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Artikel „Keuchenthal, Johannes“ von Otto Kade in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 689–691, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Keuchenthal,_Johannes&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 14:26 Uhr UTC)
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Keuchenthal: Johannes K., Pfarrherr der freien Bergstadt St. Andreasberg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, bekannt durch die Herausgabe eines großen umfangreichen „Cantionals“. Dieses für die Liturgie der protestantischen Kirche äußerst werthvolle und wichtige Werk erschien unter dem Titel: „Kirchen-Gesänge Latinisch vnd deudsch sampt allen Euangelien, Episteln vnd Collecten, auff die Sonntage vnd Feste, nach Ordnung der Zeit, durchs gantze Jhar, zum Ampt, so man das hochwirdige Sacrament des Abendmals vnsers Herrn Jesu Christi handelt, oder sonst Gottes wort prediget, in den euangelischen Kirchen breuchlich. Aus den besten Gesangbüchern vnd Agenden, so für die Euangelischen Kirchen in deudscher Sprach gestellet vnd verordnet sind, zusammengebracht, Vnd itzund erstlich auff diese Form in Druck ausgegangen. Psalm XXV: Schlecht vnd Recht behüte mich. Gedruckt zu Witteberg, durch Lorentz Schwenck, In Verlegung Samuel Seelfischs Witteberg, M.D.LXXIII.“ Groß Folio. Hierauf folgt das landesherrliche Privilegium: „Von Gottes Gnaden, Joachim Ernst, Fürst zu Anhalt, Graf zu Ascanien, Herr zu Zerbst und Bernberg“. Darunter das Bildniß des Fürsten in ganzer Figur und vollem Ornate, die Hälfte des Folioblattes ungefähr einnehmend. Eine kurze Einleitung Dr. Christophs Petzel’s an den christlichen Leser, gegeben Witteberg, am Tage Michaelis (29. Sept.) Anno 1573, gibt darüber Auskunft, in welchem Sinne und in welcher Weise das Buch zusammengetragen und entstanden sei. Nicht für eine einzelne Kirche sei es bestimmt, sondern um dem oft ausgesprochenen Bedürfnisse „eines allgemeinen evangelischen Cantionals abzuhelfen. Nachdem aber solche deudsche Gesänge in vielen Gesangbüchlin, (- so läßt sich das Vorwort über diesen Punkt vernehmen –) hin und wieder zerstreuet vnd fast ein jeder Drucker bisher seine besondre und eigene Ordnung in Austheilung solcher Gesenge gehalten, auch gemeiniglich in kleiner Form die deudschen Gesangbücher gedruckt worden sind, dagegen aber viel gutherziger Leute, so in Kirchen vnd Schulen, in Städten vnd auff den Dörfern dienen, offtmals gebeten, daß ein Cantional Buch in einer größeren Form zusammengedruckt werden möchte, darin nach Ordnung der Zeit vnd Fest durchs gantze Jhar die Kirchen Gesänge mit den Melodieen vnd breuchlichen Noten beisammen möchten gefunden werden, ist solches mit diesem Druck für die Hand genommen worden, in welchen die Gesenge, deudsch vnd lateinisch also in ein Buch zusammen gedruckt worden, damit man ohne fernere Müh nachzusuchen solches Alles beisammen haben, vnd in deutschen Kirchen für die Cantores und Pfarrherrn solches mit Nutz gebrauchen können. Weil man aber nicht auf eine, sondern auch auf andere Kirchen sehen müssen, die da eines solchen Cantionals Buches begeret haben, sind in diesem Drucke aus vielen Gesangbüchern vnd Agenden, beides die Text vnd Melodieen [690] zusammen getragen worden“. Nun sei diese Sammlung zuerst von „dem würdigen vnd wohlgelahrten Herrn Johann Keuchenthal, Pfarrherrn auf St. Andresberge“ zusammengestellt, dann aber „von dem Ehrbaren vnd wohlgeachteten Samuel Seelfisch, Buchhändlern allhier (nämlich in Wittenberg) auf diese Form in Druck verordnet vnd auff seine Unkosten verleget worden“. Hieran schließt sich Keuchenthal’s Zuschrift, in welcher außer vielen biblischen Citaten die Quellen namhaft gemacht werden, die er zur Zusammenstellung seiner Sammlung vorzugsweise herangezogen habe. Unter diesen macht er die Wittenberger Gesangbücher und das auf Befehl und Antrieb Luther’s (jussu et impulsu Lutheri) zusammengestellte Cantional „des ehrwürdigen Johannes Spangenberg (seliger Gedächtniß)“ namhaft. „Weil aber – fährt er in seiner Zuschrift fort – viel schöner geistlicher Lieder vnd christlicher Gesänge darin mangeln, welche zuletzt gar aus den Kirchen kommen würden, habe ich diese Arbeit auf mich genommen, dieselben Kirchengesänge umgeschrieben, vnd sonst alte schöne christliche Lobgesänglein nach Ordnung der Zeit eines jeden Festes durchs gantze Jhar hinzugethan, und sammt allen Evangelien, Episteln und Collecten alle zusammenbracht, daß zu jeder Zeit die Gesänge mit den Predigten des Evangeliums übereinstimmen“. Er widmet sein Werk „dem wohlgebornen vnd edlen Herrn Volckmar Wolffen, Herrn zu Lora und Klettenberg, Richter vnd Rath, Bergmeistern und Geschwornen, Viertelsmeistern und Aeltesten der löblichen freien Bergstadt St. Andreasberge“, und zeichnet diese