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Artikel „Runde, Christian Ludwig“ von Carl Freiherr von Beaulieu-Marconnay in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 674–677, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Runde,_Christian_Ludwig&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 18:29 Uhr UTC)
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Runde: Christian Ludwig R., geboren zu Kassel am 26. April 1773 als ältester Sohn erster Ehe Justus Friedrich Runde’s (s. u.). Aus dem Göttinger Gymnasium erhielt R. seine erste wissenschaftliche Bildung und besuchte dann als Student seit 1791 die Vorlesungen der berühmtesten damaligen Lehrer. Schon im J. 1793 war er so in der Rechtswissenschaft vorgeschritten, daß er andern Studirenden juristische Repetitorien und Examinatorien geben konnte. Im Juni 1794 erhielt er den Preis für eine Schrift über die Geschichte und den Geist der römischen Hypotheken und Privilegien, und im Mai 1795 wurde er zum Dr. juris utriusque promovirt, aus welcher Veranlassung er „Principia doctrinae de interimistica praedii rustici administratione“ schrieb, welchen Gegenstand er später zu einem größern Werke ausarbeitete unter dem Titel: [675] „Abhandlung der Rechtslehre von der Interimswirthschaft auf deutschen Bauerngütern nach gemeinen und besondern Rechten“, 1796; in zweiter vermehrter Ausgabe 1832 erschienen. Als Privatdocent las er über römisches und deutsches Recht, Kirchenrecht, preußisches Landrecht und Handelsrecht. Da er sehr rasch zum stimmführenden Assessor des juristischen Spruchcollegiums ernannt ward, wandte er sich mit besonderer Vorliebe den praktischen Arbeiten zu, und diesem Umstand hatte er es zu verdanken, daß er im J. 1799 den Antrag erhielt, in den herzoglich oldenburgischen Staatsdienst als Landesarchivar zu treten. Er folgte diesem Rufe im November 1799, und rückte schon im Januar 1801 zum wirklichen Assessor bei der Regierungskanzlei und dem Consistorium vor, womit im J. 1803 das Commissorium zur Wahrnehmung der landesherrlichen Hoheitsrechte über die römisch-katholische Kirche hinzutrat. Im J. 1805 veröffentlichte er die Schrift: „Die Rechtslehre von der Leibzucht oder dem Altentheile auf deutschen Bauerngütern.“ 2 Thle. Oldenburg – welches Werk noch immer als ein Muster von Monographien über besonders schwierige Rechtslehren geschätzt wird. Im Januar 1806 ward er zum Kanzlei- und Regierungsrath ernannt, behielt dabei jedoch die Stellung als Landesarchivar, und hatte nun in rascher Folge durch die auch über Norddeutschland hereinbrechenden politischen Ereignisse eine Menge der schwierigsten und verdrießlichsten Geschäfte zu erledigen. Als die mannigfaltigsten Vexationen im Jahre 1811 mit der Einverleibung des Herzogthums Oldenburg in das französische Kaiserreich gekrönt wurden, gehörte R. zu denjenigen Staatsdienern, die sich dem Gewaltstreich des französischen Imperators nicht beugten. Er blieb zwar vorläufig noch in Oldenburg, doch nur im besondern Auftrage des nach Rußland abgereisten Herzogs, als einer der Commissare, welche aus dem Ertrage des herzoglichen Privateigenthums die Noth der aller ihrer Einnahmen beraubten Pensionisten zu mildern suchen sollten. Im folgenden Jahre erhielt er den Befehl nach Eutin zu gehen, als Mitglied der Regierung für das Fürstenthum Lübeck, welches seither von der französischen Occupation verschont geblieben war. Hier blieb er bis zum Jahre 1814, anfangs in ruhigen, angenehmen Verhältnissen, später aber schwer heimgesucht, sowohl durch übermäßige Contributionen, die von Davoust für die in Hamburg concentrirte Armee erpreßt wurden, als auch durch den schmählichen Justizmord, der durch den General Vandamme an seinem Freunde von Berger am 10. April 1813 verübt worden war. Mit Anfang des Jahres 1814 kehrte er mit seinem Herzog nach Oldenburg zurück, und erhielt in der zum Zweck der Reorganisation niedergesetzten Regierungscommission die Aufgabe, die neuen Civil- und Strafgesetze zu bearbeiten. Im September desselben Jahres ward er zum Vicedirector der Justizkanzlei ernannt, und übernahm daneben auch wieder das Commissorium in den römisch-katholischen Angelegenheiten und als neue Aufgabe die Mitaufsicht über die öffentliche Bibliothek. Als er im J. 1817 einen ehrenvollen Ruf nach Hannover ablehnte, ward er zum Director der Justizkanzlei und Geheimen Regierungsrath ernannt. Trotz seiner vielfältigen amtlichen Geschäfte fand er doch noch Zeit, die oldenburgischen Blätter mit Beiträgen zu beschenken, die er dann mit einigen älteren Aufsätzen vereinigt, unter dem Titel: „Patriotische Phantasien eines Juristen,“ 1836, herausgab. Es sind Beiträge zur Geschichte, richtigen Beurtheilung und möglichen Verbesserung einzelner Theile des deutschen Rechtszustandes, bei deren Abfassung ihm Justus Möser als nachahmungswürdiges Muster