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Artikel „Neßler, Victor E.“ von Carl Krebs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 613–614, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ne%C3%9Fler,_Victor_E.&oldid=- (Version vom 1. Dezember 2024, 04:06 Uhr UTC)
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Neßler: Victor E. N., Componist. N. ist am 28. Januar 1841 zu Baldenheim bei Schlettstadt im Elsaß geboren. Sein Vater, der dort Pfarrer war, wurde bald nach Barr versetzt, und hier hat auch Victor N. seine Jugend verlebt. Er hatte erst im Sinn, den Beruf des Vaters zu ergreifen und studirte in Straßburg Theologie, bildete sich aber daneben unter Leitung von G. Fr. Th. Stern zum Musiker aus. Als seine Oper „Fleurette“ von ihm 1864 in Straßburg mit gutem Erfolg aufgeführt war, widmete er sich ganz [614] der Tonkunst und ging nach Leipzig, um dort seine Studien zu vollenden, und in Leipzig fand er eine zweite Heimath. Er wurde Chordirector am Stadttheater und Dirigent des Gesangvereins „Sängerkreis“, und er schrieb hier auch die Werke, die seinen Namen weit bekannt gemacht haben. Seine ersten Opern kamen zwar über Leipzig nicht wesentlich hinaus: „Dornröschens Brautfahrt“ (1867), „Die Hochzeitsreise“ (Operette, 1867), „Nachtwächter und Student“ (Einakter, 1868), „Am Alexandertag“ (1869) und „Irmingard“ (1876); „Der Rattenfänger von Hameln“ (1876) machte jedoch Aufsehen, ebenso „Der wilde Jäger“ (1879), und mit dem „Trompeter von Säkkingen“ (1884) errang N., was die Zahl der Aufführungen anbetrifft, den größten Opernerfolg der letzten dreißig Jahre. Die Beliebtheit dieses Stückes und der beiden vorhergehenden beruhte zunächst auf dem Stoff. Julius Wolff’s Dichtungen waren weit verbreitet, Scheffel’s Sang vom Oberrhein war mit Begeisterung aufgenommen worden, und diese Zuneigungen für die poetischen Urbilder übertrug das Publicum auch auf die Opern, die aus ihnen gewonnen wurden. Hierzu kam, daß Neßler’s Musik für den Durchschnittsgeschmack wie geschaffen war: sie war nicht beschwert durch Originalität und ästhetische Ambitionen, die kleinen Liedersätze gingen leicht ins Ohr, die sentimentale Trivialität der Melodik, der ganze Liedertafelton fanden in breiten Schichten der Bevölkerung lebhaften Wiederhall. So flammte der Erfolg auf wie ein Strohfeuer – und erlosch ebenso schnell. Neßler’s letzte Opern, „Otto der Schütz“ (1886) und „Die Rose von Straßburg“ (1890), eine Huldigung für das Heimathland des Componisten, wurden kaum mehr beachtet. Neben den Opern haben Neßler’s volksthümliche Chorlieder ein großes Publicum gefunden: „Der Blumen Rache“, für Chor, Soli und Orchester, der Doppelchor „Sängers Frühlingsgruß“ für Männerstimmen, „Von der Wiege bis zum Grabe“, ein Liedercyklus für Männerchor, u. a. m. Während der letzten Jahre seines Lebens hatte sich N. in Straßburg niedergelassen, wo er am 28. Mai 1890 starb.