ADB:Kollonitsch, Leopold Graf von

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Artikel „Kollonitsch, Leopold“ von Franz von Krones in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 481–484, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kollonitsch,_Leopold_Graf_von&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 13:19 Uhr UTC)
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Kollonitsch: Leopold K. (Kollonich, Collonics, Kollonitz, Chollonitsch), geb. am 26. Oct. 1631 zu Comorn, † am 21. Januar 1707 als Kardinalprimas von Ungarn in Wien; Abkömmling eines Geschlechtes, das in Croatien im 13. Jahrhundert mit dem Prädikat Kollograd auftaucht und seinen späteren Namen von seinen Verwandten, den kärntnischen Kollnitzern (Cholnitzern) angenommen haben soll, was jedoch problematisch ist. Die historische Bedeutung dieses in Inner- und Neu-Oesterreich heimisch und begütert gewordenen Geschlechtes, das zunächst durch Waffendienst emporkam, wächst seit dem Schluße des 16. Jahrhunderts. L. Graf v. K. war der Sohn des Grafen Ernst, Befehlshaber der wichtigen Festung Comorn, und einer Freiin v. Kueffstein. Die Taufe ertheilte ihm der berühmte Exjesuit und Vorkämpfer der katholischen Hierarchie Cardinalprimas Peter Pázman. Mit 14 Jahren kam er nach Wien, [482] an den k. Hof und im jugendlichen Thatendrange als 19jähriger Kandidat des Johanniter-, Rhodiser- oder Malteser-Ordens in den Orient. Bei der Vertheidigung Kandias gegen die Türken als einer der Tapfersten genannt und dafür vom Hochmeister ausgezeichnet, kehrte er wieder heim und erlangte als Ordensritter das Priorat zu Mailberg (das alte „Muoriberc“) und dann das zu Eger in Böhmen. Die eigentliche Priesterweihe ertheilte ihm Cardinalprimas Szécsényi. K. gab die Stellung als Johanniter auf, um seinem Thätigkeitsdrange und Ehrgeize als Kirchenfürst und Staatsmann besser gerecht zu werden. Hohe Begabung, Energie und praktische Findigkeit brachten ihn je weiter desto rascher vorwärts. 1659 Kammerherr K. Leopolds I. geworden, zehn Jahre später Bischof von Neutra in Ungarn, vereinigte er 1672 die Stellung eines Bischofs von W. Neustadt mit der eines Finanzministers oder Kammerpräsidenten. Diese Aemterverquickung erlebte jedoch Anfechtungen, so daß K. dem Finanzamte 1681 entsagte. Zwei Jahre später (1683) bot ihm, der kurz vorher in der furchtbaren Pestzeit aufopfernden Muth als Priester an den Tag gelegt hatte, die zweite Belagerung Wiens durch die Türken (1683) rühmlichste Gelegenheit, den geistlichen Helfer und wohlthätigen Menschen zu zeigen. 1685 Bischof v. Raab und Cardinal geworden, 1691 Erzbischof von Kalocsa und vier Jahre später Graner Primas, hatte K. die erste Stelle in der katholischen Hierarchie Ungarns erreicht. Von nun an wird er auch die Seele der Regierungspartei, in der Eigenschaft eines kais. Staats- und Konferenzministers, Verwalters der ungar. Hofkammer und seit 1697 Präses der sog. „gemischten Kommission“ zu Wien, als deren Vorläufer die sog. commissio neoacquistica und die Kommission zur Einrichtung Ungarns bezeichnet werden müssen. In beiden letzteren Körperschaften spielte K. seit deren ziemlich gleichzeitiger Gründung die Hauptrolle. Im J. 1688, bald nach dem wichtigen Preßburger Reichstage (1687), welcher die Pacification Ungarns und dessen Gestaltung zu einem Habsburgischen Erbreiche vollzog, wurden nämlich zwei Commissionen eingesetzt. Die eine hatte die Aufgabe, das der Türkenherrschaft entrissene Gebiet Ungarns in die neuen Verhältnisse des Grundbesitzes einzuordnen oder mit andern Worten, die „neuen Acquisitionen“ jenen adeligen und geistlichen Grundherren zuzuwenden, welche ein Recht darauf nachweisen konnten, sie somit zu rehabilitiren und für die Rehabilitirung eine Abgabe oder Taxe einzuheben, wodurch die allerdings riesigen Geldopfer theilweise