ADB:Salzmann, Christian Gotthilf
Basedow’s pädagogische Grundsätze wandte S. sein Augenmerk dem Gebiete der Jugendbildung zu; er veröffentlichte mehrere kleinere pädagogische Schriften, unter diesen auch sein bekanntes 1780 herausgegebenes satirisches „Krebsbüchlein oder Anleitung zu einer unvernünftigen Kindererziehung“, das großes Aufsehen erregte. 1781 erhielt er von Basedow einen Ruf als Lehrer an dem Philanthropin zu Dessau, den er seiner Neigung zum Lehrerberuf folgend zugleich um so lieber annahm, da theologische Streitigkeiten mit seinen Amtsgenossen ihm seine bisherige Stellung [294] verleidet hatten; an dem Dessauer Philanthropin wurde ihm die Stelle eines Religionslehrers und Liturgen übertragen. Nachdem S. hier drei Jahre gewirkt hatte, verließ er 1784 die Anstalt, da die dortigen Verhältnisse ihn nicht befriedigten, indem innere Zwistigkeiten ein einheitliches Wirken nach seinem Sinne störten. Nun faßte er den Plan, selbst eine ebenfalls nach philanthropischen Grundsätzen eingerichtete Erziehungsanstalt für Knaben aus höheren Ständen zu gründen; zu dem Zwecke kaufte er das Gut Schnepfenthal bei Gotha an, bei welchem Unternehmen er durch den Herzog von Gotha mit 4000 Thalern unterstützt wurde; hier suchte nun S. sein Ideal von philanthropischer Erziehung in reinerer Durchführung zu verwirklichen, als er dies in Dessau gefunden hatte; hiebei hatte er das Glück, viele Jahre eine Zahl von begabten und für die Sache begeisterten Schulmännern wie Guts-Muths, Bechstein, André, Weißenborn, Blasche, die drei Brüder Ausfeld u. a., sowie seine verständige, hülfreiche Gattin zur Seite zu haben. Die Erziehungserfolge, die vortrefflichen, besonders auch die körperliche Ausbildung durch zweckmäßige Beschäftigung und Bewegung im Freien fördernden Einrichtungen, dann auch einige von S. veröffentlichte Schriften wie sein „Moralisches Elementarbuch“ und sein 1797 herausgegebener „Himmel auf Erden“ gewannen der Anstalt bald das allgemeine Vertrauen, sodaß sie bald Zöglinge aus ganz Deutschland und den meisten sonstigen europäischen Ländern in stets wachsender Zunahme zählte. Die Lehr- und Erziehungsweise war im wesentlichen nach Basedow’s philanthropischen Principien eingerichtet und war gegründet auf einen innigen steten Verkehr zwischen Lehrern und Schülern. Was aber im Gegensatz zu Basedow’s Wesen, der durch sein leidenschaftliches und eitel prahlendes Auftreten oft seiner Sache schadete, Salzmann’s Unternehmen das Gedeihen sicherte, war des Letzteren tiefes, wahrhaftes Gemüth und seine echt fromme Gesinnung, die seinem Wirken ein edles Gepräge gab. In der Schnepfenthaler Anstalt waltete als Grundzug der Geist eines großen geregelten Familienkreises, welcher Salzmann’s Familie, die Lehrer und Zöglinge eng und innig umfaßte und zusammenhielt. – Zwölf Lehrer ertheilten Unterricht in den alten und neuen Sprachen, in der alten und neuen Litteratur, in den Realien, die mit besonderer Betonung und in weitem Umfang betrieben wurden. Neben dem Unterricht zur Pflege des Verstandes wurde auch Zeichnen, Musik und unter Guts-Muths’ Leitung Leibesübungen, Reiten, Tanzen, sowie nach Blasche’s Unterweisung allerlei Handfertigkeiten und Gartenarbeiten gepflegt. Die körperliche Ausbildung der Zöglinge fand eine besondere Förderung in der gesunden Lage des Ortes. Die musterhafte Reinlichkeit im Institute, die einfache, angemessene Kost, die gesunden Schlafsäle, die regelmäßige dreimal täglich wiederkehrende Bewegung im Freien, die sonstigen gymnastischen Uebungen, die öfteren Ausflüge in den nahen Thüringer Wald sowie einzelne größere Reisen in den Ferien waren alles höchst geeignete Mittel, die Zöglinge zu gesunden und kräftigen Jünglingen heranzubilden. Bezeichnend für den Geist der Anstalt ist der Umstand, daß alle ehemaligen Zöglinge als Männer gerne hin und wieder nach Schnepfenthal zurückkamen, um die ihnen liebgewordene Stätte, die von ihnen gepflegten Gartenstücke und Bäume, vor allem aber die allverehrte Familie S. wieder zu sehen. Die Erziehungsanstalt blüht heute noch fort unter den Nachkommen Salzmann’s und feierte am 1. Juni 1884 ihr hundertjähriges Anstaltsjubiläum.
