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Artikel „Joachim Murat“ von Rudolf Goecke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 91–93, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Joachim_Murat&oldid=- (Version vom 3. November 2024, 16:40 Uhr UTC)
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Joachim Murat: M. ist geboren den 25. März 1767 in Bastide Frontonnière, einem Dorfe im südfranzösischen Departement des Lot. Er war der Sohn eines Herbergswirthes, welcher früher eine Verwalterstelle bei der Talleyrand’schen Familie bekleidet hatte. Daher erhielt sich eine Art Patronageverhältniß der letzteren zur M.’schen Familie, und durch dieses erhielt der junge J. eine Freistelle auf dem Collége zu Cahors. Ein ausgezeichneter Reiter von Kind auf, verübte er viele tolle Streiche, war aber bei allen seinen Mitschülern beliebt. Nach dem Wunsch seiner Eltern wurde er später nach Toulouse geschickt, um Priester zu werden. Mit 20 Jahren war er Abbé, führte aber ein so ausgelassenes Leben, daß er [92] diesen Stand bald aufgeben mußte. Er trat dann ins 12. Chasseurregiment, welches in Toulouse stand. Er brachte es darin (1788) zum Maréchal-des-logis. Bald darauf wegen Insubordination cassirt, gelang es ihm durch Verwendung J. B. Cavaignac’s in die neugeschaffene Garde constitutionelle Ludwigs XVI. aufgenommen zu werden. Er war damals 23 Jahre alt und soll es jeden Monat auf sechs Duelle gebracht haben. Als Unterlieutenant ins 13. Chasseurregiment zu Pferde versetzt, entwickelte er sich zum exaltirten Jacobiner und Anhänger Marat’s. Trotzdem ist er persönlich kein blutdürstiger Mensch gewesen. Unter dem Schreckensregiment avancirte er zum Lieutenant und Capitän und wurde nach dem 9. Thermidor Jahres II., wiederum durch Cavaignac’s Verwendung, in seinem Grad erhalten. Er war Escadronschef bei den 21. Chasseurs zu Paris, als Bonaparte den Angriff der Sectionen auf den Convent abzuwehren hatte. Da J. M. sich hierbei auszeichnete, wurde er von Bonaparte zum Flügeladjutanten ernannt, und nun begann sein Ruhmeslauf in dessen Gefolge. In den beiden italienischen Feldzügen 1796 und 1797, in Egypten und Syrien bildete er sich zu dem tapferen Reitergeneral heran, als welchen ihn die Welt später kannte. Nach dem 18. Brumaire wurde er Commandeur der Consulargarde und heirathete die jüngste Schwester des ersten Consuls Caroline-Marie-Annunciata Bonaparte. Durch dieselbe bestimmte sich sein späteres Schicksal hauptsächlich. Das Kaiserreich brachte ihm die Würden eines Marschalls, Großadmirals von Frankreich, Senators und kaiserlichen Prinzen. Unter diesem Titel wurde er auch dem Herzogthum Cleve-Berg zugeführt, welches Napoleon für ihn durch Decret vom 15. März 1806 aus früher bairischen und preußischen Gebietsstücken des rechten Rheinufers geschaffen hatte. Zusammen hatte dieser Staat 94 Q‣Meilen und 374,000 Einwohner und gehörte bis zur Schöpfung des Rheinbundes dem deutschen Reichsverband an. Durch die Rheinbundacte erhielt J. M. den Titel eines Großherzogs, und sein Land wurde durch einige nassauische Aemter und Städte erweitert, so daß es südwärts bis an die Lahn ging; außerdem kamen mehrere westphälische Grafschaften und die früher immediaten Herrschaften innerhalb all’ dieser Territorien hinzu. J. M. waren diese Grenzen viel zu eng, aber er übernahm doch die Regierung des Ländchens mit guter Miene, änderte vorläufig nichts in dessen alter Einrichtung und hielt sich im Ganzen vier Monate in seiner Residenzstadt Düsseldorf auf. Während der übrigen Zeit seiner zweijährigen Regierung war