ADB:Kudler, Joseph Ritter von

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Artikel „Kudler, Joseph Ritter von“ von Julius von Roschmann-Hörburg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 292–298, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kudler,_Joseph_Ritter_von&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 11:55 Uhr UTC)
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Kudler: Joseph Ritter v. K., Nationalökonom und Rechtsgelehrter, wurde geboren zu Graz am 10. Oct. 1786. Frühzeitig seines Vaters beraubt, lernte er schon in jungen Jahren den Ernst des Lebens kennen, und nur mit großer Aufopferung konnte eine treue, sorgfältige Mutter seine erste Bildung vollenden. Mächtig zogen den hochbegabten Jüngling die Wissenschaften an. Da nahm [293] sich Kudler’s dessen Oheim, der um die Rechtsentwickelung so hochverdiente Hofrath Zeiller an, eröffnete ihm väterlich sein Haus und sorgte für seine Erhaltung und wissenschaftliche Ausbildung, welch’ letztere K. von der rechts- und staatswissenschaftlichen Facultät der Wiener Universität genoß. Noch ehe er das Doctorat erworben, ward er supplirender Professor der Statistik und der politischen Wissenschaften an dieser Hochschule, und sofort nach Erlangung des Doctorgrades Professor der genannten Fächer am Lyceum in Graz. Die 11 Jahre, welche K. nun in seiner Vaterstadt als Lehrer wirkte, waren eine Zeit der Vorbereitung für sein späteres schriftstellerisches Wirken. Selbständig litterarisch thätig trat er damals nur wenig hervor. Um so bedeutender war sein praktisches Wirken. An der Gründung der steiermärkischen Landwirthschaftsgesellschaft, sowie des Lesevereins am Joanneum in Graz (eines Brennpunktes des geistigen Lebens der Stadt) war K. lebhaft betheiligt. Als Director des Lesevereines (seit 1818), oblag ihm auch die Herausgabe des Vereinsorganes, der „Steiermärkischen Zeitschrift“, eines damals sehr verbreiteten Blattes, in dem verschiedene Aufsätze Kudler’s erschienen. Große Verdienste erwarb sich K. damals um die Ausbildung und Verbreitung der Feuerschaden-Versicherungsanstalten, besonders der sogen. wechselseitigen. Ein zuerst im „Aufmerksamen“ (Beilage zur Grätzer Zeitung) vom 7. Aug. 1824 erschienener Artikel, in dem K. den großen volkswirthschaftlichen Nutzen derartiger Institute darthat, durchlief beinahe die ganze Presse der Monarchie. Im J. 1821 erfolgte Kudler’s Berufung nach Wien auf die Lehrkanzel der politischen Wissenschaften und der österreichischen politischen Gesetzkunde, und nun beginnt erst recht eigentlich seine große wissenschaftliche Thätigkeit. 1824 erscheint seine „Erklärung des Strafgesetzes über schwere Polizei-Uebertretungen“, da die Polizeiwissenschaft, einschließlich des Polizeistrafrechtes nach damaliger Studienordnung an den Universitäten in die Lehraufgabe des Professors der politischen Wissenschaften fiel. Gleich nach seinem Erscheinen wurde das Werk von der Kritik als eine Musterleistung hingestellt. (S. Recension von Dr. Kerschbaumer in Wagner’s Zeitschrift für österr. Rechtsgelehrsamkeit, Jahrg. 1825. 3. Bd., S. 73 ff.) Bald war das Buch in Tausenden von Händen, und eine Auflage jagte die andere. In rascher Folge erschien nun von K. eine Reihe von Aufsätzen und Recensionen über Fragen und Werke strafrechtlichen und volkswirthschaftlichen Inhaltes in der Zeitschrift für österr. Rechtsgelehrsamkeit und politische Gesetzkunde, deren Redaction K. später (1834) nach Wagner’s Tode übernahm und bis einschließlich 1849 im Vereine mit den namhaftesten Gelehrten Wiens führte. K. ist in diesen Recensionen ein strenger, aber immer wohlwollender Kritiker, der nie persönlich wird, so scharf und schneidend sein Urtheil auch ausfallen mag. Wir können daraus viele von Kudler’s volkswirthschaftlichen