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Artikel „René II. von Lothringen“ von Wilhelm Wiegand in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 209–211, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ren%C3%A9_II.&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 02:34 Uhr UTC)
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René II. von Lothringen, 1451 als der Sohn des Grafen Ferry von Vaudémont und Yolanthe’s, der Tochter König René’s I. geboren, vereinigte in seiner Person die Ansprüche des alten elsässischen Herzogshauses und der Familie von Anjou auf Lothringen, die er auch ohne erheblichen Widerspruch, dem Wunsche der lothringischen Stände entsprechend, bei dem frühen und unerwarteten Tode des Herzogs Nicolaus im Sommer 1473 zur Geltung brachte. Die ersten Anfänge seiner Regierung sind von der unter Karl dem Kühnen gewaltig und glänzend emporsteigenden burgundischen Macht überschattet. Weder ihrer scrupellosen Energie noch der unzuverlässigen, hinterhaltigen Politik Ludwig XI. von Frankreich wußte der jugendliche Herzog die Stirn zu bieten, haltlos [210] schwankte er zunächst zwischen den beiden übermächtigen Rivalen hin und her. Zuerst mit Frankreich verbündet, nachdem ein Anschlag Herzog Karl’s auf seine Person mißlungen, läßt er sich durch diesen schon im December 1473 für den engen Anschluß an Burgund gewinnen und im Sommer des folgenden Jahres tritt er bereits wieder auf die gegnerische Seite. Als er im Mai 1475 Karl dem Kühnen, dessen Macht vor Neuß festgehalten scheint, offen den Krieg erklärt, empfindet er sehr bald nach einigen kleineren Erfolgen im Luxemburgischen die Ueberlegenheit des Feindes, der am Niederrhein freigeworden, rasch heranrückt und in wenigen Monaten ganz Lothringen erobert. Von König Ludwig im Stich gelassen, muß R. das Land räumen, während Karl in Nancy vor den versammelten Ständen von dem Herzogthum feierlich Besitz nimmt.

Die große politische Wendung des Jahres 1476, die Niederlagen Karl’s des Kühnen vor den Schweizern bei Gransee und Murten, brachte auch für den landflüchtigen R. den Glücksumschlag. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß bei Ludwig XI. auf thatkräftige nachhaltige Unterstützung nicht zu rechnen war, hatte er sich nach der Schweiz gewandt, und an der Murtener Schlacht in hervorragender Weise theilgenommen. Schon seit dem Mai 1474 in die Allianz der Eidgenossen, der elsässer Städte und des Herzogs Sigmund von Oesterreich aufgenommen, brach er jetzt mit ihren Hülfstruppen, nachdem ihm ein Aufstand in Vaudemont die Wege gebahnt hatte, in Lothringen ein und gewann schon im October seine Hauptstadt Nancy wieder. Doch noch einmal mußte er vor den Burgundern weichen, Karl der Kühne kehrte mit überlegener Macht zurück und zwang ihn, die Stellung bei Pont à Mousson zu räumen. Während er von neuem im Elsaß und in der Schweiz um Hülfe warb, die ihm die Luzerner Tagsatzung auch zusagte, rückten die Burgunder in die alten Laufgräben von Nancy, das bald in äußerster Bedrängniß den rettenden Entsatz von seinem Herzog dringend erflehte. Um Weihnachten hatte R. alle Vorbereitungen und Verhandlungen glücklich beendet, von Basel aus setzte er sich selbst an die Spitze der schweizerischen Gewalthaufen und drang über St. Dié in Lothringen ein. Zu St. Nicolas sammelte er seine Armee, die etwa 20 000 Mann stark gewesen sein mag, und schon am 5. Januar 1477 stieß er auf den an der Straße nach Nancy ihm gegenüberstehenden Feind, der durch die langwierige Belagerung, wie durch die Unbilden der Belagerung arg gelitten hatte und numerisch bedeutend schwächer war. Anstatt ihn in der Front anzugreifen, wie Herzog Karl erwartet hatte, marschirte R., durch Wald und Schneegestöber in seinem Anmarsch verdeckt, in seine rechte Flanke und zersprengte durch seinen unerwarteten Angriff die burgundische Aufstellung völlig. Karl der Kühne fiel auf der Flucht, sein Heer wurde vernichtet, sein Reich zerfiel.

