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Artikel „Lotichius, Petrus“ von Friedrich Wilhelm Cuno in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 269–270, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lotichius,_Petrus&oldid=- (Version vom 4. Oktober 2024, 19:01 Uhr UTC)
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Lotichius: Peter L. (eigentlich Lotz), Reformator der Obergrafschaft Hanau-Münzenberg, reformirter Abt des Klosters Schlüchtern, geb. im Januar 1502 als Sohn eines Bauern zu Niederzell bei Schlüchtern, † am 23. Juni 1567. Ueber seine Jugendbildung gibt er selbst ein getreues Bild in einem von ihm hinterlassenen Manuscripte. „Im J. 1517 im Januario bin ich in mein Kloster Solitarien durch meine lieben Aeltern offerirt worden. Zu dieser Zeit, als ich in mein Kloster kam, war Abbas Christianus Happ, aus Windecken bürtig, mein Vorfahrer, ein ehrlicher frommer Mann, war 19 Jahre Abt gewesen, wie ich in das Kloster kam, hatte unter ihm 11 Conventualen, waren alle Priester; ihr Amt war täglich viel Messe halten, ihre horas canonicas, d. i. die sieben Gezeit u. s. w. Von keinem Studiren, Schulmeistern oder Schülern wußte man der Zeit zu sagen. Zu der Zeit fing Lutherus an zu schreiben; denn es war auch hoch von nöthen! Diese drei Hauptlaster hatten im Pabstthum durch alle Stifte und Klöster überhand genommen: Lügen und Abgötterei, Unzucht und Hurerei, Müsiggang und Völlerei, daß es nicht länger bestehen konnte.“ Wahrscheinlich fand sich in diesem Benedictinerkloster doch eine gelehrte Persönlichkeit, die einigermaßen das wissenschaftliche Streben des jungen Novizen befriedigte. Im J. 1523 ward er zum Priester geweiht. Der Bauernkrieg, in welchem der Graf Philipp II. von Hanau das Kloster vor den Aufständischen schützte, brachte aber die hiesigen kirchlichen Verhältnisse in ein vollständiges Chaos. Kein Mensch wollte mehr etwas vom Papstthum wissen. Allerwärts fehlte es indessen hier an Predigern des Evangeliums. L., welcher in jener Zeit Pfarrer in Schlüchtern wurde, fühlte lebhaft in seiner Stellung seine Unwissenheit in den göttlichen Dingen. Er studirte nun fleißig die heilige Schrift sowie die Werke der Reformatoren. Nach dem Ableben des bisherigen Abtes Christianus wurde er 1534 zu dessen Nachfolger verordnet. Allein fast Niemand wollte mehr in das Kloster gehen. Auf den Rath des Enneobulus, welcher seit 1528 den Reformator der Untergrafschaft Hanau-Münzenberg, den seit 1523 in Hanau thätigen M. Adolf Arbogast unterstützte, beschloß L. eine gründliche Reformation seines Klosters selbst vorzunehmen. Er wandelte es um in eine Bildungsstätte für junge Leute, welche sich dem Dienste der Kirche widmen wollten. Denn er erkannte, daß ohne eine gründliche wissenschaftliche Bildung der Geistlichen die Reformation nicht in der rechten Weise durchzuführen sei. Daher ging er anfangs langsam und mit aller Vorsicht zu Werke, nicht gewaltsam. Erst nach der Rückkehr der ersten sieben von ihm bis zur Universität vorgebildeten jungen Männer von Marburg vollendete er das Reformationswerk mit deren Hülfe 1544 auch in den Landkirchen des Klostergebietes durch die Einführung des heiligen Abendmahles unter beiderlei Gestalt. Und als an Ostern des genannten Jahres wieder einige seiner Schüler auf die Marburger Hochschule zogen, begleitete er sie, um mit ihnen selbst zu lernen, wie auf den Universitäten, welche den neu erwachten Geist der Reformation pflegten, kirchliche Lehre und kirchliches