferstichen machen, an denen er wenigstens annähernd den inneren Bau der Rosen und Blätter ersah. Weit leichter als die Zeichnung der Blumen fiel S. der Entwurf zu dem schlafenden Kinde, das er nach der Natur, in einer Wiege liegend, aufnahm. Das schließliche Resultat seiner Bemühungen befriedigte S. in hohem Grade und gefiel auch Dollfus so gut, daß er die Gravüre zu dem bedungenen Preis bei S. bestellte. Die mit ihr angestellten Versuche gelangen vortrefflich, und es zeigte sich, daß man bis dahin weder in Frankreich, noch gar in Deutschland Aehnliches in Wirkung und Kupferausführung zu leisten vermocht und daß nur England gelegentlich einzelne solcher Möbelmuster, allerdings in matteren Farben, hervorgebracht hatte. Der Ruf von Schützens Leistung verbreitete sich rasch unter den Fabrikanten des Elsaß. Er knüpfte mit mehreren unter ihnen Verbindungen an, z. B. mit Daniel Köchlin in Mülhausen, der dort eine Walzenstecherei in großartigem Maßstabe zu errichten wünschte, und dem Papierfabrikanten Zuber, dem Begründer einer der bedeutendsten Tapetenfabriken Frankreichs in Rixheim bei Mülhausen. Dem letzteren kam es vor allem darauf an, ein Verfahren kennen zu lernen, mit Hülfe dessen er in den Stand gesetzt wurde, die Tapetenpapiere in ähnlicher Weise zu bedrucken wie Kattune. S. gelang es diesen Wunsch zu erfüllen, indem er ein Walzendruckwerk für Tapeten erfand, für welches Zuber ein zehn Jahre gültiges Patent in Frankreich erwarb. Leider sah sich S., dessen Künstlernatur viel zu vertrauensselig war, und der sich auf die Wahrung geschäftlicher Vortheile viel zu wenig verstand, durch eine frühere Verabredung mit Köchlin verhindert, das Anerbieten Zuber’s, sein Compagnon zu werden, anzunehmen. Er schloß vielmehr [123] mit Köchlin einen Contract, verlegte seinen Wohnsitz von Altkirch nach Mülhausen und richtete vorerst sein Augenmerk darauf, gefällige und reiche Muster für das Möbelfach zu entwerfen. Weshalb er sein Verhältniß zu Köchlin wieder löste, entzieht sich unserer Kenntniß. Dagegen setzte ihn seine Verbindung mit Zuber in die Lage, an die Errichtung einer eigenen Tapetenfabrik in Hannover zu denken. Um die Concurrenz des Auslandes aushalten zu können, galt es vor allen Dingen, die maßgebenden Kreise des Königreichs für die Erhöhung der bestehenden Tapetensteuer zu gewinnen. S. reiste zu diesem Zwecke über Paris nach London, wo er mit dem Grafen Münster in Verhandlung trat. Zufrieden mit den ihm eröffneten Aussichten kehrte S. nach Mülhausen zurück und siedelte Ende August 1830 nach Hannover über, um die Etablirung seiner eigenen Fabrik ins Werk zu setzen. Da Hannover bis dahin ein reiner Ackerbaustaat war und z. B. in der Hauptstadt noch keine einzige Fabrik vorhanden war, waren die Schwierigkeiten, die S. zu überwinden hatte, ungemein groß. Es existirte dort nicht ein einziger Maschinenbauer, ebenso wenig auch nur eine Maschine. Dampfmaschinen kannte man nur aus Abbildungen oder vom Hörensagen. Es kann unter diesen Umständen nicht Wunder nehmen, daß S. auf die Dauer mit seinem Unternehmen nicht bestehen konnte, obwohl es ihm in den dreißiger Jahren gelang, von Hannover aus in St. Petersburg eine Tapetenfabrik einzurichten und so seine Muster und Formen besser auszunützen. Im J. 1849 verließ er mit dem gänzlichen Verluste seines Vermögens Hannover, um zu Gotenburg in Schweden als Compagnon des Consul Reimers eine Tapetenfabrik zu eröffnen. Doch konnte er auch hier nicht die Früchte seiner Thätigkeit genießen, die hier wie anderwärts Fremden in den Schoß fielen. Seit dem J. 1850 ließ sich S. dauernd in Wurzen bei Leipzig nieder. Dort hatte sein