Von seinem großen Gegner befreite R. freilich diese Entscheidungsschlacht, auch sein Land gab sie ihm wieder, aber alle weitern sich daran knüpfenden Erfolge nahm ihm König Ludwig vorweg, der das burgundische Erbe mit Beschlag belegte. Nicht einmal den Anschluß des Herzogthums Bar an Lothringen, der des alten Königs R. Herzenswunsch war, gönnte ihm die französische Politik, noch weniger natürlich den Erwerb der Provence, überall kam Ludwig XI. den Anschlägen René’s zuvor. Erst nach seinem Tode 1484 gelang es R. zum Lohn für die treue Unterstützung, die er Ludwig’s Tochter, der Regentin Anna, im Kampf gegen die großen französischen Vasallen erwies, die Vereinigung von ganz Bar mit Lothringen zu erhalten, aber alle weitern Ansprüche fanden weder bei ihr noch bei Karl VIII. und Ludwig XII. Gehör. Nach den gewaltigen Schicksalen der ersten Jahre erscheint die fernere Regierungszeit René’s gehaltlos, sein unruhiger Ehrgeiz, das Erbtheil des Hauses Anjou, findet nirgends Befriedigung und erreicht nirgends sein Ziel. Weder in dem Kampfe, den er für die [211] Republik Venedig gegen Ferrara 1482 ohne sonderlichen Ruhm führte, noch später im Jahre 1488 kamen seine Pläne einer Unternehmung auf Neapel zur Reife, auch seine Absichten auf die Stadt Metz, mit der er bis zum Jahre 1493 in fast ununterbrochener Fehde lebte, wie auf Toul schlugen fehl. 1496 bekriegte er den Herzog Robert von Bouillon, den sogenannten Eber der Ardennen. Sein einziger Gewinn war die Vogtei über Epinal, die er vom Bischof von Metz zu Lehen erhielt. Als deutschen Reichsfürsten sehen wir R. nur einmal an dem Reichstage von Worms 1495 theilnehmen, um sein Lehen vom Kaiser zu empfangen. Wie er hierbei eine Sonderstellung vor den übrigen Fürsten beanspruchte, so hat er sicherlich auch an den großen Reformversuchen Kurfürst Berthold’s von Mainz keinen Antheil genommen. Für sein Land brachten seine abenteuerlichen Pläne eine empfindliche Steigerung der finanziellen Lasten, unter ihm wurde trotz des Widerstrebens der Stände die erste feststehende Steuer, die sogenannte Remigiensteuer, eingeführt. An Pracht- und Nutzbauten wie an der Wolfsjagd scheint R. in seinen letzten Jahren bis zu seinem Tode am 10. December 1508 besonders Gefallen gefunden zu haben. Nicht ohne classische Bildung, die er sich in seiner Jugend auf der Schule von Florenz erworben hatte, ist er besonders durch seine Vorliebe für geographische Studien und durch seine Verbindung mit Amerigo Vespucci, der ihm seine berühmte Reisebeschreibung, 1507 zu St. Dié gedruckt, widmete, in weiteren Kreisen bekannt geworden.

Von den gleichzeitigen Quellen führe ich nur an: La chronique de Lorraine, die höchst wahrscheinlich von einem Secretär Herzog René’s, Chrétien de Châtenoy, verfaßt ist (Ausgabe von Marchal im Recueil de documents sur l’histoire de Lorraine, Band V, Nancy 1859). Nach Lepage soll die Bibliothek von Epinal eine bisher ungedruckte Geschichte René’s II. besitzen. Vgl. außerdem Dom Calmet, Histoire de Lorraine und A. Digot, Histoire de Lorraine, tom. III.