Leben sich entwickelt [270] habe. Daselbst schloß er in jenen Tagen einen innigen Freundschaftsbund mit mehreren Professoren, namentlich mit dem entschieden reformirten Theologen Andreas Hyperius, mit dem er in der Folge in reger Correspondenz blieb. In den ersten Jahren ließ ihn der Diöcesanbischof von Würzburg, dem das Kloster Schlüchtern als Ordinarius untergeben war, gewähren. Nachdem aber durch die Schlacht von Mühlberg 1547 sich die Sachlage für den Protestantismus in Deutschland sehr ungünstig gestaltete, nahm dieser hohe geistliche Würdenträger eine sehr energische Stellung gegen alle reformatorischen Bestrebungen seines Landes und Sprengels ein. Den Abt L. ließ er durch eine Specialcommission in seine Schranken weisen. Nach langem Sträuben erschien derselbe in Würzburg. Nicht aber widerrief er dort, was er bisher bekannt und gelehrt, wie seine Feinde aussprengten, sondern er gab nur zu, indem er den Zeitumständen Rechnung trug, daß er sich geirrt habe, weil er bisher die Ordination oder Priesterweihe ertheilt, welches allein dem Bischof zuständig sei. Auch wegen des Klosterzehnten gerieth L. mit dem Bischofe in Conflict, welcher endlich den vollständigen Bruch mit diesem herbeiführte. Bei seinem Landesherrn, dem Grafen von Hanau, stand er in hohem Ansehen. Seinen Anordnungen folgte man gern. In allen Religionssachen wurde er zu Rath gezogen. In seinen letzten Lebensjahren brachte er zu seiner Kräftigung jeden Sommer einige Wochen in Hanau zu. Gelegentlich solchen Aufenthaltes war es, daß ihn daselbst der Tod überraschte. Man brachte den Leichnam nach Schlüchtern, wo er in der Klosterkirche beigesetzt wurde. – Was den confessionellen Charakter Lotich’s und der durch ihn bewirkten Reformation in der Obergrafschaft Hanau-Münzenberg betrifft, so war derselbe ein vorherrschend reformirter. Denn die in der ersten Periode des Reformationszeitalters ganz Oberdeutschland durchziehende reformirte oder schweizerische Strömung war es, von welcher die oben genannten Reformatoren der hanauischen Untergrafschaft, Schüler Capito’s und Butzer’s, erfaßt waren und welche, durch innigste Wechselbeziehungen mit jenen, auch den Abt L. frühzeitig ergriff. In solcher Richtung wurde derselbe durch die Verbindung mit den Marburger Theologen so gestärkt, daß, als in Folge des Einflusses des bekannten Lutheraners Westphal aus Hamburg in dem benachbarten bisher reformirt gesinnten Frankfurt zu Anfang der fünfziger Jahre ein confessioneller Umschlag vor sich ging, der auch die Untergrafschaft Hanau in Mitleidenschaft zog, die ganze Obergrafschaft davon in Folge seines Wirkens unberührt geblieben ist. Auf diese Weise legte er, wie der unten angeführte Historiker von Schlüchtern bemerkt, den Grund zu der Erscheinung, daß schon unter ihm in seinen letzten Lebensjahren und unter seinen Nachfolgern im Umfange des kirchlichen Gebietes des Klosters und weit darüber hinaus das reformirte Bekenntniß des Heidelberger Katechismus freiwillig angenommen und herrschend wurde bis auf den heutigen Tag.

Pfr. Rullmann’s Beiträge zur Gesch. des Klosters Schlüchtern im vierten und sechsten Band der Neuen Folge der Zeitschrift f. hessische Gesch. und Landeskunde. Dessen: Urkundliche Gesch. des Klost. Schlüchtern im siebenten Bande dieser Zeitschrift. Dessen: Die Lotichier, in den Mittheilungen des Hanau. Bezirksvereins, Nr. 5, 1876. Die Vita des Pet. Lotichii in Opuscula Lotichii von J. Pet. Lotich, Prof. der Med., herausgegeben, Marburg 1640.