geschäftskundigerer Bruder Friedrich August S. seit dem J. 1840 eine Tapetenfabrik ins Leben gerufen, nachdem er bei George S. die Herstellung von Tapeten erlernt hatte. S. unterstützte nun zunächst seinen Bruder durch Anfertigen hervorragender Muster, ging aber bald darauf an die Errichtung einer Wollstaubfabrik, aus der sich die heutigen „Wurzener Teppich- und Velours-Fabriken“ entwickelt haben. S. führte die Einrichtung und Beaufsichtigung der Fabrik mit seinen eigenen Kräften durch und hatte die Genugthuung, daß seine Erzeugnisse dieselbe Güte erreichten, welche die Producte der Franzosen, die bis dahin allein den deutschen Markt beherrscht hatten, zeigten. Leider sollte er den Erfolg seiner Bestrebungen, ein besseres Stilgefühl in Deutschland hervorzurufen, erst zu einer Zeit erleben, als seine körperliche Kraft bereits gebrochen war. Jahre lang an das Sopha gefesselt, allein in einer kleinen Stadt und unverstanden von seiner Umgebung, brachte er den Rest seines Lebens unter wenig freudigen Verhältnissen zu. Kurz vor seinem Ende entschloß er sich, die Erinnerungen seiner Jugend und seiner ersten Mannesjahre für seine Kinder und Familie niederzuschreiben. Sie reichen bis zum Jahre 1830 und erschienen im J. 1877 zu Leipzig unter dem Titel: „Aus meinem vielbewegten Leben. Von George Schütz in Wurzen.“ Da S. sie jedoch nicht der Oeffentlichkeit anvertrauen wollte, gelangten sie nicht zum Vertrieb durch den Buchhandel. Auch dem Verfasser dieses Artikel haben nur Bruchstücke desselben vorgelegen, deren Mittheilung er der Güte von Schützens Sohn, dem Architekten Professor Alexander S. in Berlin, verdankt. S. starb zu Wurzen am 22. März 1877. – Der Schwerpunkt von Schützens Wirken lag in seiner Thätigkeit als Fabrikant. „Er gehörte zu den Pionieren, die unserem Geschlecht die Wege bahnten und das Aufblühen der Industrie in unserem deutschen Vaterlande ermöglichten. Organisatorisch und technisch veranlagt, wie wenige Menschen, verband S. mit diesen Gaben einen hohen idealen Gedankenflug und eine wahrhaft künstlerische Individualität. Seine Erfolge und Mißerfolge im [124] Leben gingen aus dieser Doppelnatur wie von selbst hervor. Sein eiserner Fleiß, seine höchste Energie und vollste Hingabe an die ihm gestellte Aufgabe waren, obwohl gepaart mit seltener Ausdauer, nicht im Stande, ihm äußere Erfolge zu sichern, da er bei seiner idealen Auffassung aller Lebensverhältnisse zu geringen Werth auf sie legte.“ Die erstaunliche Findigkeit Schützens zeigte sich aber nicht nur in seinen industriellen Unternehmungen, sondern auch in dem, was er als Musterzeichner geleistet hat. „Ohne künstlerische Anregung durch andere, nur auf sich und sein Talent angewiesen, nur an dem Studium der Natur sich erfrischend, schuf er eine erstaunliche Anzahl von Dessins, welche sich alle durch feine Empfindung für Massenvertheilung und Linienführung auszeichnen. Besaß er doch ein ursprüngliches Stilgefühl, namentlich für Blumen- und Blattformen, das seine Muster über die meisten seiner Zeitgenossen erhebt. Obwohl Schützens Leistungen schließlich auch in Deutschland Anerkennung fanden, so wurde er doch von den Franzosen am meisten geschätzt“. Trotzdem wies er wiederholte Aufforderungen, nach Paris überzusiedeln, beharrlich zurück, da ihn das Leben und Treiben der französischen Hauptstadt abstieß, in der er, wie er sich selbst ausdrückte, „das Edelste und Höchste, was die Welt bot, neben dem Niedrigsten und Trivialsten“ gesehen hatte.

Vgl. Allgemeine Zeitung 1877, Beilage Nr. 88, S. 1350. – Cornelius Gurlitt, Die deutsche Musterzeichnerkunst und ihre Geschichte. Darmstadt 1890, S. 21.