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Artikel „René I. von Lothringen“ von Wilhelm Wiegand in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 207–209, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ren%C3%A9_d%E2%80%99Anjou&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 01:36 Uhr UTC)
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René I. von Lothringen würde weder seiner Abstammung nach noch nach der Hauptrichtung seiner Thätigkeit einen Platz in der A. D. B. beanspruchen können, wenn ihn das Geschick nicht eine Zeitlang in seinem wechselvollen Leben an die Spitze eines zum deutschen Reichsverbande gehörigen Landes gestellt hätte. Für uns kommen eigentlich nur die Jahre seines lothringischen Herzogthums, 1431–1453 in Betracht; doch wird ihre Bedeutung erst in dem weitern Rahmen seiner ganzen Lebensentwicklung verständlich, deren wichtigste Ereignisse zur Geschichte Frankreichs, Italiens, Englands und Spaniens in enger Beziehung stehen.

Am 16. Januar 1409 zu Angers als zweiter Sohn des Herzogs von Anjou geboren, hatte R. zunächst wenig Aussichten, bis seine ehrgeizige Mutter Yolanthe von Aragon ihm die Anwartschaft auf die Herzogthümer Bar und Lothringen zu verschaffen wußte. Sein Oheim Ludwig, der Cardinalbischof von Chalons und Herzog von Bar, adoptirte ihn 1419 als Erben, während im gleichen Jahre Karl II. von Lothringen seine älteste und Erbtochter Isabella mit ihm zu verheirathen sich verpflichtete. Schon im J. 1420 fand die Einsegnung dieser Verbindung statt und R. verbrachte von da ab seine Jugend abwechselnd bei seinem Oheim und seinem Schwiegervater. Seinen ersten Waffenkampf bestand er nicht ohne Glück gegen den Neffen Karl’s II., den Grafen Anton von Vaudémont, der seine Ansprüche auf Lothringen durch jene Heirath bedroht sah, und sehr früh bewies er in hervorragender Weise seine selbständige Gesinnung. Obwol seine beiden Verwandten, Ludwig wie Karl, ihn durch jedes Mittel an die burgundisch-engländische Sache zu binden suchten und der Cardinal sogar für ihn dem englischen Statthalter den Lehnseid leistete, stellte sich R. doch, seiner Familientradition und dem Zuge seines Herzens folgend, ohne Zaudern auf die Seite seines schwer bedrängten Schwagers, des Königs Karl VII. von Frankreich. Vor den Mauern von Metz verließ er im Juli 1429 das lothringische Heer, nahm an Karl’s Krönung in Rheims Theil, stürmte an der Seite der Jungfrau von Orleans vergeblich Paris und wiedereroberte dann die Champagne für die Krone Frankreich. Da rief ihn der Tod seines Oheims im Sommer 1430 nach Bar zurück, das er kaum völlig in Besitz genommen hatte, als schon das Hinscheiden Herzog Karl’s im Januar 1431 ihm auch Lothringen in den Schoß warf. Freilich erfreuen sollte er sich des leicht errungenen Besitzes [208] nicht lange, so sehr ihn auch Adel und Volk willkommen hieß. Schon im März machte Anton von Vaudémont seine Ansprüche wieder geltend und seine Mitbewerbung gewann durch die kräftige Unterstützung, die ihr Herzog Philipp von Burgund lieh, eine sehr ernstliche Bedeutung. Die großen politischen Gegensätze der französischen Geschichte von damals lebten in dem Kampfe um Lothringen auf. König Karl hatte R. eine Hülfstruppe unter dem Befehl des alten erprobten Führers Barbazan gesandt. Bei Bulgneville an den Sichelbergen am 2. Juli 1431 trafen sich die Heere. Die Lothringer waren stärker, aber das Ungestüm ihres Herzogs riß sie zum übereilten Angriff auf die starke feindliche Stellung fort: sie wurden in voller Unordnung geworfen, Barbazan fiel, R. wurde gefangen genommen. Es war eine Entscheidung, die für sein ganzes Leben verhängnißvoll werden sollte.

