Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Orlich, Leopold von“ von Friedrich Ratzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 424–426, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Orlich,_Leopold_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 10:03 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Orley, Barend van
Band 24 (1887), S. 424–426 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Leopold von Orlich in der Wikipedia
Leopold von Orlich in Wikidata
GND-Nummer 117146234
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|24|424|426|Orlich, Leopold von|Friedrich Ratzel|ADB:Orlich, Leopold von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117146234}}    

Orlich: Leopold v. O., Reisender, geographischer und militärischer Schriftsteller, geb. am 30. Juni 1804 zu Stallupönen, Sohn des bekannten Vertheidigers Königsbergs gegen Ney, starb am 2. Juni 1860 zu London. O. entwickelte frühe neben den Eigenschaften, die ihn zum tüchtigen Militär machten, gelehrte Neigungen, welche sich mit Entschiedenheit auf Geschichte und Geographie richteten. Schon als Lieutenant der Garde schrieb er mehrere Geschichtswerke, von denen 1836 „Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst“, 1838–39 „Geschichte des preußischen Staates im 17. Jahrhundert“, 1841 die „Geschichte der schlesischen Kriege“, 1842 „Fürst Moritz von Anhalt-Dessau“ zur Veröffentlichung gelangte. Diese Werke werden bis heute noch immer als vorzügliche Beiträge besonders aus dem kriegsgeschichtlichen Gesichtspunkte geschätzt. O. hörte Vorlesungen bei C. Ritter und stand mit diesem und A. von Humboldt in Verkehr. Die Gelegenheit zu einer Reise nach Asien, welche er lange geplant, bot sich 1842 dem inzwischen zum Hauptmann im Kaiser Alexander Gardegrenadier-Regiment Vorgerückten und gleich sovielen Kameraden der langen Friedenszeit Müden. In diesem Jahre wurde ein anscheinend schwerer und langdauernder Feldzug der Engländer nach Afghanistan vorbereitet, der zugleich eine vortreffliche Gelegenheit zur Einsammlung geographischer Informationen über ein ebenso interessantes wie wenig bekanntes Land zu bieten versprach. Das unglückliche Geschick der britischen Expedition von 1841 nach Afghanistan hatte den jungen Offizier mit Theilnahme erfüllt und als der Rachezug unter Pollock geplant ward, den man besonders auf dem Continent als den Anlaß zu einem ernsten Kriege auffaßte, entschloß sich O. kurz „dem bevorstehenden Feldzuge beizuwohnen, um in den Reihen der britischen Armee diejenigen Kriegserfahrungen zu gewinnen, welche ein vieljähriger Friede seinem vaterländischen Heere versagte“ *). Nach längeren Verhandlungen mit der britischen Regierung über den Charakter seiner Theilnahme, schiffte er sich am 1. Juli 1842 in Southampton ein, und landete am 6. August in Bombay. In dem ersten der Briefe, welche gesammelt 1845 als Reisebeschreibung erschienen, schildert O. die Reise durch das Mittelmeer, über den Isthmus von Suez und durch das Rothe Meer in der ruhigen, von treuer Beobachtung aber wenig Originalität zeugenden Weise, die alle seine späteren indischen Reisebriefe in gleicher Weise charakterisirt, dabei aber nicht ganz dem geistigen Niveau der beiden berühmten Adressaten entspricht. In Bombay von der englischen Kolonie, besonders seinen Kameraden, auf das freundlichste aufgenommen, lernte O. das Leben in Indien von der hellen Seite kennen, um auf der Fahrt nach Kuratschi, wo auf den gedrängt vollen Transportschiffen die Cholera in der heftigsten Weise ausbrach, sehr bald auch die dunkle zu erfahren. O. begab sich über Ferospur rasch nach der Front, erfuhr aber die Einnahme und Zerstörung von Kabul, noch ehe er an jenem Orte angelangt war. Er durchreiste Bawalpur und das Reich Rundschit Sings, von welchem ein Brief an A. v. Humboldt eine für die Kenntniß der Zustände der letzten Zeiten des Sikreiches wichtige Schilderung entwirft. Die Nachklänge des Krieges, die Ankunft des Generalgouverneurs Ellenborough, die Rückkehr der ruhmbedeckten Vertheidiger von Dschellalabad und der Erstürmer des Bala Hissar von Kabul, die Verhandlungen mit dem Hofe von Lahore, den er gemeinsam mit der Gesandtschaft unter Maddock besuchte, zogen in raschem Fluge an ihm vorüber. In einem langen Briefe, den er im Januar 1843 aus Karnaul an Ritter richtete, schildert er die britisch-indische Armee in einer eingehenden Weise, welche zeigt, wie gründlich er sich zu unterrichten gewußt hatte. Im [425] Februar