vorgeschwebt hatte. Daneben besorgte er nach und nach vier neue Ausgaben von seines Vaters deutschem Privatrecht, und schrieb eine kurzgefaßte Oldenburgische Chronik, 1823, welche 1832 in zweiter Auflage bis zum Tode des Herzogs Peter fortgesetzt erschien. Der Großherzog August ernannte ihn im October 1829 zum Oberappellationsgerichtspräsidenten, und [676] übertrug ihm den Vortrag im Cabinet über Dienstbesetzungen und Beförderungen bei den gerichtlichen Behörden, sowie über die civil- und strafrechtliche Gesetzgebung. Auch ward er Präsident der damals neuerrichteten Commission für die Prüfung der Rechtscandidaten. Seine Muße benutzte er jetzt hauptsächlich zur Bearbeitung des deutschen Güterrechts der Ehegatten, der ehelichen Gütergemeinschaft aus dem Gesichtspunkte des Mundium oder der ehelichen Vogtei des Mannes, in Verbindung mit dem Erbrechte unter Ehegatten und dem Verhältniß des Ueberlebenden mit den Kindern, welche unter dem Titel: „Deutsches eheliches Güterrecht“, Oldenburg 1841 erschien – ein Werk des größten Fleißes, welches überall das Gepräge des gründlichen Rechtsgelehrten und scharfsinnigen Praktikers an sich trägt, unentbehrlich für Alle, welche sich mit dieser Rechtslehre beschäftigen. Beseler nennt dies Werk eine der wichtigsten Leistungen der deutschen Jurisprudenz, welche sich den früheren Musterarbeiten des Verfassers würdig anreihe. Dasselbe bearbeitet eine der verworrensten Lehren des deutschen Privatrechts in derselben historisch und dogmatisch gründlichen Methode, welche bei den übrigen Werken des Verfassers allgemeine Anerkennung fand, und ist deshalb für die Anwendung des gemeinen deutschen Rechtes bei dieser Materie von der größten Wichtigkeit. Daneben ist auf die Entwicklung der Lehre vom ehelichen Güterrecht in den einzelnen Theilen Oldenburgs in so umfassender Weise Rücksicht genommen, daß alle Praktiker, Richter und Advocaten, welche sich sonst nur mit der äußersten Schwierigkeit eine Kenntniß des bestehenden Rechtes verschaffen konnten, dem Verfasser zum größten Dank verpflichtet sein mußten. Endlich war dem Werke der Entwurf eines Gesetzes mit Motiven beigefügt, welcher nicht verfehlen konnte, als sicherer Wegweiser für die künftige Gesetzgebung zu dienen, und ist dann auch in der That das Gesetz vom 24. April 1873 für Oldenburg wesentlich auf der Grundlage des vom Verfasser gegebenen Entwurfs erlassen worden. Dem verdienstvollen Manne fehlten dann auch nicht die öffentlichen Anerkennungen seines hervorragenden Werthes. Im J. 1837 erhielt er den Titel Geheimrath, nachdem ihm schon früher das Capitular-Großkomthurkreuz des Haus- und Verdienstordens verliehen worden war; 1841 ward er zum Ordenskanzler ernannt; 1842 erhielt er das Prädicat „Excellenz“ und 1844 das Capitular-Großkreuz des Ordens. Von allen Seiten aber strömten die Beweise der Hochachtung und Verehrung herbei am 30. Mai 1845, an welchem Tage er vor 50 Jahren die Doctorwürde erhalten hatte. Die Universität Göttingen übersandte ein Jubeldiplom, und sämmtliche Ober- und Untergerichte des Großherzogthums, sowie die Anwälte und eine große Zahl von Freunden und Verehrern bezeigten ihren Antheil durch Glückwünschungsschreiben und Gedichte. – Seit 28. August 1801 war R. verheirathet mit der ältesten Tochter erster Ehe des berühmten Anatomen v. Loder in Jena, mit der er in beglückender Ehe lebte, bis ihm die Treffliche am 17. März 1844 durch den Tod entrissen wurde. Drei Söhne und drei Töchter, die sie ihm hinterließ, bildeten einen Familienkreis um ihn, der den Verlust minder empfindlich für ihn zu machen wußte. Doch traf den bejahrten Mann mit dem fein fühlenden Herzen noch mancher Schmerz durch den Tod des einen oder anderen Gliedes aus dem Familien- oder Freundeskreise, – und als die Bewegung des Jahres 1848 manches Gute und Schöne mit fortriß, manche berechtigte Bande löste, vermochte er, der nie einseitiger Lobredner des Vergangenen gewesen war, zwar dem nationalen Aufschwung die vollkommenste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, doch empfand er keine Freude an der Zeit und keine Lust darin mitzuwirken; und so schwand die Kraft des Geistes, die den Körper gegen die beugende Gewalt des Alters aufrecht erhalten hatte: am 25. Mai 1849 starb er an Entkräftung. Unerschütterlich treu seinem Staate und dessen Regenten, voll echter Humanität [677] und Milde gegen Collegen und Untergebene, rastlos fleißig auf dem Felde der Wissenschaft, voller Witz und Humor ohne jeden Stachel, frei von Vorurtheilen, innig durchdrungen von wahrer Frömmigkeit, – so stellt sich uns das Bild eines Mannes dar, der nicht bloß Jedem, der ihn zu kennen das Glück hatte, unvergeßlich ist, der auch stets in der Zahl derjenigen mitgenannt werden muß, die sich über ihre Lebenszeit hinaus um das Vaterland und um die Wissenschaft in hervorragender Weise verdient gemacht haben.