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Artikel „Harrer, Hans“ von Viktor Hantzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 19–21, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Harrer,_Hans&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 09:08 Uhr UTC)
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Harrer: Hans H., Finanzmann und Industrieller, ist eine der markantesten Persönlichkeiten der sächsischen Verwaltungs- und Wirthschaftsgeschichte des 16. Jahrhunderts. Ueber Heimath, Geburtsjahr, Herkunft und Bildungsgang ist nichts bekannt. Von Jugend an beschäftigte er sich mit den Verhältnissen des Geldwesens, des Handels und Gewerbes und erlangte auf diesen Gebieten gründliche Kenntnisse und vielseitige Erfahrung. Um 1550 trat er zunächst in untergeordneter Stellung in den Dienst des Kurfürsten Moritz von Sachsen. Auch dessen Bruder und Nachfolger August schenkte ihm sein Vertrauen und übertrug ihm, da er sein Finanztalent zu schätzen wußte, um 1562 das bedeutungsvolle und verantwortungsreiche Amt des Kammermeisters. Als solcher übernahm er die schwierige Aufgabe, die drückenden Schulden seines Herrn abtragen und die darniederliegende Finanzkraft des Landes heben und kräftigen zu helfen. Er entledigte sich dieser Aufgabe mit so glücklichem Erfolge, daß zwar nicht durch sein Verdienst allein, wol aber unter seiner kräftigen Mitwirkung die Schulden in der That allmählich verschwanden und der Kurfürst trotz mancher verfehlten und verlustreichen Speculation und trotz beträchtlicher Aufwendungen für den Glanz des Hofes, für Verstärkung des Heeres, für Unterstützung der Kirchen und Schulen, sowie der Künste und Wissenschaften allmählich einen baren Schatz von nahezu 2 Millionen Gulden ansammeln konnte. H. trug zur Erreichung dieses glänzenden Ergebnisses hauptsächlich dadurch bei, daß er das kurfürstliche Rechnungswesen durch eine Reihe tief einschneidender Reformen und durch eine scharfe Ueberwachung der Beamten wesentlich verbesserte, daß er ferner seinen Herrn auf eine intensivere Ausnützung der natürlichen Hülfsquellen seines Landes hinwies und daß er ihn endlich zur Betheiligung an verschiedenen, oft sehr einträglichen kaufmännischen Geschäften und gewerblichen Betrieben anregte. Eine seiner wichtigsten Aufgaben bestand darin, daß er die Einnahmen und Ausgaben seines Herrn verzeichnete und am Schlusse jedes Vierteljahres übersichtlich zusammenstellte. Leider haben sich von seinen Rechnungen nur diejenigen, welche das Jahr von Crucis 1566 bis ebendahin 1567 umfassen, im Dresdener Hauptstaatsarchiv erhalten, während die übrigen verloren zu sein scheinen. Dasselbe Archiv besitzt auch 4 Foliobände mit Briefentwürfen Harrer’s aus den Jahren 1572–1580. Die zugehörigen Antworten, sowie die von ihm geführten Handelsbücher, deren Kenntniß von höchstem Interesse für die Wirthschaftsgeschichte sein würde, sind nicht mehr vorhanden. Die dienstliche Thätigkeit Harrer’s war eine sehr anstrengende. Er hatte keinen festen Amtssitz, sondern folgte in der Regel dem Hoflager seines reiselustigen Herrn, um stets zu dessen Verfügung zu stehen. Der Kurfürst hörte fast täglich seinen Vortrag, fragte ihn bei allen geschäftlichen Angelegenheiten um Rath und übertrug ihm häufig schwierige und vertrauliche Commissionen, die allerdings nicht immer zu seiner Zufriedenheit erledigt wurden. Auch die Kurfürstin Anna beauftragte ihn öfters mit Besorgungen der verschiedensten Art, nahm ihn bei ihren Einkäufen und sonstigen Wirthschaftsangelegenheiten nicht selten stark in Anspruch und [20] benutzte auf seinen Rath günstige Conjuncturen des Geld- und Waarenmarktes zu vortheilhaften Geschäften. Beide Fürstlichkeiten übertrugen ihm auch, da er zahlreiche Verbindungen mit in- und ausländischen Boten und Kaufleuten unterhielt, gelegentlich die Beförderung wichtiger Briefe, die Einziehung von Erkundigungen über bemerkenswerthe Ereignisse an fremden Höfen und auswärtigen Orten und die Erwerbung seltener Stücke für ihre Kunstsammlungen. Ebenso wurde er zu zahlreichen Reisen verwendet. Besonders besichtigte er öfters die Schloßbauten, die der Kurfürst an verschiedenen Orten seines Landes ausführen ließ, überzeugte sich von ihren Fortschritten und prüfte die Baurechnungen. Ferner verhandelte er im Namen seines Herrn theils persönlich, theils schriftlich mit den Künstlern, Handwerkern und sonstigen Lieferanten, die dieser beschäftigte, ertheilte ihnen die Aufträge, begutachtete ihre Leistungen und führte die Zahlungen an sie ab. Auch nahm er Bittschriften entgegen, um sie bei günstiger Gelegenheit dem Kurfürsten zu überreichen, erledigte Ankäufe und sonstige Commissionen für auswärtige