Ansichten kennen lernen, besonders was die Fragen der Besteuerung betrifft; denn diese Recensionen treten, so kurz und gedrungen sie auch sind, doch weit aus dem Rahmen bloßer Besprechungen heraus. Und da K. leider kein eigenes Werk der Finanzwissenschaft gewidmet hat, verdienen die einschlägigen erhöhte Beachtung. Die Steuern, führt K. aus, sollen so lange als möglich nur auf das reine Einkommen gelegt werden. Consumtionssteuern verwirft K. ziemlich allgemein und führt durch, wie ihre Erhebung meist drückender sei, als die der directen Steuern; unbedingt verdammt er die Accise, von welcher er behauptet, daß ihr sogar ein besonderer rechtlicher Grund der Steuerpflicht nicht zuerkannt werden könne, denn es könne nicht angehen, diesen in dem staatlichen Schutze der Consumtion zu suchen. Es bleibe zu bedenken, „daß das Volk nur deshalb für seine Erzeugnisse Schutz sucht, weil sie Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse sind, – daß sich der Güterwerth von der Idee des Gütergebrauches nicht trennen läßt, daß also kein Grund vorhanden [294] ist, denjenigen, der schon für den Schutz seines Erwerbes besteuert wurde, nun für den Schutz des Genusses des Erworbenen noch besonders zahlen zu lassen. Auch in Hinsicht der Gefahr der Demoralisirung des Volkes durch den Reiz zu Defraudationen steht die Accise den directen Steuern bei weitem nicht gleich. Die Anlockung und Gelegenheit sind bei der ersteren weit größer etc.“ (Recension von A. S. v. Kremer’s Steuerwesen). K. hatte ursprünglich keineswegs die Absicht gehegt, ein Lehrbuch der Volkswirthschaft zu schreiben. Daß er doch eines verfaßt hat, verdanken wir zwei Umständen. Damals waren als Lehrbuch der politischen Oekonomie in Oesterreich noch immer Sonnenfels’ „Grundsätze der Handlungswissenschaft“ (der zweite Theil seiner „Grundsätze der Polizei, Handlung und Finanz“) vorgeschrieben. Daß dieses Werk schon seit geraumer Zeit als Lehrbuch nicht mehr entsprach, bedarf kaum der Andeutung. Es war eigentlich, wie K. es treffend kritisirt, ein Handbuch der Wohlstandspolitik, dessen Principien aber, da kein Unterricht in der theoretischen Volkswirthschaftslehre vorausging, gewissermaßen in der Luft schwebten. Von Theorie und selbst Praxis war es überholt, der Lehrer aber gleichwol nach der damaligen Studienordnung, beim Ertheilen des Unterrichtes daran gebunden, denn der mündliche Vortrag sollte nichts weiter sein, als eine Erklärung, oft nur Umschreibung der obrigkeitlich vorgeschriebenen Lehrbücher. Daß diese Forderung Sonnenfels gegenüber unerfüllbar, lag auf der Hand. So bekam denn der Unterricht aus der Volkswirthschaftslehre – nicht zu seinem Vortheile – einen negativen Charakter, er kleidete sich in die Form der Kritik, und erheischte dringend ein neues Lehrbuch. Ueberdieß erging auch die directe Aufforderung hierzu an K. von dem jungen Erzherzog Wilhelm, dessen Lehrer in den Staatswissenschaften er gewesen war. Dieser Umstand konnte K. hoffen lassen, daß der Druck der damaligen Büchercensur nicht mit voller Schwere auf ihm lasten werde. (Daß er diesen hart genug habe empfinden müssen, erklärte K. später selbst im constituirenden Reichstage.) So entschloß er sich denn zur Herausgabe eines kurzen Lehrbuchs, das, wie er in der Vorrede sagt, nur ein Leitfaden für die Vorlesungen sein, und Lehrer wie Schüler zur weiteren Ausführung und Vertiefung des Gegenstandes Raum lassen sollte. Es erschien 1846 in Wien unter dem Titel „Die Grundlehren der Volkswirthschaft“ in 2 Theilen, in deren erstem die theoretische, im zweiten die praktische Nationalökonomie vorgetragen wird. Um dieses Werk (bei dessen Abfassung und Herausgabe K. übrigens sehr gedrängt wurde), richtig zu würdigen, ist es nöthig, auf alle die Umstände Rücksicht zu nehmen, welche seine Abfassung