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Artikel „Jan, Karl von“ von Hermann Abert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 627–629, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jan,_Karl_von&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 17:13 Uhr UTC)
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Band 50 (1905), S. 627–629 (Quelle).
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Jan: Karl von J., einer der bedeutendsten Forscher auf dem Gebiete der altgriechischen Musik, geboren am 22. Mai 1836 zu Schweinfurt, † am 3. September 1899 zu Adelboden in der Schweiz, war von Hause aus classischer Philologe, wandte sich jedoch bereits während seiner Studienjahre, seinen stark ausgebildeten künstlerischen Neigungen folgend, dem Specialgebiet der antiken Musik zu. J. ist eines der glänzendsten Beispiele der Vereinigung musikalischer und philologischer Schulung in einer Person, der die Musikforschung nach langen Jahren unfruchtbaren Aesthetisirens ihre Erhebung zu einer wirklichen, den anderen Disciplinen gleichstehenden Wissenschaft verdankt. Dieser streng wissenschaftliche Character zeigt sich bereits in seiner ersten Dissertation „De fidibus graecorum“, mit der er 1859 an der Berliner Universität zum Dr. phil. promovirte. Seine erste Anstellung erhielt J. kurz darnach als Lehrer am Grauen Kloster, wo er durch den Verkehr mit dem damaligen Director Fr. Bellermann, dem verdienstvollen Forscher auf dem Gebiete der altgriechischen Musik, auch für sein Specialgebiet neue Anregung erhielt. Jan’s Leben war fortan bis zu seinem Ende zwischen Wissenschaft und Kunst getheilt. In seiner nächsten Stellung, am Gymnasium zu Landsberg a. W., übernahm er 1862 auch den Gesangsunterricht und veranstaltete eine Reihe von Concertaufführungen, [628] aus deren Ertrag er eine neue Orgel für die Aula des Gymnasiums beschaffte. Allein eben daraus entspannen sich Differenzen mit dem städtischen Magistrat, die schließlich 1875 mit Jan’s Uebersiedlung nach Saargemünd endeten. Auch hier war er als Chordirigent längere Zeit hindurch thätig, bis er 1883 als Professor an das Straßburger Lyceum berufen wurde.

Jan’s schriftstellerische Thätigkeit umfaßte das gesammte Gebiet der antiken Musik. Seine Studien auf dem Gebiet der Instrumentenkunde nahm er in einer Reihe von Monographien wieder auf, von denen die Schrift über „Die griechischen Saiteninstrumente“ (Progr. d. Gymn. Saargemünd 1882) die bedeutendste ist. Hier wird zum ersten Mal der Versuch gemacht, die Gestalt und den Gebrauch der zahllosen uns dem Namen nach bekannten griechischen Saiteninstrumente nachzuweisen. Aehnliche Zwecke verfolgte die Schrift über „Die griechischen Flöten“ hinsichtlich der antiken Blasinstrumente; der Flötenklang wird als dem der modernen Clarinette ähnlich dargestellt und das Wesen und die Verwendung der Doppelflöten erläutert (Allgem. Musikzeitung, herausg. von Fr. Chrysander, XVI. Jahrg. 1881, Nr. 30–32). Vgl. über alle diese Fragen noch den Aufsatz: „Die Musikinstrumente der Griechen und Römer“ in den „Festgaben zum 25jährigen Jubiläum des Gymnasiums zu Landsberg a. W.“ 1884.

Auch zu der eine Zeitlang sehr viel erörterten Nomos-Frage hat sich J. verschiedentlich geäußert, vgl. „Die musischen Festspiele in Griechenland“ (Ber. d. 39. Philologenvers. Zürich 1887) und „Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Alterthumswissenschaft“, 28. Jahrg. 1901, S. 64 ff. War er hier bereits den Theorien Westphal’s von der langandauernden Einwirkung des kitharodischen Nomos auf die antike Lyrik mit Nachdruck entgegengetreten, so entspann sich, namentlich auf dem Gebiet der Harmonik, eine tiefgreifende und von Seiten Westphal’s zum großen Theil mit großer Erbitterung geführte Polemik zwischen beiden Forschern. J. war der erste, der Westphal’s willkürlicher Deutung der Begriffe Thesis und Dynamis und seiner Theorie von den Terzenschlüssen in der griechischen Musik entgegentrat, der sowol Westphal wie auch Gevaert gegenüber den namentlich für die griechische Musiktheorie so überaus wichtigen Grundsatz betonte, daß „wir uns zufrieden geben müssen mit dem, was wir zu erkennen und zu erschließen vermögen“. Allerdings vermochte auch K. v. Jan nicht alle Bedenken zu beseitigen und die neuere Forschung hat sich zunächst wieder mit richtigem Instinct auf den Standpunkt vor Westphal und J. gestellt. Vgl. Allg. Musikztg., XIII. Jahrg. 1878, Nr. 45 ff.; Fleckeisen’s Jahrbücher f. klass. Philol., X. Jahrg. 1864, S. 587 ff. und verschiedene Referate und Recensionen in der Berliner Philol. Wochenschrift.