hereingebracht werden sollten, welche der Türkenkrieg beanspruchte und noch lange hin erheischte. Dies war die Aufgabe der commissio neoacquistica, als deren Präses seit 1688 Kardinalbischof K. thätig war. Die seit 29. Juli 1688 geschaffene Kommission „zur Einrichtung Ungarns“ unter dem Vorsitze des k. Obersthofmeisters, Fürsten Friedrich v. Dietrichstein zählte zu Mitgliedern den Hofkammerpräsidenten Siegfried Brunner, den böhm. Hoferzkanzler Grafen Kinsky, die k. Räthe: Grafen Bucelini, Grafen Max Thurn, Freiherren Dorsch, Georg Hofmann, den Hofkriegsrath J. Krapf als Schriftführer und Referenten, welche uns großentheils in der commissio neoacquistica begegnen. Und so war auch K. das vornehmste und thätigste Mitglied dieser Körperschaft, welche schon den 15. Nov. 1689 das „Einrichtungswerk des Königreichs Ungarn“ als fertigen Entwurf dem Kaiser vorlegte. Der Inhalt desselben eröffnet eine sehr weite Perspektive einer Reform oder Neugestaltung Ungarns, die an sich, angesichts der tiefen Zerrüttung und Versumpfung der transleithanischen Reichszustände, vollberechtigt war. Dieser Reformentwurf bezweckt die Einrichtung der ungarischen Hofkanzlei nach dem Muster der deutsch-österreichischen, die Hebung der verwahrlosten Rechtspflege, die Gründung von Land- oder Volksschulen, die Regelung und Besserung des Looses der leibeigenen Grundholden und eine unter möglichst günstigen Ansiedlungsbedingungen durchzuführende deutsche Colonisation Ungarns, durch welche [483] die Stärke, der Gewerbfleiß und die Loyalität seiner Bevölkerung gemehrt und gefestigt würden. Der Entwurf vertritt die Einführung eines der böhmischen Landtafel ähnlichen Instituts zur Evidenzhaltung der Besitzverhältnisse und Hebung des Nationalcredits; er nimmt sich für die Hebung des darniederliegenden Gewerbes und Handels Holland zum Muster. Vor Allem aber liegt der Commission die Reform des Finanzwesens am Herzen, durch welche das starke Mißverhältniß zwischen den jährlichen Einnahmen und Ausgaben (60,000 : 500,000 fl.) behoben würde. Zu diesem Zwecke solle die Besteuerung des neoacquistischen Grundbesitzes, die Veräußerung der nicht rechtzeitig reclamirten Gründe, die Regelung der Portalsteuer, der Grenzzölle, der Bergwerksabgaben und der Verzehrungssteuer in Scene gesetzt werden. – Nicht ohne Grund fand das damalige Ungarn in dem ganzen schwerwiegenden Entwurfe die politischen Ueberzeugungen und Reformziele eines Kollonich heraus und ebenso die katholischen Tendenzen des Kirchenfürsten; so in dem Punkte, der von der Schöpfung katholischer Universitäten, Akademieen und Universitäten handelt. Immerhin überwog der Staatsmann in ihm weitaus den Geistlichen und Hierarchen, und das von seinem jüngeren Zeitgenossen, dem späteren Insurrectionsführer Franz Rakóczi II. ihm in den Mund gelegte fliegende Wort: Faciam Hungariam captivam, postea mendicam, deinde catholicam! verdient gerade so viel Glauben wie andere solche überlieferte Sentenzen. Immerhin sprachen für den katholischen Eifer des Kardinalprimas andere Thatsachen laut genug, zu denen auch die Aprilverordnungen der Regierung i. J. 1701 bezüglich der Alleingeltung des Katholicismus in den neueroberten Gebieten zählten. Die Regierungspartei und K. sahen sich in Folge der Lahmlegung der Thätigkeit beider Kommissionen durch die ungünstige Wendung des Türkenkrieges 1692-96 und den tiefen Groll der Ungarn wider ihr Gebahren, – zu dem Auswege gedrängt, die brennendsten Erfordernisse des Augenblicks, nämlich die Steuer- und Militärfrage – bei der Ebbe im Staatsschatze und der argen Verrottung des ungarischen Insurrectionswesens – in einer Magnaten-Delegation zum Austrage zu bringen. Diese wurde 1696 nach Wien einberufen. Aber die beiden Vorsitzenden, Kardinalprimas Kollonich und Palatin Eßterházi, waren nicht im Stande, das Widerstreben