veranlaßt, sowie bei seinem Entstehen geherrscht haben. So ist es denn auch nicht zu verwundern, daß das Hauptgewicht und die größten Vorzüge des Buches dort liegen, wo der Verfasser seine langjährige Opposition gegen die Ansichten der alten Schule zum Ausdrucke bringt, deren Lehrsätze gleichwol mehr denn ein Drittel Jahrhundert ihm hätten die Basis seiner Vorträge sein sollen: so ist es leicht erklärlich, daß der zweite oder praktische Theil, den ersten, den theoretischen, bei weitem überragt. Nicht als ob dieser nicht auch ein gutes, zum Theile geradezu vortreffliches Lehrgebäude aufstellte, aber jene überzeugende Kraft, die dem praktischen Theile durchaus eigen ist, besitzt er nicht in gleichem Maße, einzelne Unvollständigkeiten (wie im geschichtlichen Theile) kommen vor, von einigen Undeutlichkeiten, selbst Widersprüchen (Theorie des Tauschwerthes, der Grundrente) hat K. hier nicht völlig sich freizuhalten vermocht. Um so glänzender tritt der zweite, praktische Theil hervor. Mit überzeugender Schärfe thut K. dar, wie irrig, ja wie verderblich für die Wirthschaft des Volkes die alte beengte und beengende Theorie der Prohibitivschule gewesen, wie die Freiheit des Erwerbes, des Eigenthumes, Besitzes und Verkehres das Natürliche, wie alle die Einrichtungen, welche sie beschränken oder gar aufheben, der Entwickelung [295] des Wohlstandes, und damit der Förderung der Kulturzwecke fast durchwegs feindlich und zuwider seien. Damit nahm K. nun auch in einem Lehrbuche den Kampf auf gegen eine Menge bestehender ökonomischer und socialer Einrichtungen, – zu jener Zeit, wo eine Staatseinrichtung gut war, weil sie bestand, nicht aber bestand, weil sie gut war – ein gefährliches Beginnen! So entschieden nun K. die Beseitigung der auf dem Landbau liegenden Lasten der Unterthänigkeit, besonders des Zehents und der Robot verlangt, so bestimmt er für die volle Gewerbefreiheit eintritt, so räumt er doch ein, daß die Nothwendigkeit den eigenen Staat in Betreff der Sicherheit und Stetigkeit seiner Versorgung mit den Producten des Gewerbefleißes unabhängig vom Auslande zu stellen, und daß vor allem die Hebung und Festigung seiner Productivkraft die Einführung oder Beibehaltung von Zollmaßregeln zum Behufe der ungestörteren Entwickelung und des Schutzes der heimischen Industrie nothwendig machen können, insoferne durch diese Zölle ein Ausgleich in den verschiedenen Productionskosten der Länder bewirkt wird – nie aber sollen Schutzzölle höher gehalten sein. Wären sie höher, so würden sie die eigene Volkswirthschaft, wie K. glänzend ausführt, lediglich schädigen. Aber auch diese mäßigen Schutzzölle müßten, wo es nur irgend möglich sei, vermieden werden, und in dieser Hinsicht sei die Hauptaufgabe der Staatswirthe durch Hinwegräumen aller Umstände, welche die Production vertheuern, solche Zölle entbehrlich zu machen. Daß aber K., der in früherer Zeit nur die unbedingte Freiheit des Handels vertrat (so 1834 in seiner glänzenden Recension von Fränzl’s: Ueber Zölle, Handelsfreiheit etc.), 12 Jahre später den Schutzzoll, wenn auch nur theilweise, – als ein öfters nothwendiges Uebel, um noch größeres zu verhüten – gelten läßt, das beweist, daß auch K. sich dem gewaltigen Einflusse Fr. List’s nicht hatte entziehen können. Kudler’s Lehrbuch fand, wie es zu erhoffen, ja wie es nicht anders zu erwarten war, die weiteste Verwendung. Indem es an die Stelle desjenigen von Sonnenfels trat, eröffnete es der wissenschaftlichen Behandlung der Volkswirthschaftslehre an den österreichischen Universitäten recht eigentlich allgemein die Pforten. In seiner bevorzugten Stellung, als herrschendes Lehrbuch, hat es sich wol lange siegreich erhalten, als auch in Oesterreich die Lehr- und Lernfreiheit längst zur Wahrheit geworden war. Als Lehrer