ADB:Koseritz, Karl von
[340] brachte er seine Meinungen stets unverhohlen und nicht selten in ziemlich schroffer und persönlich zugespitzter Form zum Ausdruck, weshalb er sich nicht wenige einflußreiche Gegner zuzog, die ihn mit unversöhnlichem Haß verfolgten. Auch in deutschen Zeitschriften veröffentlichte er mehrfach Aufsätze über brasilianische Zustände, so namentlich in den Jahrgängen 1863–66 des „Globus“. Großes Aufsehen, aber auch viel Widerspruch erregte er durch seine Schrift „Relatorio da administração central das colonias da provincia de S. Pedro do Rio Grande do Sul“ (Porto Alegre 1867). Seit 1874 ließ er alljährlich einen „Deutschen Volkskalender für Brasilien“ erscheinen, dessen einzelne Jahrgänge anregende Schilderungen aus dem Leben der Ansiedler in den Urwaldpicaden enthalten. Um möglichst wirksam für die Interessen seiner Landesleute eintreten zu können, beschäftigte er sich eingehend mit den brasilianischen Landesgesetzen, und obwol er nicht den vorschriftsmäßigen akademischen Studiengang durchlaufen hatte, gelang es ihm doch, als Rechtsanwalt anerkannt und zugelassen zu werden. Als solcher war er unermüdlich bestrebt, die Rechte der deutschen Colonisten gegen jeden Versuch der Unterdrückung und Ausbeutung zu vertheidigen, und vielen unter ihnen hat er als treuer Berather und Helfer in uneigennützigster Weise zur Seite gestanden. Daneben agitirte er durch die Presse und durch Vorträge für Hebung der Volksbildung und für uneingeschränkte Glaubensfreiheit. Er schloß sich dem Freimaurerbunde an, half die erste deutsch-brasilianische Loge in Porto Alegre gründen und bekämpfte den überhandnehmenden Einfluß der Jesuiten, die sich auch in den deutschen Niederlassungen festgesetzt hatten. 1871 gab er in portugiesischer und deutscher Sprache ein antijesuitisches Werk „Rom vor dem Tribunal der Jahrhunderte“ heraus, das von dem Bischof der Diöcese Rio Grande durch einen von den Kanzeln verlesenen Hirtenbrief verdammt wurde. K. vertheidigte sich gegen die clericalen Anfeindungen durch eine weitere, nur portugiesisch erschienene Schrift „A Maçonaria e a Igreja“ (1873). Auch um die wirthschaftliche Hebung seiner Landsleute erwarb er sich große Verdienste. Die Gewerbeausstellungen, die 1866 und 1875 zu Porto Alegre veranstaltet wurden und denen er als Director vorstand, waren im wesentlichen sein Werk. Um die Fühlung mit den maßgebenden Kreisen des Handels und der Industrie im Mutterlande nicht zu verlieren, gründete er in mehreren Städten der Provinz Rio Grande Ortsgruppen des Centralvereins für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Auslande. Mit dessen Unterstützung eröffnete er im October 1881 in Porto Alegre eine deutsch-brasilianische Ausstellung, die ihm aber von Seiten seiner Gegner mannichfache Anfeindungen zuzog. Die Erbitterung gegen ihn stieg so hoch, daß das nützliche Unternehmen während eines durch aufreizende Wühlereien entstandenen Tumultes durch Brandstiftung in Asche gelegt wurde. Auch Koseritz’ werthvolle ethnographische Sammlung, die er im Laufe vieler Jahre zusammengebracht hatte, um sie dem Berliner Museum für Völkerkunde zu überweisen, ging bei dieser Gelegenheit zum großen Theil mit zu Grunde. Da die Besitzer der „Deutschen Zeitung“ während dieser tiefgehenden Zerwürfnisse gegen ihn Stellung nahmen, legte er die Redaction nieder und gründete noch im J. 1882 mit einigen Freunden ein neues Blatt, das er „Koseritz’ deutsche Zeitung“ nannte. Eine Genugthuung für die gegen ihn gerichteten Angriffe bereiteten ihm die Bewohner der Provinz, indem sie ihm eine mit 3000 Unterschriften bedeckte Zustimmungsadresse nebst einer goldenen Ehrenmedaille überreichten und ihn mit bedeutender Stimmenmehrheit zu ihrem Vertreter in den Provinziallandtag wählten. Hier schloß er sich der liberalen Partei an und wirkte erfolgreich namentlich für die Verbesserung des Schulwesens und der Verkehrswege. 1883 wurde er von [341] der brasilianischen Centralregierung nach Rio de Janeiro berufen, um über die Ausstellung in Porto Alegre und über die allgemeine Lage des Deutschthumes in den südlichen Provinzen Bericht zu erstatten. Die Reise führte ihn über Pelotas, Desterro, Paranagua und Santos. In der Hauptstadt wurde er ehrenvoll empfangen, doch ernannte man ihn nicht, wie er gehofft hatte, zum Ackerbauminister oder zum Generalconsul für das Deutsche Reich. Seine unterwegs gesammelten Eindrücke legte er in einem Werke nieder, das unter dem Titel „Bilder aus Brasilien“ 1885 in Leipzig erschien. In demselben Jahre gab er auch gemeinsam mit O. Dörffel und A. W. Sellin vortreffliche „Rathschläge für Auswanderer nach Südbrasilien“ heraus. 