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Artikel „Hans von Tiefen“ von Karl Lohmeyer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 285–286, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hans_von_Tiefen&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 00:24 Uhr UTC)
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Tiefen: Johann v. T., Hochmeister des Deutschen Ordens vom 1. September 1489 bis an seinen Tod, 25. August 1497. Es ist der Eindruck vollster Tragik, den man empfängt, wenn man den Charakter und das Streben, das Vorgehen und das Geschick dieses vom aufrichtig besten Willen für Orden und Land beseelten, persönlich überaus würdevollen letzten unter den nichtfürstlichen Hochmeistern betrachtet. Einem schwäbischen Adelsgeschlechte entsprossen, vielleicht der Letzte seines Stammes, war er früh in den Orden getreten, hatte die Stufenleiter der Ordensämter von unten herauf erstiegen, war Großkomtur und zuletzt neun Jahre lang oberster Spittler gewesen, als er an die Spitze des Ordens gestellt wurde. So hatte er die politische Stellung des Ordensstaates nach außen hin richtig erkannt und unbefangen genug beurtheilen lernen um einzusehen, daß jeder Widerstand gegen die oberlehnsherrliche Macht des Polenkönigs aussichtslos und verderblich sein mußte. Darum leistete er ohne Zögern den durch den letzten Thorner Frieden aufgelegten Huldigungseid und war ebenso trotz der eigenen grenzenlosen Armuth stets bereit – zugleich zum Erweise, daß der Orden seiner Hauptaufgabe nicht vergessen, die Berechtigung seines Fortbestandes nicht verloren hätte – den Forderungen der schuldigen Hülfsleistung gegen die Russen sowie gegen die Türken und Tataren nachzukommen, und gerade hierbei fand er schließlich nach schmählichen Enttäuschungen sein eigenes Ende. Ebensowenig konnte den Blicken des rechtlich denkenden Mannes die innere Zersetzung des Ordens selbst und die sträflich verkehrte, eigennützige und oft gewaltthätige Amtsführung der Mehrzahl der Brüder und der Ordensdiener entgehen. Er selbst lebte noch streng nach der Regel, auch nach der mönchischen Seite derselben hin, und verwaltete seine Aemter durchaus so, daß man noch in der herzoglichen Zeit nicht Rühmens genug davon machen konnte, aber, in den Gedankenkreis früherer Generationen gebannt und den neuen Sinn der Zeit verkennend, glaubte er in der Auffrischung und Aufbesserung der alten Regel und in der Einschärfung des Gehorsams gegen sie Heil und Rettung finden zu können. Darum war er während seiner ganzen Regierungszeit eifrig bemüht ein Generalcapitel, wie es seit vierzig Jahren nicht stattgefunden hatte, zu Stande zu bringen, doch wußten zumal die beiden andern Meister, der von Livland und der Deutschmeister, jeden Umstand, welcher ihrer Preußenreise entgegentrat, geschickt auszunutzen, so daß dieser sehnlichste Wunsch ihres Oberhauptes unerfüllt blieb. Das schlimmste Hemmniß bei allen Dingen war die untilgbare Finanznoth, und wenn sich auch das Land in den Friedensjahren zu heben und wol leistungsfähiger zu werden begonnen hatte, so waren doch die alten Kriegsschulden noch immer nicht ganz abgezahlt, und dazu verschlangen die unglücklichen diplomatischen Sendungen und Verhandlungen gewaltige Summen, und ganz besonders wieder, wie auch jetzt die Klagen der Ordensprocuratoren über ihren Mangel an klingenden Gründen beweisen, in Rom, wo es in den letzten Jahren galt die Anmaßungen und Anklagen des gefährlichsten benachbarten Feindes, des Bischofs von Ermland, mit Nachdruck zu bekämpfen. Lukas Watzelrode, der thorner Bürgerssohn, von welchem sein Amtsbruder, der masowische Bischof, dem Könige schreiben konnte, daß er „in der Gestalt des Schafes ein reißender Wolf“ sei und später den Danzigern gegenüber sich ähnlich aussprach, trat, sobald er nach dem polnischen Thronwechsel von 1492 aus dem Feinde des verstorbenen Königs der ergebenste Freund des neuen geworden war, mit der Behauptung auf, daß die Ordensprivilegien, da alle Verhältnisse sich verändert hätten, kraftlos geworden wären, griff mit seiner geistlichen Aufsicht und Gerichtsbarkeit über die ihm zustehenden Grenzen hinaus und brachte endlich den Plan auf, der den Polen wol genehm sein konnte, die deutschen Ritter aus [286] Preußen fortzunehmen und zur Fortsetzung des Kampfes gegen Ungläubige und Heiden nach Podolien zu versetzen. Die Sache fand zwar eine Art von Ausgleichung, aber doch nur eine äußerliche, und die drohende Gefahr blieb bestehen. - Bis zur höchsten Tragik steigerte sich das Ende des greisen Hochmeisters. Gleich nach Pfingsten 1497 kam vom Polenkönige, der im Begriffe stand, einen Feldzug gegen die Türken und zugleich sei es zur Unterstützung oder zur Unterwerfung des Fürsten von der Moldau zu unternehmen, ein so gemessener Befehl zum Zuzuge nach Königsberg, daß der Meister nicht zu widerstehen wagte. Nachdem schleunigst ein Trupp von im Ganzen 1500 Leuten mit 400 reisigen und Wagenpferden mit äußerster Mühe zusammengebracht war, brach man schon am 1. Juni von Königsberg auf; beim Marsche durch Polen fand man das Land von den polnischen Truppen selbst verwüstet und erhielt auch vom Könige keine Beihülfe, denn, so schrieb dieser auf des Meisters Klagen, der Zug geschähe zur Vertheidigung der ganzen Christenheit, und darum mußte jeder das Seinige selbst beitragen; auch aus Preußen konnte nichts mehr herangezogen werden. Etwas besser ging es in dieser Beziehung in Galizien, aber während man schließlich bei Halitsch am Dnjester lagerte und über den Weiterzug mit den Polen endlose Verhandlungen führte, wurde der Meister von der rothen Ruhr schwer befallen. Zu jeder weitern Theilnahme unfähig, kehrte er selbst gegen den ausdrücklichen Willen des Königs nach Lemberg zurück, verschied aber dort trotz der besten Pflege am 25. August. In langsamem Zuge brachten wenige Begleiter den Leichnam nach Königsberg zurück, wo er in der Gruft der Domkirche bestattet wurde. Von dem Heere aber hat fast niemand die Heimath wiedergesehen.

Joh. Voigt, Geschichte Preußen IX (1839). - Thiel, in Zeitschr. f. d. Gesch. Ermlands I (1860). – Scriptores rerum Prussicarum V (1874). – Toeppen, Acten der Ständetage Preußens V (1886). – Caro, Geschichte Polens V, 2 (1888).