war K. eine Größe ersten Ranges. Sein Vortrag, unterstützt durch ein klangvoll-tiefes Organ, völlig frei, schlicht im Ausdrucke, aber von vollendeter Form, war bezaubernd; nie eine leere Phrase, kein Wort zu viel, nie eine Wiederholung, alles aufgebaut und getragen von strenger Logik! Kudler’s Disputationen, deren er viele mit seinen Schülern veranstaltete, waren berühmt und versammelten immer ein großes Auditorium. So brachte K. zu einer Zeit, wo der ganze Druck des Reglements auch auf der Wissenschaft lastete, und ihre Lehre nur obrigkeitlich nach dem inneren Gehalte und Maße punzirt und geaicht in den Verkehr der Geister treten durfte, einen neuen, bis dahin ungeahnten Schwung in das akademische Leben. K. hat tüchtig Schule gemacht: eine stattliche Schaar angesehener zum Theil hervorragender Gelehrten ist aus seinen Hörsälen hervorgegangen und ihm ist es zum guten Theile zu danken, daß die später in rascher Folge sich in Oesterreich ablösenden großen socialen und wirthschaftlichen Reformen, denen er so lange vorgearbeitet, von wohl vorbereiteten Kräften in Angriff genommen und durchgeführt werden konnten. Trotz aller (freilich immer gerechten) Strenge hingen seine Schüler begeistert an ihm, keiner, der ihm nicht das beste Andenken bewahrte. Das J. 1848 sah K. aus dem Lehramte, dem er an 40 Jahre gewidmet, scheiden. Eine neue, wenn auch leider nur kurze, Thätigkeit sollte ihm Gelegenheit geben, sein reiches Wissen dem Wohle seiner Mitbürger und seines Staates in anderer Weise zu weihen. Das Vertrauen der Wähler der damaligen [296] Wiener Vorstadtgemeinde „Laimgrube“ berief ihn als Abgeordneten in den constituirenden Reichstag. K. war dessen erster Alterspräsident. K. sprach selten, aber was er sagte und wie er es sagte, war immer bedeutend. An der Discussion betheiligte er sich erst, als der durch die October-Revolutionsereignisse in Wien gesprengte Reichstag in Kremsier seine Sitzungen wieder aufgenommen hatte. K. wollte die Ordnung, die rechtliche Entwickelung. In seinen Augen „ist das Rechtsgesetz nicht feindlich gegen die Freiheit, die Freiheit selbst hat keine andere Basis, sie wird durch das Rechtsgesetz normirt. Das Rechtsgesetz will sie und wird sie schützen“. So trat er denn auch mit vollem Gewichte ein für die Wahrung des Rechtes, wo immer er es gefährdet erachtete. Dem Antrage, daß durch ein freisprechendes Urtheil eines Geschworenengerichtes der Straffall für immer abgethan sei, stellte er die Forderung entgegen, daß eine Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig sein solle, neuen Beweismitteln (nicht aber Verdachtsmomenten) gegenüber, unter Uebernahme der Leistung einer vollen Genugthuung von Seite des Anklägers, denn, führte er aus, das Urtheil der Geschworenen sei allerdings Recht, aber nur formales, die Aufgabe der Gerechtigkeit aber sei die Wahrung des wahren Rechtes (76. Sitzung des constituirenden Reichstages [24. in Kremsier] vom 23. Jan. 1849). Strenge sollte die Handhabung des Rechtes, milde die Strafe sein. In der folgenden Sitzung am nächsten Tage stellt K. im Gegensatze zum Commissionsantrage, welcher die Todesstrafe lediglich für politische Verbrechen abschaffen will, den Gegenantrag auf deren allgemeine Aufhebung. Und Tags darauf begründet er in glänzender Rede seinen Antrag. „Politische Verbrechen“, ruft er dem Reichstage zu, „sind verschieden zu beurtheilen nach dem Zustande der Gesellschaft, in dem sie vorkommen, nach den Beweggründen, die dazu geleitet haben“. Die Todesstrafe bekämpft K. wegen der durch Mißgriffe in der Anwendung entstehenden Gefahr, und weil bei ihrer Anwendung die Geltendmachung des Rechtes unsicherer wird. Das Volk durch harte Strafen vom Unrechte abhalten wollen, heiße in einen gefährlichen Zirkel zu verfallen, denn das Volk verkomme