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Artikel „Heinrich, Ernst“ von Carl Leisewitz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 644–647, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heinrich,_Ernst&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 06:15 Uhr UTC)
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Heinrich: Ernst H., Director der königl. landwirthschaftlichen Akademie zu Proskau in Oberschlesien, geb. den 17. Mai 1792, † am 20. August 1862. Er war der jüngere Sohn des 1812 verstorbenen königl. preußischen Oberamtmanns und Generalpächters der gräflich von Kospoth’schen Majoratsgüter Kritschen etc. bei Oels in Schlesien. Im elterlichen Hause vorbereitet, bezog er 1806 das Pädagogium in Züllichau und darauf die Universität zu Frankfurt a. d. Oder, um sich dem Studium der Rechte zu widmen. Als diese Universität 1811 nach Breslau verlegt wurde, setzte er seine Studien dort und im Jahre darauf in Leipzig fort. Der am 2. Februar 1813 erlassene königliche Aufruf an das preußische Volk bestimmte ihn, als Freiwilliger bei dem damals I. schlesischen Husarenregiment unter die Waffen zu treten. Nach wenigen Monaten zum Secondelieutenant avancirt, ward er im Gefecht bei Culm verwundet und seiner ganzen Equipage beraubt, so daß er sich erst nach mehreren Wochen dem Regimente wieder anschließen konnte, worauf er dann an allen Schlachten und Gefechten, in denen das Regiment noch in den J. 1813–15 engagirt war, als Regimentsadjutant theilnahm. Nach beendetem Kriege blieb H. zwar noch für eine Reihe von Jahren im Landwehrverhältniß, erhielt auch erst 1823 den nachgesuchten Abschied als Premierlieutenant, nahm aber alsbald nach dem Friedensschluß die weitere Ausbildung für die juristische Laufbahn wieder auf und absolvirte das Auscultatorexamen. Aber der Tod seines älteren Bruders, auf welchen die väterliche Pachtung übergegangen war, nöthigte ihn, den ihm nun offenstehenden Beruf wieder aufzugeben und aus Rücksicht auf Familienverhältnisse die noch nicht abgelaufene Pachtung selbst zu übernehmen. Er widmete sich sodann mit Eifer der Landwirthschaft, gab aber, als der geeignete Moment gekommen war, bereits im J. 1819 jenes Pachtverhältniß auf und kaufte das Gut Hausdorf im Kreise Neumarkt, erwarb später auch noch Polkendorf. Als Rittergutsbesitzer überkam er dort bald das Amt eines Kreisdeputirten und wurde außerdem häufig mit der Vertretung des Landrathsamtes betraut. Nicht nur durch diese Functionen lenkte H. das Augenmerk seiner Standesgenossen auf sich, sondern es fanden auch seine wirthschaftlichen Leistungen, wie seine schon damals begonnene litterarische Thätigkeit viel Beachtung. Er hatte sich [645] namentlich mit der Erörterung der Creditverhältnisse der schlesischen Landschaft befaßt und im Weiteren der Pflege der land- und volkswirthschaftlichen Interessen das Wort geredet. Als im J. 1835 unter dem Minister Rother ein neues Creditinstitut in Schlesien errichtet wurde, trat H. als Director desselben wieder in den Staatsdienst und erfaßte mit Eifer die ihm in dieser Stellung überkommenen Aufgaben. Bei der Verfolgung derselben behielt er die Förderung der Landescultur und die Ausbildung der Agrargesetzgebung stets im Auge. Sein erfolgreiches Wirken fand die allseitige Anerkennung; 1845 ward ihm der Charakter als Geh. Regierungsrath verliehen. Auch seine litterarische Thätigkeit ward inzwischen mit Vorliebe fortgesetzt, eine Reihe von Abhandlungen in den schlesischen Provinzialblättern, Schriften über die landwirthschaftlichen Zustände Schlesiens, über den Einfluß der neueren Gesetzgebung auf die Landwirthschaft, über Taxprincipien und Gütertaxation zeugten von dem Umfange seiner Studien und von der Tendenz seiner Bestrebungen. Gern unterhielt er anregenden Verkehr mit intelligenten Männern des landwirthschaftlichen Berufs und führte u. A. mit Block einen lebhaften Meinungsaustausch, durch welchen ohne Zweifel seine Anschauungen in Betreff der Taxprincipien beeinflußt wurden.