Salzmann: Christian Gotthilf S., einer der bedeutendsten Pädagogen aus der Schule der Philanthropen, der Gründer der bekannten Schnepfenthaler Erziehungsanstalt bei Gotha, geb. am 1. Juni 1744 zu Sömmerda bei Erfurt, † am 31. October 1811 zu Schnepfenthal. S. war der Sohn eines Geistlichen; er besuchte von 1756–61 die Gymnasien zu Langensalza und Erfurt, bezog 1761–64 die Universität Jena, wo er Theologie studierte, ward dann 1768 Pfarrer zu Rohrborn bei Erfurt, 1772 Diaconus und 1781 Pastor an der Andreaskirche in Erfurt. Angeregt durch Rousseau’s undWie schon erwähnt, war S. auch auf pädagogischem Felde litterarisch thätig; einige[WS 1] seiner Schriften sind schon zuvor genannt; die meisten, einst von den Zeitgenossen mit Interesse gelesen, sind heute ziemlich vergessen, einzelne genießen aber auch heute noch verdiente Beachtung und sind in verschiedenen Sammlungen „pädagogischer Classiker“ später und neuerdings wieder abgedruckt [295] worden. Eine Ausgabe derselben in 12 Bänden erschien in Stuttgart 1845. 46, eine neuere Ausgabe mehrerer Schriften, Leipzig 1884. Eine Auswahl seiner pädagogischen Schriften wurde ferner von Richter im 2. Bd. der „Pädagogischen Bibliothek“ (Berlin 1870–75), sowie von Bosse u. Meyer im 16. Bande der „Pädagogischen Classiker“ (Wien u. Leipzig 1886) herausgegeben. Unter Salzmann’s Arbeiten verdient besondere Beachtung das erwähnte, 1780 erschienene, und viel gelesene „Krebsbüchlein“, wodurch er seinen pädagogischen Ruf begründete, und worin er mit köstlicher Ironie die Fehler der Erziehung verspottet und in trefflichen, dem Leben entnommenen Zügen eine Anweisung zu einer unvernünftigen Erziehung der Kinder gibt. Als Gegenstück zum Krebsbüchlein schrieb S. später „Konrad Kiefer oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Kinder“, sowie das 1806 veröffentlichte „Ameisenbüchlein oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher“. Das letztere umfaßt fünf Abschnitte: nämlich ein Symbolum, dann die Erörterung der Frage, was ist Erziehung, was muß ein Erzieher lernen, sodann Plan zur Erziehung der Erzieher und eine kurze Schlußermahnung. Im 1. Abschnitt spricht S. die Ansicht aus, daß der Erzieher den Grund von allen Fehlern und Untugenden seiner Zöglinge in sich selbst suchen müsse, was er durch Anführung von Beispielen aus dem Leben zu erweisen sucht; weiter legt er dar, daß bei Mißerfolgen in der Erziehung entweder dem Erzieher nicht die Fähigkeit innewohne, den Zöglingen die Fehler abzugewöhnen, oder daß er selbst durch unverständige Behandlung derselben Fehler bei ihnen ausbilde. Im 2. Capitel wird eine kurze Skizze der Erziehung und der allmähligen Entwicklung der jugendlichen Kräfte entworfen; das 3. Capitel gibt Anleitung, wie der Erzieher seine Zöglinge gesund erhalten, wie die Ausbildung und Uebung ihrer Sinne und Kräfte gefördert, der Thätigkeitstrieb durch angemessene, nützliche körperliche Beschäftigung geweckt und genährt und die Gewöhnung zur Sittlichkeit geübt werden solle. Die Ausbildung der Sinne, die Anschauung als der Ausgangspunkt alles Unterrichts, wird in erste Linie gestellt. Im 4. Capitel wird dem künftigen Erzieher in 11 Punkten eine Anweisung zur Selbsterziehung für seinen Beruf gegeben.
