ADB:Hufnagel, Wilhelm Friedrich
Karl Friedrich H. († 1848, s. o.). Der uns hier beschäftigende Wilhelm Friedr. H. war auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt gebildet, wobei er ein besonderes Talent für Erlernung der alten Sprachen kund gab. 1773 bezog er die Universität Altdorf, um Theologie zu studiren, siedelte jedoch, da die daselbst herrschende orthodoxe Richtung ihn abstieß, im Spätherbst 1775 nach Erlangen über. 1778 wurde er Magister und Privatdocent, 1779 außerordentlicher Professor der Theologie (mit 75 fl. Gehalt!) und nach Rosenmüller’s Abgang nach Gießen erhielt er 1783 die vierte ordentliche Professur der Theologie. 1786 bekleidete er die Prorectorwürde, 1788 wurde er Pastor an der Universitätskirche und Inspector des fürstlichen Predigerseminars. Seine schriftstellerische Thätigkeit in Erlangen war eine sehr bedeutende. Sie war nicht nur eine theologische und zwar sowol in rein wissenschaftlichem als auch poetischem Sinn [Uebersetzung des Buches Hiob, 1781, des hohen Liedes, [302] 1784), sondern auch in politischer Richtung bei der damals sehr verbreiteten und einflußreichen „Erlangischen Zeitung“, und seit 1787 in allgemein humaner und gemeinnütziger Richtung durch die beliebte Zeitschrift „Für Christenthum, Aufklärung und Menschenwohl“, welche er bis 1800 fortsetzte. In Frankfurt a/M. war am 8. Febr. 1791 der Senior Mosche gestorben. Von dort kam der Ruf an H., an Mosche’s Stelle zu treten. Er nahm den Ruf an, am 18. Sept. 1791 hielt er seine Abschiedspredigt in Erlangen und wurde am folgenden Tag mit der 16jährigen Tochter des Hofraths Professor Breyer, Caroline, getraut. Joh. Friedrich Breyer, geb. 1738 zu Stuttgart, † 1826 als geheimer Hofrath zu Erlangen, ist den Mitgliedern der Goethe-Gemeinde bekannt als Haupt einer Familie, welche „Lili“ (Frau v. Türckheim) während ihres Aufenthaltes in Erlangen als die Perle dieser Stadt bezeichnet und mit der sie am liebsten verkehrte. Mit H. drang nicht nur der Rationalismus in das in strenger Orthodoxie am Lutherthum festhaltende Predigerministerium von Frankfurt ein, sondern ein Mann von 38 Jahren, schön, gesellig gewandt, war auch in anderer Hinsicht geeignet, den Schlendrian zu brechen. Das hat er denn später auch in Verbindung mit dem Consistorialpräsidenten Freiherrn Friedrich Maximilian v. Günderrode (geb. 1753, † 1824), in Hinsicht auf das Schulwesen redlich gethan, welches in der reichen Stadt, die von 1763–92 auf der Höhe ihrer Blüthe stand, weiter zurückgeblieben war als in den armen und kleinen protestantischen monarchischen Staaten des nördlichen Deutschland. Nachdem die Heimsuchungen der Revolutionskriege, welche in den Jahren 1792, 96 und 99 die Stadt besonders schwer betrafen, durch den Frieden 1802 beendigt waren, gingen die Freunde ans Werk. Die einzige öffentliche Lehranstalt der Stadt war das Gymnasium; neben diesem und einigen katholischen Schulen war aller öffentliche Schulunterricht der Speculation einer Schulmeisterzunft überlassen, welche in den sogen. „Quartierschulen“ ihr dürftiges Geschäft betrieb. Die Concession zu einem solchen Geschäftsbetrieb mußte der Unternehmer vom Staat erkaufen, und einmal erkauft, war die Concession erblich von Vater auf Sohn oder von Mann auf Frau und verkäuflich von Hand zu Hand. Die Schulhalter hatten, wie jede andere Innung, ihre Versammlungen, eine gemeinsame Kasse und selbstgewählte Vorsteher. Die Quartierschulen sollten gemäß der Schulordnung regelmäßig von Deputirten der Obrigkeit revidirt werden, was aber oft Jahrzehnte hindurch nicht geschah. In den Quartierschulen wurden Knaben und Mädchen jedes Alters vereint, oft 200 und mehr in eine dumpfe Stube zusammengedrängt, von Morgens bis Abends in Katechismuß, Lesen und Schreiben, wol auch, gegen Extravergütung, im Rechnen unterrichtet. – Als endlich am 25. März 