Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Leupolt, Karl Benjamin“ von Paul Richter (Missionar) in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 675–677, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Leupolt,_Karl_Benjamin&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:11 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Leudesius
Nächster>>>
Leuthari
Band 51 (1906), S. 675–677 (Quelle).
Charles Benjamin Leupolt bei Wikisource
Nach Wikipedia-Artikel suchen
Charles Benjamin Leupolt in Wikidata
GND-Nummer 100188915
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|51|675|677|Leupolt, Karl Benjamin|Paul Richter (Missionar)|ADB:Leupolt, Karl Benjamin}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=100188915}}    

Leupolt: Karl Benjamin L. wurde am 25. October 1805 in dem sächsischen Pfarrdorfe Reichenau bei Zittau geboren. Seine Kindheit fällt in jene trübe Zeit, da unser Vaterland unter dem Druck der napoleonischen Gewaltherrschaft seufzte. Der junge L. bekam davon sein Theil zu verspüren, indem sein Vater, vorher ein wohlbegüterter Fabrikant, in den Wirren jener Zeit sein Vermögen verloren zu haben scheint. Um den Sohn möglichst bald in die Lage zu bringen, sich selbst sein tägliches Brot zu verdienen, thaten ihn darum seine Eltern nach seiner Confirmation zu einem Handwerker in die Lehre. Nach der wenig freudenreichen Lehrzeit bei einem rohen Meister begab sich der Jüngling auf die Wanderschaft, und auf dieser verlor er sein bestes Gut, seinen Glauben: er gerieth auf die Irrwege des Atheismus.

In Basel indessen, wohin ihn die Wanderschaft führte, machte er die Bekanntschaft eines Landsmannes, eines frommen jungen Mannes, der sich im dortigen Missionsseminar zum Missionar ausbilden ließ. Zunächst fühlte sich L. von der Frömmigkeit seines Bekannten eher abgestoßen als angezogen; allmählich machte sie aber doch tiefen Eindruck auf ihn. Er bekehrte sich aus tiefstem Grunde, gewann in dem neugefundenen Glauben den Frieden der Seele wieder und beschloß, sich nun auch selbst dem Missionsberufe zu widmen.

Er meldete sich zur Aufnahme im Basler Missionshause, ward aufgenommen und verbrachte die nächsten vier Jahre (1827–31) in diesem Hause unter der Leitung des innig gläubigen, geistesmächtigen Missionsinspectors Blumhardt; es war eine für sein inneres Leben reichgesegnete Zeit.

Die Basler Missionsgesellschaft sandte damals noch nicht selbst Missionare [676] in die Heidenwelt, sondern bildete sie nur zu solchen aus und übergab sie dann anderen Gesellschaften, meist der englisch-kirchlichen Missionsgesellschaft, zur Aussendung. In den Dienst dieser letzteren Mission trat auch unser L. ein und ward von ihr, nachdem er noch einen einjährigen Cursus auf dem Missionsseminar in Islington (London N.) absolvirt hatte, im J. 1832 nach Indien, seiner zukünftigen Wirkungsstätte, ausgesandt.

Am 19. Januar 1833 zogen er und sein Mitmissionar Knorpp in Benares ein, wo sie ihre Wohnung aufschlagen sollten. Was dem Mohammedaner Mecca und Medina, dem Juden Jerusalem ist, das ist dem Hindu Benares: die heilige Stadt, die Pforte des Himmels. Mit seinen mehr als 1000 Tempeln und Tempelchen bildet es die Hochburg des Hinduismus. Die Missionsarbeit an diesem Platze ist ebenso schwierig, wie sie wichtig ist. Es ist begreiflich, daß die Vertreter des Hinduismus, die Brahmanen, die in Benares zu Zehntausenden ansässig sind, hier der Verkündigung des Evangeliums den leidenschaftlichsten und zähesten Widerstand entgegensetzen. Andererseits muß das Christenthum den Hinduismus, wenn es ihn überhaupt überwinden will, hier überwinden.

Missionar Leupolt hat den gewaltigen Kampf aufgenommen und ihn fast vier Jahrzehnte hindurch (1833–1872) unentwegt, mit aller Energie ausgefochten. Es war noch in den ersten Jahren seiner Thätigkeit, da besuchte Bischof Wilson von Kalkutta einmal zu Visitationszwecken Benares, und er berichtete hernach über L.: „Leupolt verspricht ein zweiter Schwartz zu werden“ (Schwartz, von 1750–1798 Missionar in Südindien, war einer der größten Missionare der evangelischen Kirche, s. A. D. B. XXXIII, 205). Die Hauptstärke Leupolt’s lag in der Straßenpredigt und der öffentlichen Disputation. Tag um Tag, Jahr um Jahr besuchte er, begleitet von einem Mitmissionar oder einem eingebornen christlichen Gehülfen, die Straßen und Plätze, die Ghats (die zum Ganges hinabführenden Treppen) und die Melas (religiöse Volksfeste) nah und fern. Ohne Uebertreibung konnte er schließlich melden, daß es in Benares keinen Winkel und keine Gasse mehr gäbe, wo das Evangelium nicht verkündigt worden sei. Der Landessprachen, des Hindi wie des Urdu, wurde er im Laufe der Jahre so sehr Meister, wie es nur wenigen Europäern gelingt. Aber er begnügte sich nicht mit einer äußerlichen Sprachkenntniß, sondern bemühte sich vor allen Dingen, in das Denken und Fühlen seiner Zuhörer einzudringen. Ihre heiligen Schriften hat er gründlich studirt. Vor allem ist aber die herzliche Sympathie, die er für seine Zuhörer alle Zeit empfand, für alle Missionare vorbildlich. Nie ließ er seine Ueberlegenheit fühlen, nie sich zur Leidenschaft fortreißen; immer blieb er wie sein Meister „sanftmüthig und von Herzen demüthig“. Der Morgenländer ist ein Freund der Gleichnißrede, während er scharfem logischen Denken abhold ist. Diese Gabe der Gleichnißrede war nun L. in besonderem Maße gegeben. Wie oft hat er mit einem packenden Gleichniß die Gegner zum Schweigen gebracht!