Dedication „Geben auf dem Andresberge den 25. Martii Anno 1573, auff welchen Tag Adam soll sein erschaffen“. Die ganze Sammlung, die außer dem liturgischen Material 212 Gemeindelieder nebst 165 Melodien dazu enthält, schließt sich der Ordnung des Kirchenjahres an vom ersten Adventssonntage bis zum 26. Sonntage nach Trinitatis; alsdann folgen von der Rückseite des 458. Blattes ab, Gesänge für den Sonntag nach dem Christtage, nach dem neuen Jahre, für das Fest der Taufe Christi, für die Tage der Apostel, als St. Andreas, Thomas, Pauli Bekehrung, Matthias, Philippi und Jacobi, Peter und Paul, Bartholomäi, St. Matthäus, Simon und Judas, zwischen welchen auch solche eingeflochten sind, die sich auf die Tage Maria Magdalena, St. Lorenz, Johannis’ Enthauptung und Michaelis beziehen. Diesen schließen sich an: die Litaney, lateinisch und deutsch, einige Psalmen, zum Gebrauch an den Sonntagen nach der Predigt; Pauls v. Spretten Bet- und Bußlied: Hilf Gott, wie ist der Menschen Noth so groß; Hochzeitspsalmen, die drei evangelischen Lobgesänge (Benedictus, Magnificat, Te Deum), Hymnen zum Morgengebet auf die Wochentage; Antiphonien auf die acht Kirchentöne. Endlich findet sich außer diesen Stücken auch noch „Die Passion, deudsch in Personen gestellt“ aufgenommen. vorzutragen also durch den Evangelisten als Erzähler, dann durch die in der Erzählung redend eingeführten Personen, nämlich: Christum, einzelne der Jünger, seine Richter u. s. w., durch die Jünger als Gesammtheit, das Volk, die Kriegsknechte (turba nach lateinischem Ausdrucke). Die hier mit Singnoten aufgenommene Leidensgeschichte in deutscher Sprache ist die im Evangelium Matthäi enthaltene. Eine kurze vierstimmige Einleitung geht ihr voran, ein gleichartiger Schluß folgt ihr. Außerdem sind noch die Tonsätze für die turba vierstimmig gesetzt, alle übrige im Choralton gehalten. Diesen Fall, daß eine deutsche Passion sich in diesem Keuchenthal’schen Cantional beigefügt findet, glaubt v. Winterfeld (siehe Evangelischer Kirchengesang, Tom. I, S. 311) für einen der frühesten erklären zu müssen. Dem ist jedoch nicht so. Schon das große Walther’sche Cantional, das unter der Bezeichnung des gothaischen Cantionals von 1545 allgemein bekannt ist, bringt nicht nur eine, sondern sogar zwei deutsche Passionen zu vier Stimmen, nämlich eine auf den Palmensonntag (Fol. 277), sodann auch eine „ander deutsche Passion auf den folgenden Freitag der Marterwoche“ (Fol. 283). [691] Auch der Codex von 1559 auf der kaiserl. Bibliothek zu Wien, welcher ehemals der Stadtschule zu Meißen gehörte (siehe Ambros, Geschichte der Musik, Tom. III, S. 416, Anm. 1), enthält eine mit deutschem Texte. Im übrigen ordnet ein doppeltes genaues Verzeichniß den reichen Inhalt sowol stofflich als auch alphabetisch, so daß die Benutzung dieses kostbaren Quellenwerkes ungemein erleichtert ist. Das Cantional von K. bildet bis auf den heutigen Tag eine der hauptsächlichsten Quellen für die Liturgie der evangelischen Kirche, deren hoher Werth da, wo es sich um Entwickelung und reichere Ausschmückung des liturgischen Gottesdienstes handelt, immer von neuem zur Anerkennung kommen muß. Bildet dasselbe doch eigentlich die erste umfassendere Sammlung des liturgischen Melodienschatzes, die den größern Theil desselben in deutscher Sprache uns überliefert. Denn das ältere Cantional von Spangenberg von 1545 enthält nur einen kleinen Theil in deutscher Uebertragung, die Psalmodie von Lucas Lossius (1552, 1565 u. f.), die, was Auswahl und Fassung dess melodischen Theiles anlangt, eigentlich den Vorrang vor allen anderen Cantionalen erhalten dürfte, (ich erinnere nur dabei an das eine große, ihr allein angehörige prachtvolle Patrem Nicänum, dem die schwerwiegende Stelle mit dem heiligen Geiste qui ex patre – per prophetas fehlt), enthält sich der deutschen Sprache gänzlich. Somit bleibt eigentlich nur noch das Böhmische Brüder-Gesangbuch von 1566 übrig, für dessen eifrige Benutzung von Seiten Keuchenthal’s eine Reihe der schönsten Stücke sprechen. Fußen doch die neueren Bestrebungen der protestantischen Kirche für Beschaffung und Ausschmückung der Liturgie, wie sie z. B. das bedeutende Werk von Schöberlein und Riegel: Liturgischer Gemeinde- und Chorgesang, 3 Bde., 1865–72, in theoretischer Beziehung, oder das große, auf Befehl und Kosten des Großherzogs von Mecklenburg officiell herausgegebene „Cantional für die Landeskirche in Mecklenburg-Schwerin“ (Tom. I. 1868, Tom. II. 1875, Tom. III. 1880) auf praktischem Wege zu fördern sucht, im wesentlichen auf diesen vier Hauptquellenwerken, wobei den deutschen Abtheilungen schon um der Sprache willen stets ein größeres Gewicht beigelegt werden muß. Unter diesen steht aber das Keuchenthal’sche Werk durch treueren Anschluß an die lateinischen Originaltexte mit obenan.