Im letzten Jahrzehnt seines Lebens war J. noch das Glück beschieden, die Auffindung altgriechischer Musikreste in Delphi und anderen Orten zu erleben. Er war einer der Ersten, die sich an der Lösung der damit neu ins Leben tretenden Probleme mit Nachdruck betheiligten. In mehreren Recensionen in der Berliner Philologischen Wochenschrift und dem schon genannten Jahresbericht nahm er zu den schwebenden Fragen Stellung; die Frucht seiner eigenen Studien aber legte er nieder in der kritischen Ausgabe jener Ueberreste, die er zusammen mit den Mesomedes-Hymnen seinen „Musici scriptores graeci“ anfügte. Von all den zahlreichen Neuausgaben dieser neuen Funde ist die seinige insofern die werthvollste, als sie von aller Zurechtstutzung für moderne Aufführungszwecke absieht und sich lediglich auf eine kritische Herstellung des Textes beschränkt. In seinem letzten Lebensjahr wandte er sich auch noch dem [629] neuen Aristoxenosfund aus Oxyrhynchos in Aegypten zu (Berl. Philol. Wochenschrift 1899, S. 475).

Die Hauptarbeit seines Lebens gehörte jedoch der musikalischen Quellenkunde. Hier gebührt ihm das unvergängliche Verdienst, jene spätgriechischen Musiktheoretiker, die in Anbetracht der spärlichen, aus der eigentlich classischen Zeit der Musiktheorie auf uns gekommenen Quellen die Grundlage unserer Kenntniß des antiken Tonsystems bilden, der Forschung auf kritisch gesicherter Basis zugänglich gemacht zu haben. Anknüpfend an analoge Bestrebungen Fr. Bellermann’s und vor allem des alten Meibom in seinen Antiquae musicae auctores septem (1652) vollendete J. 1895 sein Hauptwerk, die „Musici scriptores Graeci“ (Aristoteles, Euklides, Nicomachus, Bacchius, Gaudentius, Alypius); eine Neubearbeitung der beigefügten Melodien erschien 1899. Dieses Werk, das Meibom’s Ausgabe endlich entbehrlich gemacht hat, ist von bleibendem Werthe nicht allein wegen der kritischen Untersuchung des sehr umfangreichen handschriftlichen Materials und der sorgfältigen Bearbeitung der Texte, sondern namentlich auch wegen der in den Einleitungen zu den einzelnen Schriftstellern niedergelegten Forschungen. Eine Vorstudie dazu bildete die gründliche Schrift „Die Eisagoge des Bacchius“ (Progr. d. Straßb. Lyceums 1890/91), sowie „Die Metrik des Bacchius“ (Rhein. Mus. f. Philol. Bd. 46, S. 557 ff.), ebenfalls im Zusammenhang damit steht die Untersuchung über „Die Harmonie der Sphären“ (Philologus Bd. 52, S. 20 ff.) und über den Musiker Albinus (ebenda 56, 163 ff.), sowie die Schrift: „Ueber die Hymnen des Dionysius und Mesomedes“ (Fleckeisen’s Jahrbücher f. Philologie 1890, S. 679 ff.).

J. hat seine Forschungen aber nicht bloß auf das altgriechische Gebiet beschränkt, mit dem er durch die Abfassung der Berichte für den genannten Jahresbericht in steter Fühlung blieb; er drang vielmehr mit der Untersuchung über „Hucbald und das Organum“ (Allgem. Musikztg., Charlottenburg 1899, Nr. 11–13) auch in das Mittelalter vor. In der neueren Zeit, der er sich mit der Schrift „Rousseau als Musiker“ (Preuß. Jahrbücher 56, S. 831 ff.) näherte, fühlte er sich am meisten zu Heinrich Schütz hingezogen; von ihm besorgte er eine Ausgabe des 122. Psalms und der Exequien (vgl. Correspondenzblatt des ev. Kirchengesangsvereins 1899, Nr. 4).

Der modernen Musik stand J. ziemlich kühl gegenüber. Nicht allein mit der Kunst der Neudeutschen fehlte ihm jeder Berührungspunkt, auch gegen Johannes Brahms hatte er mancherlei Bedenken. Das „deutsche Requiem“ z. B. schien ihm da und dort stilwidrig, denn es entfernte sich von der Diatonik, die für J. die unerschütterliche Grundlage aller Kirchenmusik bildete. Auch praktisch war J. für die kirchliche Tonkunst in diesem Sinne thätig; er gab zum Gebrauch beim evangelischen Gottesdienst ein Heft lateinischer Chorgesänge heraus, denen er zu diesem Zwecke deutsche Texte unterlegte.