dadurch sittlich. „Das Volk bleibt roh und verwildert“, ruft er aus, „wenn ihr es als roh behandelt“. Vielleicht etwas inconsequent gegen sein volkswirthschaftliches Glaubensbekenntniß, tritt K. in der 82. (30.) Sitzung vom 31. Januar für die Auflage von Abfahrtsgeldern an Auswanderer ein, mit der Motivirung, die bestehende Staatsschuld sei eine Schuld Aller, der man sich durch das Verlassen des Staates nicht einfach entziehen dürfe. – Glänzend war Kudler’s letztes parlamentarisches Auftreten, als die Normirung des Verhältnisses des Staates zur Kirche eine lebhafte Debatte hervorgerufen hatte. So energisch K. die volle Gewissensfreiheit verlangte, so vernichtend seine Kritik der Staatskirche war, so entschieden wollte er, von echt josephinischem Geiste durchweht, die Macht des Staates der Kirche gegenüber gewahrt wissen, wo es die Erfüllung der Aufgaben des Staates erfordere. „An dem Dasein, an dem Gedeihen, aber auch an dem richtigen Wirken der Kirche hat der Staat nicht etwa das gemeine Interesse, wie an einer anderen, etwa einer ökonomischen Gesellschaft, sondern das höchste Interesse; denn es hängen die sittlichen Interessen damit zusammen“. Und dem Vorwurfe, daß diejenigen die Freiheit der Kirche unterdrücken wollen, die – wie er – keine Anhänger der Theorie der vollständigen Nicht-Einmischung des Staates in die Verwaltungsthätigkeit der Kirche seien, diesem Vorwurf setzt er entgegen: „Nein, ich will auch die Freiheit für die Kirche, und die volle Freiheit, sobald dies der bürgerlichen Gesellschaft durchaus keinen Nachtheil zuzieht. Von einer vollen Unabhängigkeit und Selbständigkeit einer Gesellschaft im Staate kann man überhaupt nur sprechen ohne publicistische Bildung. Denn als vollkommen unabhängig kenne ich nur Einen im Staate, das bürgerliche Oberhaupt“. – [297] K. genoß großes Ansehen im Reichstage, und ob er auch manches Wort sprach, das den Stimmführern, rechts wie links, als herbe Zurechtweisung erscheinen mußte, so folgte doch, wenn er die Tribüne verließ, immer einmüthiger Beifall seiner eindringlichen Rede. K. war Mitglied des Ausschusses für Unterrichtsangelegenheiten und Berichterstatter des staats- und volkswirthschaftlichen Ausschusses. Unmittelbar vor seiner Auflösung wählte der Reichstag K. noch zu seinem ersten Vicepräsidenten. Nur ein Mal noch trat K. vor die Oeffentlichkeit. Es geschah in der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, vor der er am 8. Oct. 1851 einen Vortrag hielt „Ueber Gesetze, welche die Forderung von Kapitalzinsen im Privatverkehre beschränken“. Es war dies seine letzte und vielleicht seine beste wissenschaftliche Leistung. Sicherlich gehört es zum Bedeutendsten, was über die so oft erörterte Frage der Zins- und Wuchergesetzgebung gesprochen und geschrieben worden ist. Mit voller Klarheit erfaßt K. das Unsittliche des eigentlichen Wuchers, als des „Strebens, den Nothstand Anderer zur Erlangung eines übermäßigen Gewinnes zu mißbrauchen“. Das Strafbare desselben findet er, wo dieses Streben in äußerlicher Darstellung erscheint; denn dann werde es zur öffentlichen Unsittlichkeit, die strafbar sei. Mit aller Schärfe führt er aus, wie ein noch so hoher Zinsfuß, als solcher, nun und nimmer das Wesen des Wuchers ausmachen könne; wie widersinnig eine gesetzliche Normirung der Höhe der Kapitalzinsen sei, die, als ein für die Benützung aufgeborgter Kapitale entrichteter Preis, allen Gesetzen der Preisbildung unterliegen und, wie jeder Preis einer Waare, verändert würden durch alle Umstände, welche auf die Productionskosten dieser Waare, wie auf die Marktverhältnisse von Einfluß seien; ja wie eine Fixirung des Kapitalpreises nur dahin führen könne, das Kapital zu vertheuern, und gerade jenem Feinde, den man bannen wolle, die Thore zu öffnen, dem Wucher.