Fürsten, ordnete die Vermögensverhältnisse verschiedener in Geldschwierigkeiten gerathener Adelsfamilien und unterhielt mit fast allen Kreisen der Bevölkerung die vielseitigsten amtlichen und privaten Beziehungen. Neben seinen mannichfachen dienstlichen Obliegenheiten fand er noch Muße, für eigene Rechnung zahlreiche, wenn auch nicht immer gewinnbringende Geschäfte zu betreiben, für die er ein mit Fachkenntnissen ausgerüstetes Personal und verschiedene Vertrauenspersonen an den wichtigsten Handelsplätzen des Binnenlandes und der Seeküste unterhielt. Am lohnendsten erschien ihm das Geldgeschäft. Er lieh Capitalien in theilweise sehr ansehnlichen Beträgen an Standesherren und Kaufleute auf hohe Zinsen aus und wechselte fremde Geldsorten gegen einheimische ein. Weniger einträglich erwies sich die Bewirthschaftung ländlicher Besitzungen, wie der Rittergüter Hermsdorf bei Dresden und Teuchern bei Weißenfels, die er von verarmten Schuldnern an Zahlungsstatt übernehmen mußte. Diese Güterbewirthschaftung bewog ihn, einen schwunghaften Großhandel mit landwirthschaftlichen Erzeugnissen zu beginnen. So betheiligte er sich an Getreidegeschäften in Böhmen und Anhalt, führte Sämereien, Gemüse und Früchte ein, bezog Pferde aus Italien, Rinder aus Polen, Schafe aus Schlesien und Geflügel aus Böhmen. Noch bedeutender war sein Handel in Rohproducten und Colonialwaaren, die er meist über Hamburg, Lübeck und Danzig erhielt. Theils auf eigene Rechnung, theils im Auftrage des Kurfürsten kaufte und verkaufte er Blei, Kupfer, Zinn, Alaun, Salz, Talg, Flachs, Färberröthe, Südfrüchte, spanischen Wein, englisches Tuch, Mühlsteine, Bretter, seltene Thiere, ausgestopfte Vögel und andere Naturmerkwürdigkeiten, Luxusartikel und Modeneuheiten aller Art. Mit besonderem Erfolge wendete er sich dem Bergbau zu. Von vielen ertragreichen Gruben und Hütten erwarb er Kuxe. In Altenberg gewann er Zinn, im böhmischen Erzgebirge und im Mansfeldischen Kupfer, in der Freiberger Gegend Silber. Von den Mansfelder Werken hatte er den 5. Theil um 100 000 Gulden erkauft. Im sächsischen Kurkreis besaß er zwei Alaunwerke. In Schneeberg und Annaberg ließ er Mineralfarben namentlich für den Export nach Südeuropa herstellen. Auf seinem Pachtgute Hermsdorf betrieb er eine Papierfabrik, die allerdings unter dem Drucke übermächtiger Concurrenz nicht zur Blüthe gelangte und ihm gleich einer Sammt- und Seidenfabrik in Meißen, an der er mit Capital betheiligt war, viele Verdrießlichkeiten bereitete. Ebensowenig glückte es ihm mit einer Tuchfärberei in Torgau, welche rohe englische Tuche verarbeitete, mit einer Zuckerraffinerie und mit einem Gasthof in Annaburg. Am verhängnißvollsten aber wurde für ihn die Betheiligung an der großartig geplanten thüringischen Handelsgesellschaft, [21] welche 1579 in Leipzig in der Absicht gegründet wurde, in Gemeinschaft mit einer südeuropäischen Gruppe von Kaufleuten den Welthandel in Pfeffer durch Aufkauf der gesammten Jahresernten dieses Artikels zu monopolisiren. Die Gründer dieser Gesellschaft waren neben H. der Kurfürst August und der Augsburger Handelsherr Konrad Rott, der durch einen Vertrag mit dem König Heinrich von Portugal den Gewürzeinkauf in Indien und den Vertrieb des Pfeffers in ganz Europa gepachtet hatte und dadurch fast unbeschränkter Herr des gesammten Pfefferhandels der Welt geworden war. Da dieser kühne Plan die finanziellen Kräfte der BetheilrgFen weit überschritt, und da sich außerdem unvorhergesehene politische Schwierigkeiten erhoben, brach das Unternehmen schon im folgenden Jahre plötzlich zusammen. Rott ergriff die Flucht und verschwand aus Deutschland. Ueber sein Vermögen wurde der Concurs eröffnet. H. gerieth über die ihm drohenden schweren Verluste in solche Verzweiflung, daß er sich im Juni 1580 in der kurfürstlichen Silberkammer zu Dresden selbst entleibte. Der Kurfürst suchte sich möglichst vor Schaden zu schützen, indem er die Hinterlassenschaft seines Kammermeisters mit Beschlag belegen ließ. Eine vorgenommene Abrechnung ergab, daß H. der kurfürstlichen Kammer 130 000 Gulden schuldete. Seine Wittwe zahlte diese Summe allmählich ratenweise ab und rettete so den guten Namen ihres Mannes.

G. Müller, Hans Harrer (Neues Archiv für sächs. Geschichte 1894, XV, 63–118). – J. Falke, Des Kurfürsten August portugiesischer Pfefferhandel (Weber’s Archiv für die sächs. Geschichte 1867, V, 390–410). – K. Häbler, Konrad Rott und die Thüringische Gesellschaft (Neues Archiv für sächs. Geschichte 1895, XVI, 177–218). – K. v. Weber, Anna Churfürstin zu Sachsen, Leipzig 1865. – J. Falke, Die Geschichte des Kurfürsten August von Sachsen in volkswirthschaftlicher Beziehung, Leipzig 1868.