1886 erhielt er vom Centralverein für Handelsgeographie die Einladung, nach Deutschland zu kommen, um sich an den Vorarbeiten für die in Berlin stattfindende südamerikanische Ausstellung und den ebendort abzuhaltenden allgemeinen deutschen Congreß zur Förderung überseeischer Interessen zu betheiligen. Im Juni traf er nach 36jähriger Abwesenheit in Hamburg ein, wurde an vielen Orten als Vorkämpfer des Deutschthums gefeiert, erledigte seine Geschäfte in Berlin, besuchte dann zu seiner Erholung die Schweiz und Italien und kehrte hierauf nach seiner überseeischen Heimath zurück. Als am 15. November 1889 in Brasilien die Revolution gegen das Kaiserthum ausbrach, gerieth er als Anhänger der Monarchie in die Gefahr, gefangen genommen und nach Europa ausgewiesen zu werden. Da aber die neuen Machthaber seinen großen Einfluß auf die Deutschen in Rio Grande kannten, waren sie zufrieden, als er sich durch ein Manifest auf den Boden der Thatsachen stellte und um der Erhaltung der Ruhe und Ordnung willen seine Landsleute aufforderte, die neue Regierungsform anzuerkennen. Um den drohenden Bürgerkrieg zu vermeiden, entfaltete er eine unermüdliche Thätigkeit. Als er seine Bemühungen mit Erfolg gekrönt sah, zog er sich zur Erholung nach Pedras Brancas zurück. Hier wurde er am 14. Mai 1890 auf Veranlassung seiner mächtigen politischen Gegner ohne jeden Rechtsgrund verhaftet und acht Tage lang in seinem Hause von jedem Verkehr mit der Außenwelt abgeschlossen gehalten. Erst energischen Reclamationen seiner Freunde gelang es, ihn zu befreien. Er kehrte nach Porto Alegre zurück, hatte aber durch die Aufregungen und Anstrengungen der letzten Zeit seine Kräfte so erschöpft, daß er am 30. Mai 1890 einem Herzschlag erlag. Seine Beerdigung auf dem protestantischen Friedhofe gestaltete sich zu einer großartigen Kundgebung, wie sie Deutsch-Brasilien noch nicht gesehen hatte. Trotz mancher persönlichen Schwächen verbleibt ihm der Ruhm, daß er seine ganze Kraft und seinen weitreichenden Einfluß zur Hebung und Förderung des Deutschthums und der deutschen Interessen in Brasilien eingesetzt hat.
Koseritz: Karl von K., einer der hervorragendsten Deutsch-Brasilianer, ist am 3. Februar 1832 zu Dessau als Sohn eines herzoglich anhaltischen Postdirectors geboren. Von Jugend auf war ihm ein lebhafter, unruhiger Geist eigen. Nachdem er das Gymnasium in Wittenberg durchlaufen und kurze Zeit in Heidelberg die Rechte studirt hatte, wünschte er fremde Länder und Völker kennen zu lernen. Mit Zustimmung seiner Eltern verzichtete er deshalb auf weitere akademische Studien, verließ sein Vaterland und versuchte sich als Seemann. Da aber die rauhe Wirklichkeit des Schiffsdienstes nicht dem Bilde entsprach, das ihm seine Einbildungskraft vorgespiegelt hatte, ließ er sich in Brasilien nieder und trat in die kaiserliche Armee als Kanonier ein. Als solcher nahm er in den Jahren 1851–1852 an dem Feldzuge gegen den Dictator Rosas von Argentinien theil. Nach dem Abschluß des Friedens kehrte er nicht nach Deutschland zurück, sondern siedelte sich in der Provinz São Pedro do Rio Grande do Sul an. Weil er vermögenslos und durch seine Körperbeschaffenheit ungeeignet zu schwerer landwirthschaftlicher Arbeit war, wollte es ihm anfanges nicht glücken, eine gesicherte Existenz zu finden. Er wirkte zunächst mehrere Jahre als Lehrer und leitete seit 1857 eine höhere Schule für Knaben und Mädchen in Pelotas. Daneben trat er, nachdem er sich die portugiesische Landessprache angeeignet hatte, durch Wort und Schrift energisch für die Interessen der deutschen Colonisten in Südbrasilien ein, ohne jedoch die guten Beziehungen zu den Nativisten zu vernachlässigen, bei denen er sich durch seine Heirath mit einer Brasilianerin beliebt machte. Seine Correspondenzen, die er in verschiedenen Zeitschriften veröffentlichte, fanden solchen Beifall, daß er 1856 ein eigenes Blatt, den „Noticiador“, gründete und seit 1858 in Pelotas die erste Tageszeitung, den „Brado do Sul“, erscheinen ließ. 1862 wurde er nach der Hafenstadt Rio Grande berufen, um hier die Redaction des „Echo do Sul“, eines einflußreichen liberalen Blattes, zu übernehmen. Zwei Jahre später wurde ihm die Leitung der angesehenen „Deutschen Zeitung“ in Porto Alegre, der Hauptstadt der Provinz, übertragen. Daneben gab er noch, um die Fühlung mit dem portugiesisch redenden Theile der Bevölkerung nicht zu verlieren, die Zeitschrift „Rio Grandense“ in der Landessprache heraus, vorübergehend auch die „Gazeta de Porto Alegre“, das „Jornal do Commercio“ und die „Reforma“. In allen diesen Blättern- Export 1880, S. 133–135 (H. Lange, mit Bild); 1890, S. 349 bis 351, 404–405, 450–451, 685–686. – Ausland 1890, S. 502 bis 503 (H. Lange und K. von den Steinen, mit Bild).