An öffentlicher Anerkennung seines Wirkens hat es K. nicht gefehlt. 1835 wurde ihm Titel und Rang eines Regierungsrathes verliehen, 1845 wurde er dem Comité beigezogen, welches mit der Berathung der Reform der juridischen Studien betraut worden war, 1848 wurde er zum Vicedirector der juridisch-politischen Studien an der Wiener Universität, und nach der Neuorganisirung der Universitäten, 1849 zum Vorstande des Professorencollegiums der rechts- und staatswissenschaftlichen Facultät und bald darauf zum Präses der Staatsprüfungscommission, allgemeine Abtheilung, bestellt. 1852 erhielt er den Hofrathstitel; 1849 war ihm das Ritterkreuz des Leopoldordens verliehen worden, welche Auszeichnung statutengemäß die Erhebung in den österreichischen Ritterstand mit sich führt (1851). Der kaiserl. Akademie der Wissenschaften gehörte K. als wirkliches Mitglied seit dem 17. Juli 1848 an. K. hat sich an vielerlei gemeinnützigen und industriellen Unternehmungen mit Glück betheiligt, solche wol auch selbst ins Leben gerufen. Erwähnt seien, nebst der bereits genannten steiermärkischen Landwirthschaftsgesellschaft, die steiermärkischen, niederösterreichischen und mährisch-schlesischen Brandschaden-Versicherungsanstalten, die Eisenwerksactiengesellschaft in Wolfsberg, die Wiener Dampfmühlengesellschaft, die Bierbrauerei in Brunn, der niederösterreichische Gewerbeverein und die von diesem ins Leben gerufene Centralgesellschaft für Flachs- und Hanfcultur, der humane Verein zur Hülfe für entlassene Züchtlinge. In Südsteiermark hatte sich K. ein kleines Landgut erworben. Er, dessen Jugend nicht frei blieb von Dürftigkeit, hinterließ ein beträchtliches Vermögen. K. liebte es, das Leben zu genießen. Sein Charakter war offen und gerade, immer war er bereit, sein reiches Wissen, seine große Erfahrung und seinen scharfen Verstand dem Wohle seiner Mitmenschen zu widmen. Rastlose Thätigkeit war ihm Bedürfniß. Daß die Menschen durch die Zunahme der Bildung als Menschen und Staatsbürger veredelt wurden, stand für ihn [298] fest. Schon 1823 hatte er in einer akademischen Festrede den Würdenträgern des Staates zugerufen: „Daß ein ungebildetes Volk besser gehorche, ist ein Wahn, den die Erfahrung aller Zeiten hinreichend widerlegt. Die Köpfe sind hier nicht etwa leer, sondern mit Vorurtheilen und Irrthümern angefüllt, und stehen jedem bösen Eindrucke offen!“ – Diese zu widerlegen und zu bekämpfen war das Ziel seines Strebens, das er unentwegt verfolgte, bis nach längerem Krankenlager, am 6. Febr. 1853 in Wien eine Gehirnlähmung seinem thaten- und segensreichen Wirken ein Ziel setzte.

Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Almanach der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, Jahrgänge 1851, 1854. Oesterr. Morgenblatt, 1837, Nr. 44. „Die Presse“, 1853, Nr. 33, 34, 35. Wiener Zeitung, 1853, Nr. 57. Nebst amtlichen Daten, Mittheilungen verschiedener Schüler Kudler’s.