er verpflichtet dem Kaiser Heeresfolge zu leisten. Er hatte auch 5000 Mann eigene Truppen aus seinen Staaten zu unterhalten, welche aber in den folgenden Kriegen mit Preußen, Polen und Spanien nicht unter seinem persönlichen Commando standen. In Folge des Tilsiter Friedens vom 21. Januar 1808 fielen ihm die Abteien Essen, Elten und Werden, die Grafschaft Mark, das preußische Fürstenthum Münster und mehrere kleinere Grafschaften als Beutetheil zu. Damals hatte das Großherzogthum seine größte Ausdehnung, 306 Q‣Meilen und 928,570 Einwohner. Am 15. Juli 1808 erhielt J. M. durch Staatsvertrag zu Bayonne die Krone von Neapel, bezog die Einkünfte des Großherzogthums noch bis zum 1. August und entließ am 7. desselben Monats seine „geliebten und getreuen“ deutschen Unterthanen ihres Eides in einem Manifest, das ihnen die Fortdauer seiner väterlichen Gesinnungen auch nach der Trennung bezeugte. Ihre gewissenhafte Rechtschaffenheit und ihre Ergebenheit kann er nicht umhin anzuerkennen, und die Billigkeit erfordert zu sagen, daß das Land Ursache hatte seinen Abgang zu beklagen, indem es die folgenden fünf Jahre dem Namen nach zwar als ein besonderes Staatswesen, thatsächlich aber schlimmer als eine französische Provinz durch einen kaiserlichen Commissar verwaltet wurde. J. M. liebte als Fürst den Prunk unziemlich, war aber nicht ununterrichtet, von persönlich [93] einnehmendem Charakter, neigte zur Milde und war mit dem Vorsatz an die Regierung gegangen, sich dieselbe möglichst selbständig zu wahren. Das Land wurde durch ihn in Arrondissements mit Provinzialräthen an der Spitze eingetheilt. Der Segen eines centralisirten Gerichtswesens wurde der Bevölkerung zu Theil; Justiz und Inneres war in den Händen eines deutschen Ministers, Grafen von Nesselrode. In wirthschaftlicher Hinsicht wurde manches nützliche eingeführt, speciell die Erhebung einer Grundsteuer ohne irgend welche Exemptionen angeordnet; man arbeitete vor der erheblichen Vergrößerung des Staates im J. 1808 mit einem Einnahme- und Ausgabe-Budget von jährlich 1 Million Thaler. Seitdem verschlang der bis 1813 immer gesteigerte Militäretat große Summen. Die Aufhebung des Lehnsnexus und anderer feudaler Einrichtungen, die Einführung des Code, des französischen Präfectenwesens und Municipalsystems erfolgte erst unter Napoleon selbst, die großherzoglich bergische Post hingegen hat schon unter J. M. Spionagezwecken gedient. Eine seit September 1806 geplante Landesvertretung ist in den ersten Stadien ihrer Entwicklung stehen geblieben. Dem gemeinen Manne imponirte J. M. durch seine persönlichen Eigenschaften. Die meist deutschen Beamten des Landes wußten, hingerissen durch die unerhörten Erfolge Napoleons, das Glück von einem Mitgliede seiner Familie regiert zu werden, in ihren officiellen Kundgebungen nicht hoch genug anzuschlagen, und diese selbstgeschaffenen innigeren Beziehungen, welche zwischen einem niederrheinischen Volke und einem geborenen Südfranzosen innerhalb einer so kleinen Spanne Zeit sich anknüpften, rechtfertigen es vielleicht, Joachim Murat’s in einer deutschen Biographie Erwähnung zu thun. Seine späteren Geschicke, seine neapolitanische Regenten- und Kriegslaufbahn bis zu dem Verrath an seinem Wohlthäter und sein Hinrichtungstod im Castell von Pizzo, am 13. October 1815, gehören nicht in diesen Rahmen.

Gallois, Historie de Joachim Murat, Paris u. Leipzig 1828. A. Beugnot, Mémoires du Comte Beugnot, 2. éd. Paris 1868. Goecke, Das Großherzogthum Berg, Köln 1877. v. Helfert, Joachim Murrat, seine letzten Kämpfe und sein Ende, Wien 1878.