der tonangebenden Autonomistenführer aus dem Felde zu schlagen, da sich diese in entscheidenden Fällen der Geneigtheit des nachgiebigen Kaisers zu versichern wußten. So konnte die beantragte Viermillionensteuer nicht durchdringen; auch die große nach Wien einberufene Regnicolardeputation d. J. 1698 benahm sich störrig und so wurde die Regierung zum Octroy gedrängt, der um so schlimmeres Blut machte, da die starke Oppositionspartei jeden Schritt des Wiener Kabinetes als sicheres Vorzeichen des Staatsstreiches ansah und durch die jüngsten Maßregeln der Regierung in den Grenzbezirken (1698) gleichwie durch den Abschluß des Karlowitzer Friedens (1699) als „Kaiser“-Friedens neuen Anlaß zum Ankämpfen gegen die „deutsche Herrschaft“ fand. Aus dieser Gewitterschwüle Ungarns brach dann, zur Zeit des spanischen Erbfolgekrieges der Sturm, der Kunuzzenkrieg des J. 1701–2 und als seine Fortsetzung die Insurrection Rákóczi’s II. hervor. Kollonich, die Hauptstütze des bekämpften Systems erlebte noch den Höhepunkt des großen Aufstandes, welchen Frankreich bis zum Abfalle des conföderirten Ungarns vom Hause Habsburg anzufachen beflissen war. K. ist aber auch mit der Vorgeschichte Franz Rákóczi’s II. eng verknüpft. Als dieser, zwölfjährig, mit Mutter und Schwester (1688, 18. Jan.) den letzten Halt der Sache seines Stiefvaters, Emerich Tökölyi, das feste Munkács, verlassen mußte, um in Wien, unter den Augen des Hofes als Internirter heranzuwachsen, wurde Kollonich als verläßlicher Hüter und Vormund des Knaben bestellt. Derselbe übergab ihn den Jesuiten in Neuhaus und Prag [484] zur Erziehung (1688–93), und wir mögen gerne glauben, daß K. die entschiedene Absicht hatte, den Träger eines Namens von bedeutendem Klange und Glied einer Sippe, deren ganzes Dasein die Opposition gegen die Herrschaft Habsburgs beseelte, dem Jesuitenorden zuzuführen und so unschädlich zu machen. Dies schien um so leichter, da die Mutter Rákóczi’s, Helene, geborene Zrinyi, 1691 ihre beiden Kinder verließ, um, ausgewechselt für den gefangenen kais. General Heißler, ihr Schicksal an das ihres zweiten Gatten, Emerich Tökölyi zu knüpfen. – Aber jener Plan scheiterte wie es heißt an dem energischen Widerstande des Schwestermannes Rákóczi’s, Grafen Aspremont, der die Abwesenheit des eben Cardinal gewordenen Kollonich in Rom (1693) benützte, um, mit Beihülfe des Premierministers, Stratmann, den jungen Rákóczi großjährig erklären zu lassen und den wohlwollenden Kaiser für die Rehabilitirung des jungen Magnatensohnes in Bezug auf die bedeutenden confiscirten Herrschaften des Vaters zu gewinnen. Auf diese Weise wurde Rákóczi der Hand des geistlichen Vormundes entwunden und wir begreifen, daß er fortan demselben abgeneigt blieb. – So knüpft sich an die Geschichte des Staatsmannes und Kirchenfürsten Kollonich ein wichtiges Stück der Geschichte Oesterreich-Ungarns.

Vgl. die Zusammenstellung b. Wurzbach, Oesterr. Biogr. Lex. XII. S. 362 ff. Insbesondere: Kellerhaus, Ehrensäule der vornehmsten Tugenden des Herrn Kard. Leop. v. K., Erzbischof v. Gran. Wien 1767. Horányi, Memoria etc. II. 413 ff. Ungar. Plutarch I. 203 f. Die Geschichtswerke von Katona, hist. crit. r. H. 35. 36. Bd. Szalay, G. U. 5. 6. Bd. (magy.), Feßler, b. v. Klein 4. Bd. Krones, Z. Gesch. Ung. i. Za. Franz Rákóczy’s II. (Wien, 1870, Sep.-A. a. dem 42. 43. Bd. des Arch. f. österr. Gesch.) Vgl. s. Hdb. d. österr. G. IV. 17. Buch. Von den zeitgen. Memoiren u. corresp. Liter. insbes. die franz. Histoire des revolutions de Hongrie ou l’on donne une idée juste de son legitime gouvernement (à la Haye, chez J. Neaulme, (1739, 2 Bde. 4° o. 6 Bde. 8°) – eine von Rákóczi inspirirte und theilweise verfaßte Apologie der Insurrection (und die Rákóczi-Litteratur überhaupt). Die Autobiographie K.’s: Confessiones et aspirationes principis christiani.