Philipp von Burgund bemächtigte sich selbst der kostbaren Beute und hielt R. zu Dijon in strenger Haft. Zwar wußte seine tapfere Gemahlin Lothringen vor dem Feinde zu behaupten, aber jeder Versuch, den Gefangenen zu befreien, alle Vermittlung, ihn loszulösen, blieb zunächst vergeblich. Allerdings erhielt er gegen die schwersten Verpflichtungen, gegen die Vergeiselung seiner Söhne, im Mai 1432 provisorisch die Freiheit, mußte sich jedoch durch sein Wort binden, auf den Wink Philipp’s sofort wieder ins Gefängniß zurückzukehren. So gewann er freilich die Zeit, seine und des Landes Angelegenheiten einigermaßen zu ordnen, mit seinem Gegner Anton von Vaudémont sich durch die Verheirathung ihrer Kinder erträglich zu stellen, auch mit Herzog Philipp schien sich ein Vergleich anzubahnen; aber als Kaiser Sigismund auf dem Concil in Basel im April 1434 die Rechtsfrage der lothringischen Nachfolge geprüft und sich zu Gunsten von R. erklärt hatte, fühlte sich der Stolz des Burgunders, der über diese Frage allein und eigenmächtig entscheiden wollte, so empfindlich verletzt, daß er R. im December 1434 anwies, sich wieder als Gefangener in Dijon zu stellen. Im gleichen Augenblicke, als der Tod seines älteren Bruders ihm den ganzen Familienbesitz der Anjous in Frankreich und der Provence, sowie die Erbansprüche seines Hauses auf die Krone von Neapel in die Hand gab, mußte R. wieder seinen Kerker betreten. In demselben blieb er bis zum Beginn des Jahres 1437, obschon sich alle seine fürstlichen Verwandten, auch der Papst, für seine Freilassung verwandten. König Karl gab ihn endlich bei seiner Aussöhnung mit Burgund preis und alle Verhandlungen scheiterten an den übertriebenen Geldforderungen Philipp’s, der offenbar die Absicht hatte, seinen Gefangenen mürbe zu machen und ihn zur Abtretung des Herzogthums Bar zu zwingen. Erst als dieser festblieb und seine sicilianische Erbschaft ihn zahlungsfähig erscheinen ließ, verstand sich Philipp zur Nachgiebigkeit. Gegen die Auslieferung einiger flandrischer Herrschaften, die Verpflichtung, 400 000 Goldthaler ratenweise zu zahlen, und die Verpfändung mehrerer lothringischer Festen erhielt R. die Freiheit, allerdings mit so schweren finanziellen Lasten verknüpft, daß er unter ihrem Druck nahezu sein ganzes Leben blieb. Lothringen empfand sie zuerst, die erste Regierungshandlung René’s war das Ausschreiben einer allgemeinen Steuer von zwei Sols für jede Familie, die herzoglichen Domänen wurden zum großen Theil veräußert und schon im Frühjahr 1437 verließ er das Land, um nach kurzem Besuche in Anjou und der Provence sich die Krone von Neapel zu erkämpfen. Vier Jahre lang, 1438–1442, stritt er mit hartnäckiger Tapferkeit und wechselndem Erfolge gegen Alfons von Arragonien, bis ihn Noth, Verrath und der Fall Neapels aus dem Lande trieben.

Von nun an ist René’s politische Thätigkeit vorwiegend an die Geschicke König Karl’s VII. geknüpft, wie an die Verwaltung seiner französischen Besitzungen. Dem Könige hilft er durch die Verheirathung seiner eigenen Tochter [209] Margarethe mit Heinrich VI. von England zu dem Erbfeinde Frankreichs friedliche Beziehungen knüpfen, wie er ihm im Kampf um die Eroberung der Normandie beisteht. Er ist bei den militärischen Reformen Karl’s, den ersten Anfängen der stehenden Heere betheiligt und in seinem eigenen Lande, in Anjou vorzugsweise, schafft er eingreifende Verbesserungen der Verwaltung. In Lothringen erscheint er nur noch einmal, 1444–45, um in Gemeinschaft mit König Karl Metz zu belagern und zu unterwürfiger Nachgiebigkeit zu zwingen. Mit großen prächtigen Festen, die er zu Nancy im Sommer 1445 feiert, nimmt er von dem Lande Abschied, dessen Leitung er seinem Sohne Johann als Generalstatthalter von Lothringen und Bar anvertraut. Nach dem Tode seiner Gemahlin tritt er dann im März 1453 demselben Lothringen vollständig ab: von allen seinen Besitzungen lag es ihm am wenigsten am Herzen und war ihm am theuersten zu stehen gekommen, alle andern stammten von seiner Familie, dies war ihm nur durch seine Frau zugefallen und mußte nach lothringischem Landesrecht nach ihrem Tode an ihren Sohn kommen.

Nur die Hauptzüge seines ferneren Lebens seien hier kurz noch erwähnt. Nach Karl’s VII. Tode verliert er seinen Einfluß am königlichen Hofe, Ludwig XI. verfolgt ihn, obschon er ihm im Kriege gegen den „Bund der öffentlichen Wohlfahrt“ treu zur Seite steht, mit untilgbarem Mißtrauen und heimlicher Abneigung. 1471 zieht sich R. in die Provence zurück, um von dort aus den großen politischen Zielen seines Hauses, dem Erwerb Italiens und Arragons, näher gerückt zu sein. Aber er erreicht dieselben trotz aller glänzenden Scheinerfolge so wenig, wie er Anjou und Bar dauernd gegen die Habgier Ludwig’s zu schützen weiß. Er muß sich die zeitweise Beschlagnahme dieser Länder gefallen lassen, Kinder und Enkel sieht er vor sich ins Grab sinken, bis auch er am 10. Juli 1480 aus seinem vielbewegten Leben abberufen wird.

Auch seine Bedeutung auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft kann hier nur flüchtig berührt werden, da sie durchaus der romanischen Culturgeschichte zugehört. In allen Künsten seiner Zeit wie im Kunsthandwerk, vor allem als Maler im Anschluß an die vlämische Schule von van Eyck, war R. selbstthätig und wußte die schaffenden Kräfte um sich zu sammeln und anzuregen, auch auf dem Felde der Poesie, namentlich im allegorischen Roman, versuchte er sich vielfach mit Glück. Mit den Gelehrten Italiens und Frankreichs in steter Verbindung, darf er vielleicht als der glänzendste und begabteste fürstliche Vertreter der Bildung und Gesittung seines Jahrhunderts gelten.

Die beste umfassende Monographie über René I. liegt jetzt vor in dem zweibändigen Werke von A. Lecoi de la Marche: Le Roi René, sa vie, administration, ses travaux artistiques et littéraires. Paris 1875. Vgl. dazu de Quatrebarbes, Oeuvres du Roi René. 4 Bände. Paris 1845–46, und für die lothringische Geschichte Dom Calmet, Histoire de Lorraine. – R. v. Liliencron, Histor. Volksl. Bd. I, S. 328 f.