Im J. 1845 sollte H. auf ein neues Feld der Wirksamkeit berufen werden: der damalige Minister des Innern, Graf Arnim, übertrug ihm die Einrichtung und Leitung der in Proskau zu errichtenden höheren landwirthschaftlichen Lehranstalt. Nach seinem Organisationsplane wurde die Gründung und Ausrüstung dieser Anstalt ins Werk gesetzt und binnen einer kaum zweijährigen Frist soweit der Vollendung entgegengeführt, daß ihre Eröffnung im Herbste 1847 erfolgen konnte. Unter seiner Leitung wurden die mannichfachen Schwierigkeiten, mit welchen die Entwicklung der Akademie in den ersten Jahren ihres Bestehens zu kämpfen hatte, bald glücklich überwunden, so daß dieselbe einer wachsenden Frequenz theilhaftig ward, und sich binnen wenigen Jahren eines angesehenen Rufes im In- und Auslande erfreute. Neben der Leitung der neuen Lehranstalt war dem Director H. auch von vorne herein eine umfassende Lehraufgabe beschieden worden: er hatte die nationalökonomischen Disciplinen und die landwirthschaftliche Betriebslehre mit ihren Descendenzen zu vertreten. Diese Inanspruchnahme hinderte ihn jedoch nicht an der Fortsetzung seiner litterarischen Thätigkeit und ebenso wenig an einer regen Mitwirkung auf dem Gebiete des landwirthschaftlichen Vereinslebens. Zum Vorsitzenden des landwirthschaftlichen Vereins in Oppeln erwählt, bekleidete er dies Amt eine Reihe von Jahren. Seit 1849 gab er eine der Verbreitung von Aufklärung in den Kreisen bäuerlicher Landwirthe gewidmete Dorfzeitung heraus, womit er auch nach dieser Seite hin als ein wohlmeinender Rathgeber und belehrender Informator wirkte. Ein Werk über landwirthschaftliche Betriebslehre gab er 1854 heraus, welches bestimmt war, dem gebildeten Landwirthe als ein auf nationalökonomischen Wahrheiten und Principien basirtes Lehrbuch über das Wesen der Landwirthschaft, sowie als eine auf umfassende eigene Studien des Verfassers gestützte Unterweisung in der Einrichtung und Führung der Wirthschaft etc. zu dienen. Weiter beleuchtete er besonders vom volkswirthschaftlichen Standpunkte die Landwirthschaft der Vorzeit wie der Gegenwart in einer 1856 erschienenen Schrift „Die Nationalökonomie in ihren Beziehungen zur Landwirthschaft“. In eingehender Weise befaßte sich H. ferner mit der schriftlichen Behandlung der Arbeiterfrage, er griff damit sofort eine unwillkommene Erscheinung volkswirthschaftlicher Entwicklung auf, welche bereits in den fünfziger Jahren die Landwirthe in den östlichen und nördlichen Districten Deutschlands bei der immer weiter ausgedehnten Verwendung der Arbeitskräfte für öffentliche Unternehmungen ernstlich beschäftigen mußte. Zu wiederholten Malen fand er Anlaß, seine Meinung [646] über den Zweck und die Einrichtung landwirthschaftlicher Lehrinstitute, sowie über die Organisation des gesammten landwirthschaftlichen Unterrichtswesens in Schriften darzulegen. Er vertheidigte dabei den Standpunkt der isolirten Akademien unter Berufung auf deren Lehrerfolge und Früchte; dabei aber verkannte er weder die ihnen anhaftenden Mängel, noch leugnete er das Erforderniß ihres weiteren Ausbaues. Nach seiner Ueberzeugung käme den landwirthschaftlichen Akademien noch der Umstand besonders zu statten, daß ihre Verbindung mit der Gutswirthschaft eine wichtige Quelle der Belehrung bilde, welche, den Docenten wie den Studirenden jederzeit zugänglich, nach der einen Seite Gelegenheit zu Beobachtungen und zur Verfolgung