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Artikel „Herrenschwand“ von Karl Theodor von Inama-Sternegg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 208–210, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Herrenschwand,_Jean&oldid=- (Version vom 24. April 2024, 16:50 Uhr UTC)
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Herrenschwand (Vorname unbekannt), Nationalökonom, geboren zu Murten in der Schweiz um das Jahr 1730, war der jüngere Bruder des bekannten Mediciners Johann Friedrich H., zu dem er in vieler Hinsicht einen entschiedenen Gegensatz bildete. Von seinen Lebensschicksalen ist sehr wenig bekannt. Nachdem er ausgedehnte Studien in seinem Vaterlande gemacht und eine Zeitlang in demselben ein militärisches Richteramt bekleidet hatte, begab er sich nach London und lebte, wie es scheint, von da an ausschließlich der Wissenschaft. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts finden wir ihn zu Paris, wo er im J. 1805 lebte, zurückgezogen, vereinsamt, unverheirathet und vermögenslos, aber zufrieden; sein Todesjahr ist unbekannt. – Wie im Leben, so stand er auch in der Wissenschaft vereinzelt da. Wohl verschloß er sich nicht den Erfahrungen und Lehren, welche die Nationalökonomie gerade seiner Zeit in reicher Fülle bot; aber er schloß sich keiner Schule, keiner Coterie, keiner Richtung ausschließlich an. [209] Schneidig, aber vielfach parodox, bekämpfte er die Irrthümer des Merkantilismus, besonders Colbert’sche Wirthschaftspolitik; die Administration Frankreichs durch Necker, den er einen Charlatan nannte, erschien ihm ebenso ungenügend, wie die Englands unter W. Pitt, den er mit dem Ton vollster Ueberlegenheit behandelte. Wohl erkennt er die Verdienste von A. Smith und das viele Gute an, das er aus dessen Schriften gelernt; aber sein Prinzip einer unbegrenzten Freiheit in allen Zweigen der Industrie und des Handels hält er doch für gefährlich. Er war aber auch seiner ganzen Natur nach ein rechter Gegensatz zu jenem Meister der politischen Oekonomie. Von der scharfen Beobachtung und eindringlichen Analyse der Thatsachen, wodurch sich die „Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Volkswohlstandes“ von Smith so sehr auszeichnen, ist bei H. keine Spur, er ist vielmehr reiner Dogmatiker, abstracter Denker; seine Logik ist ausschließlich deductiv. In der Kritik der Schwächen, welche den Regierungssystemen seiner Zeit ankleben, ruht seine Stärke; um aber wirksame Heilmittel gegen diese Uebel und ein gesundes System der Wirthschaftspolitik aufzustellen, dazu ist er viel zu sehr dem Leben abgewendet, zu arm an Erfahrungen, an Anschauungen und am Studium der realen Verhältnisse. Seine positiven Vorschläge sind meist unausführbar, vielfach geradezu utopisch, besonders auch wegen seiner geringen Menschenkenntniß und seines übermäßigen Optimismus in Beurtheilung des guten Willens und Verständnisses von Regierenden und Regierten, uneigennützig zur Wohlfahrt der Gesammtheit beizutragen. So erscheint er im Ganzen mehr als ein geistreicher Dilettant, denn als ein methodisch geschulter, klarer und systematischer Denker auf dem Gebiete der politischen Oeconomie; ein Philanthrop in des Wortes bester Bedeutung, beseelt von den edelsten Gefühlen für die Wohlfahrt der Völker, denen er mit der Wärme vollster Ueberzeugung unermüdlich Ausdruck gab, unablässig und uneigennützig bestrebt, in die schwersten Probleme der Regierungskunst einzudringen, aber eigensinnig an selbstgeschaffenen historischen und socialen Kategorien festhaltend, hat er sich immer mehr in einen engen Kreis doctrinärer Ideen eingesponnen, die er mit oft unglaublichem Selbstbewußtsein, nicht selten mit der Bitterkeit des allgemeinen Verkanntseins vorgetragen. Wol gibt er dem Gedanken vielfach Ausdruck, daß die Politik und Regierungskunst sich immer auf die Wissenschaft von den natürlichen und socialen Grundlagen der Volkswirthschaft stützen müsse; für ihn selbst aber sind, in echter Dilettantenweise, die Anschauungen welche er sich von diesen natürlichen Grundlagen gebildet hat, vielmehr feststehende Dogmen, aus denen er seine praktische Wirthschaftslehre einfach deducirt, als Gegenstand eigener wissenschaftlicher Untersuchung. Nichts destoweniger dürfen wir Herrenschwand’s Bedeutung für die politische Oeconomie nicht unterschätzen. Zwar haben diejenigen stark übertrieben, welche ihn mit A. Smith auf eine Stufe stellen wollten; aber andererseits haben ihm auch diejenigen Unrecht gethan, welche behaupteten, daß aus seinen Schriften nichts zu lernen sei. Vielmehr muß anerkannt werden, daß er ein Vorläufer von Malthus’ Bevölkerungslehre war, daß er über Handelsbilanz, Arbeitslohn und Zinsfuß, über Einkommensbesteuerung und öffentlichen Credit sehr werthvolle Gesichtspunkte aufgestellt hat. In der nationalökonomischen Litteratur wird ihm seine Stelle als Theoretiker zunächst den Physiokraten angewiesen werden müssen, mit denen er die meisten wissenschaftlichen Berührungspunkte hat; seine Gegnerschaft zu A. Smith betrifft vornehmlich nur die praktischen Fragen der wirthschaftlichen Politik, die er mehr im Geiste eines nationalen Schutzes der Arbeit beantwortet. Schriften: 1) „De l’économie politique moderne. Discours fondamental sur la population“. Londres 1786. 2) „Discours sur le crédit public des nations européennes“. Londres 1787. 3) „Discours sur la division de terre dans l’agriculture“. [210] Londres 1788 und 1790. 4) „Discours sur le commerce extérieur des nations européennes“. Londres 1787 und 1790. 5) „De l’économie politique et morale de l’espèce humaine“. 2 vols. Londres 1796. 6) „Du vrai principe actif de l’économie politique ou du vrai crédit public“. Londres 1797. 7) „Du vrai gouvernement des peuples de la terre“. Paris 1802. Nouvelle édit. 1803. Von Nr. 1, 4 und 6 sind auch deutsche Uebersetzungen erschienen.

Die ältere biographische Litteratur vermengt fast ausnahmslos die beiden Brüder, indem sie dem Arzt auch die nationalökonomischen Schriften zuschreibt; so Quérard, la France littéraire; ebenso Ersch, France littéraire, die Biographie médicale und die deutschen Conversationslexika. Sehr gut über H. die Biographie universelle, Supplém. Bd. 67 und Nouvelle Biographie. 1858. – Garnier, dictionnaire de l’économie politique. Blanqui, histoire de l’économie politique; Roscher, Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland; Conrad’s Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Jahrg. 1880, S. 416 ff., wo ich auch das Verhältniß der beiden Brüder zu einander erörtert habe.