Schon in der 1784 erschienenen Schrift „Noch etwas über Erziehung nebst Ankündigung einer Erziehungsanstalt“ entwirft S. seinen vollständigen Erziehungsplan; derselbe mag hier in den Hauptzügen eine Stelle finden zum klaren Einblick in das Wesen des Systems. Die Schrift zerfällt in zwei Abschnitte; im 1. Theil „Etwas über Erziehung“ werden fünf Hauptmängel derselben besprochen: diese sieht S. erstlich und vor allem in der Vernachlässigung der körperlichen Erziehung. In der Erwägung, daß nach altbewährter Erfahrung nur in einem gesunden Körper eine gesunde Seele wohnen könne, legt er zur Kräftigung und Gesunderhaltung der Zöglinge ein großes Gewicht auf jede Art von körperlicher Uebung nicht allein des Turnens, sondern auch der Handarbeiten. Als einen zweiten Mangel der Erziehung bezeichnet er die Vernachlässigung der Kenntniß der Natur; sodann drittens den Umstand, daß der damalige ganze Unterricht dahin abziele, die Aufmerksamkeit der Jugend von dem Gegenwärtigen abzuziehen und auf das Abwesende hinzulenken; zuerst soll aber z. B. in der Geographie und Naturgeschichte der Zögling mit der nächsten Umgebung vertraut gemacht werden, ehe man zum Fernen und Fremden übergeht. Einen weitern Fehler sieht S. darin, daß die Jugend gewöhnt werde beim Lernen mehr fremde, als eigene Kräfte zu gebrauchen; der Lehrer soll dagegen mehr zur geistigen Selbstthätigkeit, zu selbständigem Beobachten und Urtheilen anleiten. Der fünfte Abschnitt handelt von der unmittelbaren Belohnung der jugendlichen Arbeit durch Gewährung kleiner Vortheile und Auszeichnungen als äußerer Sporn zur Thätigkeit. In einem kurzen Anhang wird noch über das Unzweckmäßige [296] der Gründung von Erziehungsanstalten in Städten gehandelt, wodurch die Zöglinge zu sehr von der unmittelbaren Umgebung der Natur abgeschnitten und mehr sittlichen Schädigungen ausgesetzt seien, als in Erziehungsinstituten auf dem Lande. Im zweiten Theil der Schrift: „Ankündigung einer neuen Erziehungsanstalt“ ist Salzmann’s Erziehungsplan dargelegt, durch welchen er die vorhin bezeichneten Uebelstände beseitigen will. „Nach den Beobachtungen, die ich angestellt habe“, schreibt er, „ist die verkehrte Art, wie der Mensch erzogen wird, eine sehr ergiebige Quelle seines Elends. Er wird gleich bei seinem Eintritte in die Welt verdorben, und die gewöhnliche Erziehung, die man ihm sowol in Familien als auch in Schulen und Pensionsanstalten gibt, scheint mir ein beständiges Streben zu sein, seinen zur Thätigkeit bestimmten Körper unthätig und leider fähig zu machen, in seiner Seele das Gefühl für Wahrheit auszulöschen, und ihr Vorurtheile einzuflößen, die den Grund zu lebenslangen Thorheiten, Lastern und Elend enthalten. Deswegen will ich meine Kraft dazu anwenden, junge Menschen nach einem Plane zu erziehen, der ihrer Natur gemäßer ist. Ich will nicht bloß Erziehungsregeln geben, noch eine Schule errichten, sondern eine kleine Gesellschaft stiften, deren Hauptgeschäft Erziehung ist, und deren Glieder vermöge ihrer Constitution gehalten sind, in ihrem Betragen das zu sein, wozu sie ihre Zöglinge bilden will.“ Dann skizzirt er seinen Plan folgendermaßen: Die Vortheile, welche die neue Erziehungsweise den Zöglingen bringt, ist vornehmlich zuerst gerichtet auf die Ausbildung des Körpers und der körperlichen Abhärtung, auf Uebung der Kraft und Gewandtheit, damit Ungemach und Mühen ertragen werden können, und daß die Geschicklichkeit erworben werde, im Nothfalle die nothwendigsten Bedürfnisse sich selbst zu verschaffen. Sodann bewirkt seine Methode die Schärfung des Verstandes, der über die Dinge der Welt, besonders über ihr Verhältniß zur menschlichen Glückseligkeit richtig urtheilt, der von den Vorurtheilen frei ist, die sonst den Verstand der Menschen verwirren, und der besonders die Kunst begriffen hat, den Körper vor Krankheit und die Seele vor Unmuth zu bewahren; ferner wird das Gedächtniß gepflegt, das geübt und mit so vielen Kenntnisse ausgerüstet werden