Neben der Predigtthätigkeit widmete sich L. mit vieler Liebe der Schule. Ist das auch keine directe Missionsarbeit, so erkannte L. doch, daß es ein ganz unschätzbares Mittel dazu war, allmählich christliche Ideen weithin im Volke zu verbreiten. Schon vor Leupolt’s Zeit hatte ein heidnischer Radscha Dschai Narayan zum Dank für die ihm auf sein Gebet zum Christengott wiedergegebene Gesundheit in Benares mit bedeutenden Mitteln eine Schule gestiftet und diese der englisch-kirchlichen Mission übergeben. Die Pflege dieser Anstalt ließ sich L. angelegen sein, es gelang ihm, sie nach und nach zu einem an die Universität Kalkutta angeschlossenen College (Gymnasium) fortzuentwickeln. Wenn auch die Zahl der directen Bekehrungen dieser Anstalt nicht [677] groß war – darauf war ja auch das Absehen nicht gerichtet –, so hat sie doch unverkennbar sehr segensreich gewirkt, und das thut sie noch bis auf den heutigen Tag.

Auch zu litterarischer Thätigkeit fand L. noch Zeit. Mit einem anderen Missionar zusammen schrieb er eine preisgekrönte Preisschrift „Din-i-Haqq Ki Tahqoq“, eine Untersuchung über die wahre Religion im Gegensatz zum Hinduismus und Mohammedanismus. Als thätiger und sachkundiger Mitarbeiter hat er an der Revision von zwei indischen Bibelübersetzungen, der Uebersetzung in das Hindi und in das Urdu, mitgearbeitet.

Abgesehen von mehreren zur Erholung seiner angegriffenen Gesundheit nothwendig gewordenen Reisen in die Heimath, hat L. die ganzen 40 Jahre seiner indischen Missionsthätigkeit in Benares zugebracht. Auch während des furchtbaren Söldneraufstandes 1857, der so manchen Europäern das Leben gekostet hat, hat er treulich auf seinem Posten ausgehalten. Sonstige bedeutsame und einschneidende Ereignisse weist sein Leben kaum auf. Große sichtbare Erfolge in der Bekehrung zahlreicher Hindu zu sehen, ist ihm nicht vergönnt gewesen. Benares ist eben, wie schon anfangs gezeigt, für die Evangeliumsverkündigung ein äußerst harter, unempfänglicher Boden. Nichtsdestoweniger dort auszuharren, auch dann auszuharren, wenn er sehen mußte, wie andere Missionsfelder in Indien sich ungleich fruchtbarer erzeigten, erforderte viel Treue und Selbstverleugnung. Aber L. übte diese Selbstverleugnung, er sagte sich, daß eben Gott ihn auf diesen Platz gestellt habe und von ihm haben wolle, daß er ihn nicht verlasse. Jedoch hat es L. auch erlebt, daß sich in Benares eine kleine, langsam aber doch stetig wachsende Christengemeinde bildete. Je und je hatte er auch die Freude, daß Brahmanen oder sonst hochangesehene Männer sich zum Christenthume bekehrten, wie der einer der ersten Brahmanenkaste angehörige Babu Yuhanna, der gelehrte Pandit Nehemiah Goreh, ja sogar ein Prinz Mahzar Ali Khan, ein Nachkomme der entthronten Nabobsfamilie von Delhi. Doch beschränkt sich der Erfolg von Leupolt’s langjähriger Wirksamkeit nicht auf die immerhin kleine Zahl von Bekehrungen. Als er 1872 von Benares Abschied nahm, da war doch gar manches anders geworden, wie er es 1833 zuerst angetroffen hatte. Mochte das auch äußerlich nicht so zu Tage treten, innerlich in der ganzen Denkweise der gebildeten Hindu war doch eine große Veränderung vorgegangen; mehr als diese selbst es eingestehen würden, hatten christliche Anschauungen, christliche Ethik sich in ihren Kreisen Platz erobert. Das war auch eine verborgene Frucht von dem unermüdlichen Wirken Leupolt’s.

Seinen Lebensabend hat der Missionsveteran in England verbracht. Von 1874–1884 hat er dort als allseitig geehrter und geliebter Seelsorger das Pfarramt zu Brampton verwaltet, und daselbst ist er am 16. December 1884, nachdem er noch am Sonntag vorher die Kanzel bestiegen hatte, in dem reichen Alter von fast 80 Jahren entschlafen.

Recollections of an Indian Missionary (von ihm selbst verfaßt), 2 Thle. London. – Ostertag, Leupolt’s Erinnerungen an das Missionswerk in Benares. Basel 1846. – Ein kurzes „In memoriam“ von ihm in der März-Nummer des Church Missionary Intelligence 1885.