begab er sich über Panipat nach Delhi und Agra, Burtpur und Mattra, im März reiste er durch Audh, besuchte Kaunpur, Luknau, Allahabad, Benares, Calcutta und schiffte sich am 5. April nach Madras ein, berührte auf dem Heimweg die Malediven, Aden und Kairo, wo er von Mehemed Ali empfangen ward, und landete am 8. Juni in Falmouth. Schon 1845 erschienen seine Reisebriefe als Buch, welches in jener an politischen wie geographischen Ereignissen armen Zeit mit Beifall aufgenommen wurde, eine Uebersetzung ins Englische und mehrere Auflagen (die letzte 1859) erlebte. Außer der Summe solider Belehrung, die es bot, zeichnete es eine Ausstattung aus, welche in jener Zeit Aufsehen erregte. Es sind diese „Reisen in Indien“ eines der ersten Bücher, welche in Deutschland mit Farbendrucktafeln illustrirt erschienen. O. stand bis 1848 als Hauptmann bei seinem Regiment in Berlin und erhielt im April dieses Jahres den erbetenen Abschied mit dem Charakter als Major. Seiner Vorliebe für englische Einrichtungen folgend, verlebte er von da an einen großen Theil seiner Zeit in England, wo er nach seiner Vermählung mit der Tochter von George Mathew von Fowlers Hall in Kent die nächsten persönlichen Beziehungen besaß und wo man ihn als Freund und ehrlichen Beurtheiler englischer Einrichtungen, besonders der Armee, immer schätzte. Von hier aus ließ er 1849 seine von christlichem und freiem Sinne erfüllte kleine Schrift „Ueber einige Vereine in England zur Hebung des leiblichen und sittlichen Wohles des Volkes“ ausgehen, welche zur besseren Fürsorge besonders in den Wohnungsverhältnissen der arbeitenden Classen auffordert. 1853 veröffentlichte O. als Ergebniß einer italienischen Reise die „Ausführliche Beschreibung Ischias“ in der Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde. Zu erneuter Thätigkeit riefen ihn die Ereignisse auf, deren Schauplatz 1857 Indien war. Er veröffentlichte noch in demselben Jahre sein freimüthiges „Sendschreiben an Lord W. über den Militäraufstand in Indien“ und vollendete unter dem Eindruck dieses großen geschichtlichen Ereignisses, welches Indiens Stellung zu Großbritannien so tief umgestaltete, und der darauf folgenden Aufhebung der ostindischen Compagnie unter Uebergang ihrer Macht und Aufgabe an die britische Regierung 1859 den ersten Band seines größten Werkes: „Indien und seine Regierung. Nach den vorzüglichsten Quellen und Handschriften“ und kurz darauf die erste Hälfte des zweiten Bandes, während aus den reichen Notizen und Ausarbeitungen K. Böttger in Dessau dessen Schluß zusammenstellte und bearbeitete. Im ersten Band nimmt die Geschichte Indiens unter englischem Einflusse 6/7 des Ganzen ein, während im zweiten die Geschichte des Sind, der Sik und von Audh dominiren, denen eine vielfach an die „Reise“ sich anlehnende Schilderung der religiösen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der Bearbeitung Böttger’s sich anschließt. Die wichtigsten Abschnitte dieses Werkes sind die kriegsgeschichtlichen, für welche O. mancher Originalbeitrag, mündliche Mittheilungen und eigene Anschauung zur Verfügung standen, und diejenigen, welche von dem damaligen Zustande der britisch-indischen Armee handelten. Daß über letzteren O. einige Privatbriefe britischer Freunde veröffentlichte, wurde ihm verübelt, aber seine offenen Urtheile wurden in England mit großem Interesse aufgenommen und vielfach bestätigt. Sein Sendschreiben über den Militäraufstand in Indien rühmt die „Times“ als eine aus dem Meere der Broschüren über diesen Gegenstand hervorragende, durch gesunden Menschenverstand und Fernhalten von Uebertreibungen ausgezeichnete Arbeit. Vielleicht wurde O. in seinen letzten Jahren in England fast mehr beachtet als in Deutschland. Die Gründe liegen nicht fern. Seine innige Verbindung mit der englischen Gesellschaft beeinflußte seine politischen Sympathien und Urtheile. Er galt für freisinnig und in Kreisen, wo man ihn kannte, setzte man Hoffnungen auf seine langjährige vertraute Bekanntschaft mit Kaiser Wilhelm I., dem damaligen [426] Prinzen von Preußen. Indessen war O. mehr durch Fleiß und Treue in der Beobachtung und Aufzeichnung, als durch Selbständigkeit und originale Kritik ausgezeichnet. Auch sein Stil hat daher bei Klarheit und Einfachheit etwas Trockenes und Lehrhaftes.

Nekrolog in den Geogr. Mittheilungen, 1861. – Biogr. Nachruf in der „Times“ vom 10. Juni 1860, reprod. in der Allgem. Zeitung vom 12. Juni 1860.

[424] *) Reise in Ostindien 1845, Vorwort.