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Artikel „Lüntzel, Hermann“ von Karl Janicke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 643–644, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:L%C3%BCntzel,_Hermann_Adolf&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 05:06 Uhr UTC)
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Lüntzel: Hermann Adolf L., Historiker, wurde zu Hildesheim am 15. Jan. 1799 geboren. Sein Vater war der letzte Bürgermeister der bis zur Säcularisation des Stiftes selbständigen Stadt. Er widmete sich dem juristischen Studium und wurde später Justizrath, d. h. Rath der Justizkanzlei (jetzt Landgericht) zu Hildesheim. Abgesehen von seinen historischen Arbeiten, die sich ausschließlich mit Stift und Stadt Hildesheim beschäftigen und aus einem gerechtfertigten Localpatriotismus hervorgegangen sind, hat er auch auf anderen Gebieten große Verdienste um seine Vaterstadt. Er zeigte großes Interesse für die Erhaltung der Kunstdenkmäler Hildesheims; als Dirigent des Armenadministrationscollegiums ordnete er das ganz verkommene Armenwesen der Stadt. Wiederholt wurde er von seinen Mitbürgern in die hannoversche Kammer gewählt, wo er sich zur liberalen Partei mit aller Ueberzeugung hielt. Auch war er Mitglied des Frankfurter Parlaments in den Jahren 1848 und 1849. Ein langjähriges Augenleiden (Schwamm) nöthigte ihn schon früh zur Aufgabe des Staatsdienstes und machte sein Leben während der letzten Jahre zu einer Qual. Aber dieses Leiden trug er mit großer Geduld, und trotz großer Schmerzen setzte er mit eiserner Consequenz seine historischen Studien fort, zu denen ihn sein Oheim der Kanzleisecretär Lüntzel schon früh veranlaßt hatte. Seine verdienstvollen Arbeiten auf dem Gebiete der Hildesheimischen Geschichte haben seinen Namen in den weitesten Kreisen bekannt und geachtet gemacht. L. ist bei der Abfassung seiner Werke stets auf die Quellen selbst, namentlich auf die Urkunden, zurückgegangen; es ist im Gegensatze zu seinen Vorgängern, die er bei weitem überragt, die gewissenhafte, nach Wahrheit strebende Forschung, die seinen Werken einen dauernden Werth verleiht. Die erste Schrift, welche er (1830) veröffentlichte, trat für den gedrückten Hildesheimischen Bauernstand ein. Sie führt den Titel: „Die bäuerlichen Lasten im Fürstenthum Hildesheim. Eine geschichtlich-rechtliche Abhandlung“. Bereits 1831 veröffentlichte L. in Ersch und Gruber’s Encyklopädie (2. Section, 8. Theil, S. 133–152) einen die Geschichte des Bisthums und der Stadt Hildesheim betreffenden Artikel. 1832 f. gab er mit Koken „Mittheilungen geschichtlichen und gemeinnützigen Inhalts“, 2 Bde., heraus. 1837 erschien von ihm sein bedeutendstes, auf überaus gründlichen Studien beruhendes Werk, welches das Vorbild zu anderen ähnlichen gegeben hat, nämlich: „Die ältere Diöcese Hildesheim. Mit zwei Charten“, Hildesheim bei Gerstenberg. Allerdings irrt sich L., wenn er die Stiftungsurkunde des Klosters St. Michaelis, welche der Bischof Bernward im J. 1022 kurz vor seinem Tode anfertigen ließ, für echt erklärt (S. 84), – die Urkunde rührt unzweifelhaft erst aus dem 12. Jahrhundert her – aber trotz dieses Irrthums ist das Werk für die Hildesheimische Historiographie von ganz hervorragender Bedeutung. 1842 veröffentlichte er: „Die Annahme des evangelischen Glaubensbekenntnisses von Seiten der Stadt Hildesheim“. Die Schrift ist abgefaßt zur Erinnerung an die vor 300 Jahren geschehene Einführung der Reformation in Hildesheim und seinem Landsmann „Philipp Marheineke, dem im Glauben festen, in der Wissenschaft freien Protestanten, dem Kämpfer für das heilige Recht der freien Forschung“ gewidmet. Vier Jahre später (1846) gab er als ersten Band der Zeitschrift des 1844 gegründeten „Vereins für Kunde der Natur und der Kunst [644] im Fürstenthum Hildesheim und in der Stadt Goslar“ das Werkchen: „Die Stiftsfehde, Erzählungen und Lieder“ heraus. Im ersten Theile desselben werden Erzählungen in ungebundener Rede aus gleichzeitigen chronikalischen Werken, im zweiten Erzählungen in Reimen, Lieder, Fastnachtsspiele vorgeführt. In dasselbe Jahr fällt das im zweiten Jahresbericht über den Verein für Kunde der Natur und der Kunst im Fürstenthum Hildesheim abgedruckte „Verzeichniß der im Hildesheimschen untergegangenen Ortschaften“, das freilich nur einen halben Bogen umfaßt, aber für den Forscher doch von sehr bedeutendem Werthe ist. Seine letzte historische Arbeit: „Geschichte des Schlosses Steinbrück im Fürstenthum Hildesheim und Jürgen Wullenweber“ erschien 1851, bereits nach seinem Tode, denn L. starb schon am 20. Novbr. 1850. Um das Erscheinen des Hauptwerkes seines Lebens „Geschichte der Diöcese und Stadt Hildesheim“, das er freilich nicht in allen Partieen gleichmäßig vollendet hinterließ, hat sich sein Neffe, der Senator H. Römer in Hildesheim, die größten Verdienste erworben. Ursprünglich war Otto Abel als Herausgeber dieses postumen Werkes von L. in Aussicht genommen, aber sein früher Tod trat hemmend dazwischen. Die Besorgung des Druckes aus dem nachgelassenen, nicht ganz vollendeten Manuscripte Lüntzel’s besorgte Dr. Pacht, dem die Ordnung des Hildesheimer Stadtarchives übertragen worden war. Einen Theil der Druckkosten übernahm die Schwester Lüntzel’s. Das Werk erschien im J. 1858 in zwei starken Octavbänden, welche die Geschichte Hildesheims bis zum Ausgange des Mittelalters fortführen. Schon vorher war daraus die Biographie des h. Bernward anläßlich der in Hildesheim 1856 abgehaltenen Versammlung des Gesammtvereins der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine als Festschrift veröffentlicht. – Der reiche handschriftliche Nachlaß Lüntzel’s befindet sich im Museum zu Hildesheim.