soll, um sich durch eigene Bemühung in dem Fache, das man zu bearbeiten Neigung hat, weiter zu helfen; hierher ist zu rechnen die Kenntniß der Natur, besonders ihrer Kräfte und Eigenschaften, sowie des Nutzens der uns zunächst umgebenden Dinge, jedoch nur in dem Maße, um Lust zu erregen, tiefer in die Natur der Sache einzudringen und das weitere selbständige Studium zu erleichtern; ferner Kenntniß dessen, was die Menschen thun und gethan haben, also Kenntniß der Künste, Staatsverfassung, Geschichte, sodann der Sprachen, besonders der deutschen, lateinischen und französischen. Die Anregung der Einbildungskraft wird ins Auge gefaßt, jedoch wird sie der Herrschaft des Verstandes untergeordnet. In moralischer Hinsicht wird die Gesinnung dahin geleitet, daß sie gegen alles Anrecht und jede Niederträchtigkeit innigen Abscheu hat, daß sie Wohlthun und Erfüllung der Pflicht als höchstes Vergnügen betrachtet. Das Hauptbuch, das zur Grundlage der Erziehung dienen soll, ist die Natur, in deren Betrachtung und Bearbeitung die Zöglinge Begriffe sammeln und ihre Kräfte üben. Durch Vergleichung der gesammelten Begriffe erwerben sie sich abstracte Ideen und aus der Kenntniß der Natur der Dinge ziehen sie praktische Folgen. Dann wird im allgemeinen und im besonderen die Art und Weise dargelegt, wie die Erziehungsaufgabe in den bezeichneten Richtungen gelöst werden soll. Als den Fonds zur Stiftung und Erhaltung der Gesellschaft betrachtet S. die Köpfe der Mitglieder. Wer Kopf hat, schreibt er, verschafft sich des Goldes und Silbers immer so viel, als er zur Erreichung seiner Absichten bedarf. Den Anfang zu dieser Gesellschaft bildet Salzmann’s Familie, mit der er nach und nach mehrere [297] Lehrer und Zöglinge zu verbinden sucht. Soweit im wesentlichen die Grundzüge von Salzmann’s Lehrplan.
Von sonstigen Schriften desselben ist noch zu nennen der Roman „Karl von Karlsberg, oder über das menschliche Elend“, 6 Bde., Leipzig 1783–88. In dem schon erwähnten, 1797 erschienenen „Himmel auf Erden“ wird gezeigt, daß der Mensch schon auf Erden, ohne sich weltflüchtig mit der himmlischen Seligkeit zu vertrösten, durch sich selbst die reinsten und edelsten Gefühle sich bereiten kann. Ferner schrieb S. noch „Ueber die wirksamsten Mittel, Kindern Religion beizubringen“; dann verschiedene Jugendschriften, wie das schon erwähnte „Moralische Elementarbuch“; „Bibliothek für Jünglinge und Mädchen“ und „Josef Schwarzmantel“.
Die Beschäftigung mit der Erziehung seiner Kinder hatte S. dem pädagogischen Gebiet und den philanthropischen Ideen zugeführt und ihn seinen Beruf als Erzieher erkennen lassen, dem er nun seine ganze Kraft widmete. Er war unter den Vertretem der philanthropischen Richtung die Persönlichkeit, die begabt mit tiefem Gemüth und frommer Gesinnung und zugleich ausgestattet mit gediegener Bildung die philanthropischen Principien am reinsten erfaßt, weiter ausgebildet und mit ruhiger Besonnenheit erfolgreich zur Verwirklichung gebracht hat. Mit richtigem Urtheil ersah er einerseits die Mängel des bisherigen Erziehungswesens, andrerseits entgingen ihm aber auch nicht einseitige Fehlerhaftigkeiten der angestrebten Reformen. Als Jugend- und Volksschriftsteller suchte er diese Mängel bloßzulegen und zugleich die von ihm erkannten Hülfsmittel jenen entgegenzuhalten; seine Darstellung war klar in Gedanken und faßlich und einfach in der Schreibweise. S. hat als Schriftsteller wie als Erzieher um den Fortschritt auf pädagogischem Felde sich gleich große Verdienste erworben. 1809 erkrankte er an der Gicht und starb nach zweijährigem Leiden am 31. October 1811.
- Vgl. Ausfeld, Erinnerungen aus Salzmanns Leben, 1813. – Ausfeld, Christian Gotthilf Salzmann, Stuttg. 1845. – Dr. K. Schmidt’s Geschichte der Pädagogik, herausg. v. Dr. W. Lange, 1875, III, 623 ff. – K. Richter, Ameisenbüchlein. Mit Salzmann’s Biographie mit Anmerkungen von J. Meyer. Leipzig 1880.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: einge