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Artikel „Oesterreicher, Paul“ von Friedrich Leitschuh in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 518–520, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oesterreicher,_Paul&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 08:43 Uhr UTC)
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Oesterreicher: Paul Oe., Geschichtsforscher und Archivar, geb. 1766 zu Forchheim, † am 3. Februar 1839 zu Bamberg. Anfangs in seiner Vaterstadt, später an dem Gymnasium in Bamberg in die humanistischen Studien eingeführt, besuchte Oe. daselbst auch die Universität. Am 6. September 1784 erwarb er sich die philosophische Doctorwürde und widmete sich hierauf an genannter Hochschule der Rechtswissenschaft. Die Professoren dieser Disciplin: Pfister, Gönner, v. Reider und Schott scheinen ihn lange gefesselt zu haben; erst am 31. Juli 1795 unterzog er sich der akademischen Prüfung und erlangte am 3. October desselben Jahres die juristische Licentiatenwürde mit der Dissertation: „Num pactum, quo princeps exteros detractu liberat, status obliget mediatos?“ Auffallenderweise wurde diese Abhandlung nicht gedruckt, obgleich Oe. in der folgenden Zeit fast in jedem Jahre einige Schriften veröffentlichte. Bald nach seiner Promotion ließ er sich als Advocat in Bamberg nieder und blieb auch in der Kriegsperiode vom Jahre 1796–1801 in dieser Stellung. Im letztgenannten Jahre wurde er fürstbischöflicher Hofrath und übernahm die Redaction der Bamberger Zeitung. Als er aber im J. 1803 zum Archivar in Bamberg ernannt worden war, legte er die Redaction dieser Zeitung nieder, um von seinen amtlichen Berufsgeschäften nicht weiter abgezogen zu werden. Eine äußerst bewegliche Natur, konnte Oe. nie unthätig sein. Nach seinem Uebertritt in den baierischen Staatsdienst warf er sich mit Energie und Geschick auf das Feld der historischen Forschung, wobei aber die Förderung rein dienstlicher Arbeiten niemals von ihm vernachlässigt wurde. Die Akademie der Wissenschaften erkannte dieses Verdienst auch an und ernannte ihn zu ihrem correspondirenden Mitgliede. Man kann ohne Bedenken behaupten, daß seine schriftstellerische Thätigkeit eine nicht geringere war als seine Thätigkeit im Archive; nur wollen manche bedauern, daß er nicht seine ganze Kraft zur Förderung der Bamberger Geschichte, gewissermaßen zur Fortsetzung der von seinen amtlichen Vorfahren, Heyberger und Kluger, begonnenen Arbeiten verwendet habe. In den ersten Jahren seiner amtlichen Thätigkeit gab er mit großen materiellen Verlusten das „Archiv des Rheinischen Bundes“ heraus, eine Sammlung von Urkunden und Actenstücken über die Militär- und Kriegsereignisse des Rheinlandes während des Krieges 1806/7. Er scheint bei Herausgabe dieser Zeitschrift von dem Gedanken geleitet worden zu sein, daß es nöthig sei Urkunden, Actenstücke und Abhandlungen aus der Staatsgeschichte mitzutheilen, um die große Masse allmählich mit den politischen Verhältnissen, insbesondere mit dem eben abgeschlossenen Rheinbunde zu versöhnen. Meint er doch, daß „diejenigen, welche in der engen Verbindung des rheinischen Bundes oder der Teutschen mit Frankreich etwas Arges finden wollten, nicht bedacht hätten, daß dieses Teutschland das Vaterland [519] der Franken sei, welche einstens auszogen, um in Gallien ein Reich sich zu gründen, welches von dem teutschen Namen der teutschen Sieger das Frankenreich bis auf unsere Zeiten geheißen habe.“ Allein trotzdem wurde weder dieses noch das in 11 Heften herausgegebene „Kriegsarchiv“ viel gelesen oder gar gekauft. Oe. hatte nicht nur materielle Verluste, welche mit diesen Unternehmungen verbunden waren, zu beklagen, sondern mußte sich auch ob seines Liebäugelns mit Frankreich schief ansehen lassen. Er trat nunmehr mit dem Landesdirectionsrath Stumpf, welcher „Denkwürdigkeiten der teutschen, besonders fränkischen Geschichte“ herausgegeben hatte, in Unterhandlung, um dieses Unternehmen, welchem Stumpf keine rechte Freude mehr abzugewinnen vermochte, fortzusetzen. Oe. wollte indessen nicht blos Beiträge zur Geschichte, sondern auch zur Statistik, Geographie, Topographie und überhaupt zu allem liefern, was die Kenntniß der Staaten bereichern könne. Er muß nämlich in dem früheren Unternehmen, über den Rheinbund aufzuklären und für denselben zu begeistern, manche Schwierigkeit gefunden haben, denn er sagt wörtlich: „Ich begreife“ (= will umfassen) „mit dieser Zeitschrift nicht blos den teutschen Rheinbund; denn das übrige Teutschland ist mit diesem noch in manchen Verhältnissen. Da einmal Völkerschaften, die eines anderen Ursprungs sind, die teutsche Sprache, Sitten und Verfassungen angenommen haben, so besteht dadurch noch immer eine starke Gemeinschaft mit den Urteutschen, die sich jetzt in einen neuen Staatenbund vereinigt haben.