wissenschaftlicher Fragen, nach der anderen Seite Anregung durch Erweiterung der Anschauungen und Ergänzung der wissenschaftlichen Lehre durch Demonstrationen behufs Bestätigung der Theorie gewähre. Diese Ansicht hielt H. unerschüttert aufrecht, als durch J. v. Liebig der Streit über die Lehrautorität der isolirten landwirthschaftlichen Akademien angefacht und deren Existenzberechtigung in Zweifel gezogen war. H. hatte die Genugthuung, seine Behauptungen nicht nur bei einem großen Theile des gebildeten landwirthschaftlichen Publicums, sondern auch in dem königl. preußischen Landesökonomiecollegium, dessen Mitglied er seit der im J. 1859 vollzogenen Reorganisation war, anerkannt zu sehen; er schöpfte daraus das Vertrauen, daß die seitens v. Liebig’s öffentlich gegen die landwirthschaftlichen Akademien erhobenen Anklagen ungeachtet ihres Gewichtes und ihrer Schärfe nicht die Tragweite erhalten würden, um die Zukunft der in ihrer Entwicklung, in der Ausrüstung und Wirksamkeit zeitgemäß vorschreitenden Institute gefährden zu können. In welchem Umfange seine Voraussetzungen innerhalb der nächsten Decennien verwirklicht werden sollten, hat H. zwar nicht mehr erlebt, doch ist ihm auch manche betrübende Erfahrung erspart geblieben, welche seinen überlebenden Berufsgenossen aus der Austragung jener mehrfach mit widerwärtiger Leidenschaftlichkeit geführten Fehde erwuchs. H. hatte, wie zu Anfang nach Uebernahme der Direction der Akademie, so auch bis zu Ende seines ehrenvollen Wirkens an dem Grundsatz festgehalten, den an der Akademie thätigen Lehrkräften durch Anregung zu harmonischem Streben für das Wohl der Lehranstalt auch ein ersprießliches und befriedigendes Zusammenwirken zu ermöglichen. Von diesem Streben geleitet und auf der Bahn zu jenem Ziele rühmlich voranschreitend erwarb sich H. nicht nur aufrichtige Verehrung und Hochachtung seitens seiner Mitlehrer in Proskau, sondern auch die ehrenvollsten Anerkennungen an allerhöchster Stelle, wie an den erleuchtetsten Pflanzstätten der Wissenschaft. Die Greifswalder philosophische Facultät ehrte ihn 1860 mit ihrem Doctordiplom. Auch das J. 1861 brachte ihm eine schöne und erhebende Feier, indem er als der wenigen Jubilare einer an der Begehung des 50jährigen Jubiläums der Universität Breslau theilnehmen konnte. Seinem Wirken an der Akademie hingegeben und noch in voller Thätigkeit an der Spitze des akademischen Lehrkörpers stehend, ward er im Sommer 1862 von einer schweren Krankheit befallen, die schon nach wenigen Wochen seinen Tod herbeiführen sollte. War er seinen Mitlehrern an der Anstalt ein gerechter und wohlwollender Vorgesetzter, der selbst durch seinen ehrenwerthen Charakter, wie durch Berufstüchtigkeit und gediegenes Wissen ein edles Vorbild gab und mit wahrer Humanität an der Akademie waltete, so daß ihm von Mitlehrern und Schülern ein pietätvolles Andenken bewahrt wird, so stand er auch bei den Einwohnern des Städtchens Proskau in dem hohen Ansehen des Begründers einer aus den Zeiten der Bedrängniß zum wirthschaftlichen und socialen Aufschwunge führenden Entfaltung; er galt als erster Förderer der städtischen Interessen, als uneigennütziger Rathgeber und edler Wohlthäter der dortigen Gemeinde.

[647] (Zum Theil nach Mittheilungen des Dr. F. Krocker in Proskau.) Vgl. Annalen der Landwirthschaft in den königl. preuß. Staaten, Jahrg. 1862. Dr. Hamm, Agronomische Zeitung, Jahrg. 1862, Nr. 39.