1803 eine solche Concession durch Tod des Inhabers erlosch, kaufte die Stadt sie an und errichtete als Eigenthümerin dieser Concession eine Schule, welche im Gegensatz zu den übrigen seit 6. October 1804 die „Musterschule“ genannt wurde. Gegenwärtig in eine Mädchenschule, welche nach Goethe’s Mutter „Elisabethenschule“ genannt wird, und in eine Knabenschule, welche den alten Namen behielt und 1880 ihren prachtvollen Neubau bezog, getheilt, besteht sie blühend fort. Das Schulcapital hat H. direct und indirect durch Beiträge aus eigenem Vermögen, durch den Ertrag seiner für die Musterschule gehaltenen Predigten und durch Sammlungen bei der Bürgerschaft ansehnlich vermehrt. Besonders wirksam war seine 1804 erschienene Schrift: „Von der Nothwendigkeit guter Erziehungsanstalten“. Auch zu den Reformirten, welche erst nach 200jährigem Proceß zur Selbständigkeit 1788 gelangten und 1791, im Jahre, da H. nach Frankfurt kam, ihre Kirchen eröffnen konnten, stellte H. sich durchaus freundlich und trat schon 1800 litterarisch für die freilich erst 1806 erreichte bürgerliche Gleichstellung derselben und die Abendmahlsvereinigung [303] ein. Die Juden, welche ebenfalls 1804 anfingen, ihr Schulwesen zu verbessern, hatten sich seines werkthätigen Wohlwollens zu rühmen. – Hufnagel’s und v. Günderrode’s Stellungen erlitten keine wesentlichen Veränderungen unter dem milden Karl v. Dalberg, seit 1806 Regent von Frankfurt. Dalberg stand schon früher mit H. in Verbindung, welcher 1793 für die in Folge der Belagerung von Mainz beschädigten Einwohner von Mainz, Kastel, Weißenau und Kostheim reiche Sammlungen in Frankfurt veranstaltet hatte. Unter der primatischen Regierung blieben der „Geheimrath“ v. Günderrode und der „Superintendent“ H. an der Spitze des Frankfurter Schulwesens. Am 25. Mai 1804 hatte H. seine Gattin verloren; sie hatte ihm zwei Kinder geboren, 1792 eine Tochter, Sophie Wilhelmine, meine Mutter; 1794 einen Sohn, Eduard, welcher als Professor der Geschichte am Frankfurter Gymnasium bereits 1825 starb und nebst mehreren theologischen Schriften auch ein „Handbuch der alten Geschichte“ (1. Thl. 1824) verfaßt hat, welches sich durch eine geistreiche Behandlung der Kulturgeschichte auszeichnet. aber in Folge von E. Hufnagel’s frühem Tode unvollendet blieb. W. F. H. wurde am 7. Nov. 1822 pensionirt und starb am 7. Februar 1830 nach kurzer Krankheit. H. war ein Mann von außerordentlicher Kenntniß sowol der orientalischen, als der alten und neuen abendländischen Sprachen, ein ergreifender und geistreicher Kanzelredner, guter Gesellschafter, auch musikalisch; leider ließ eine seit frühester Jugend bestehende und zeitweise in bedenklicher Weise sich steigernde Hypochondrie seine Wirksamkeit nicht zu voller Entfaltung kommen.
Hufnagel: Wilhelm Friedrich H., geboren zu Schwäbisch-Hall am 15. Juni 1754, † zu Frankfurt a/M. am 7. Febr. 1830. Die Hufnagel’sche Familie stammt aus Eger und ist 1627 wegen der Religion ausgewandert, theils ins Voigtland, theils nach der Oberpfalz. Von Ansbach zogen sie zu Anfang des 18. Jahrhunderts nach Schwäbisch-Hall. Hier finden wir Johann David H. (geb. 1721, † 1791), als ältesten „Stättmeister“ (Bürgermeister). Er hatte drei Söhne und vier Töchter. Einer der Söhne, Johann Karl H., Stadtschreiber seiner Vaterstadt (geb. 1758, † 1821), war der Vater des als juristischer Schriftsteller geschätzten- Blätter der Erinnerung an W. F. Hufnagel, herausgegeben von seinem Enkel Dr. W. Stricker, Frankf., Sauerländer, 1851. – Dr. W. Stricker, Neuere Geschichte von Frankfurt, Frankf., Auffarth, 1874, 2. Buch, S. 74 bis 90. – K. Kühner, Beiträge zur Geschichte der Musterschule, in der Einladungsschrift zu den Prüfungen derselben, 1865. – M. Heß, Die Bürger- und Realschule der israelitischen Gemeinde zu Frankfurt, Frankf., Auffarth, 1857, S. 17.