“ Kurz, er will diese neue Zeitschrift als Nebenstück zum Archiv des Rheinischen Bundes angesehen wissen. Von jetzt an erscheinen fast in jedem Jahre, im Ganzen 106, Abhandlungen, welche er theils als eigene Schriften, theils in der von ihm mit F. Döllinger redigirten Zeitschrift für Archiv- und Registraturwissenschaft (von der übrigens nur wenige Hefte erschienen sind), theils in den geöffneten Archiven, in der Zeitschrift für Baiern, theils im Baireuther und Würzburger Archiv des historischen Vereins, theils in den sechs Bänden „Beiträge zur Geschichte“ herausgab. Wir verkennen nicht, daß Oe. fast immer Herr des gewählten Stoffes war, und daß er das ihm zur Verfügung stehende reiche Urkundenmaterial redlich benutzt hat, jedoch der polemische Ton, den er fast regelmäßig anschlug, ferner die nicht gehörige Verarbeitung des Quellenmaterials verschafften seinen Schriften nicht die Beachtung und Würdigung, welche die sonst interessanten, manche dunkle Stelle in der Geschichte des Frankenlandes aufklärenden Forschungen wohl verdient hätten. Geradezu unerquicklich sind die litterarischen Fehden, welche Oe. mit dem Bamberger Bibliothekar Jäck führte, dessen kampflustiges Wesen freilich ein gut Theil Schuld daran trug, wenn die Kritik, welche Oe. an den historischen Arbeiten Jäck’s mit unerbittlicher Strenge zu üben pflegte, allmählich in wüstes Litteratengezänke ausartete. Eigenthümlich berührt es, daß Oe. im J. 1808 von sich selbst schreibt: er bedaure, daß man Urkunden und Acten, wie Geheimnisse, die nie verrathen werden dürften, sonst bewahrt habe. Auf solche Weise sei Geschichtsforschung unmöglich gewesen. Es sei ein Glück, daß die Zeit angebrochen, in welcher diese Heimlichkeiten aufhörten, in welcher aufgeklärte Regierungen für Verbreitung der Wissenschaften und für die Geistescultur ihrer Völker sorgten. Diese Zeit sei nicht zu versäumen, denn sie könnte wieder einmal nicht mehr sein! Es müsse Licht werden, denn der Hang zur Finsterniß sei bedenklich groß. Er werde nach diesem Licht streben, soweit es sein Wirkungskreis erlaube und seine Kräfte reichten. Ich sage, daß uns diese Worte eigenthümlich berühren, deshalb, weil der sonst so liberale und selbst so fleißige Archivar gerade Männern der Wissenschaft, angesehenen Geschichtsforschern, sehr oft die Einsichtnahme der Acten verweigerte, wol aus keinem anderen Grunde, als weil er jeden wichtigen und interessanten Stoff im Laufe der Tage selbst verarbeiten zu können hoffte. Aber diese seine Hoffnung, mit der er eifersüchtig die Schätze des Bamberger Archivs [520] hütete, erfüllte sich nicht. Am 3. Februar 1839 ereilte ihn der Tod, ohne daß ihm eine Ausbeutung des Archivs in jenem geplanten, umfassenden Sinne vergönnt gewesen wäre. Er hinterließ zwei Söhne, von denen der eine, Adolf, als Curatus im Hospital auf dem Michelsberge in Bamberg 1867 starb; derselbe war lange Zeit Secretär des historischen Vereins von Bamberg und redigirte als solcher den Jahresbericht. Der andere trat in die baierische Armee und starb als Oberstlieutenant. In Anerkennung seiner archivalischen und litterarischen Verdienste war Oe. bereits am 21. Juli 1821 zum königlich baierischen Rath ernannt worden. Es würde zu weit führen, wollte ich die litterarische Thätigkeit Oesterreicher’s hier eingehend beleuchten und in ihrer Vielseitigkeit würdigen. Sie läßt sich in drei Hauptgruppen scheiden: die eine umfaßt Beiträge zur Diplomatik, die andere schließt zahlreiche Studien zur Geschichte Frankens in sich ein, die dritte endlich trägt einen ausgeprägt specialhistorischen Charakter und besteht aus gediegenen Forschungen zur Geschichte des Fürstbisthums Bamberg, welche als Früchte einer reichen archivalischen Thätigkeit zu betrachten sind.

S. Nekrolog der Deutschen, Jahrg. 1839. – Fränk. Merkur, 1820. – Jäcks Pantheon der Litteraten u. Künstler Bambergs, 1814, S. 838. – Jäck’s 2. Pantheon S. 94, 1844.