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Artikel „Haller, Josef“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 786–788, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Haller,_Josef&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 04:17 Uhr UTC)
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Haller *): Josef H., Dr., Publicist, Gelehrter und k. b. Hofrath. Geboren am 5. October 1810 zu Scheinfeld in Unterfranken als der Sohn eines bäuerlichen Uhrmachers, † am 28. November 1886 zu München. Von früher Jugend auf sich selbst angewiesen, studirte H. zu Würzburg die Philologie, die er mit Auszeichnung absolvirte, trat als Erzieher in die Familie des Advocaten Dr. v. Hornthal in Bamberg, wirkte als Assistent an der dortigen Studienanstalt und promovirte 1836 zu Erlangen. In demselben Jahre wurde H. durch Heinrich Zschokke als Rector der Bezirksschule nach Muri (im Aargau) berufen, kehrte aber bald als Chefredacteur des „Fränkischen Merkur“ nach Bamberg zurück. Müde der ärgerlichen Censurplackereien, mit dem Ministerium Abel gründlich verfeindet und deshalb ohne Aussicht auf eine Staatsanstellung ging H. 1839 mit Hülfe einiger Gönner nach Paris, wo er sich erst gründlich in den neueren Sprachen bildete, und nachdem er sein Terrain gründlich kennen gelernt, als Berichterstatter für deutsche Zeitschriften, insbesondere für die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ eine ergiebige Existenz und Thätigkeit entwickelte. Hier schloß er Bekanntschaft mit vielen ausgezeichneten Persönlichkeiten, zählte zu den Gründern des „Deutschen Hülfsvereins“ wurde Seeretär und Vicepräsident dieser wohlthätigen Einrichtung und entrichtete dazu in der Folge zeitlebens alljährlich seinen Beitrag. Von hier aus unternahm H. mehrfache Reisen nach der Schweiz, Spanien und Portugal (1843), auch nach Algier und Alexandrien (1847). Der Ausbruch der Februarrevolution 1848 vertrieb ihn nach England, wo er die Familie Louis Philipp’s zu Claremont besuchte und einem großen Charlisten-Meeting auf Kennington-Green nächst London beiwohnte. Durch den Minister Freiherrn v. Lerchenfeld wurde H. als Chefredacteur der „Neuen Münchener Zeitung“ [787] berufen, gleichzeitig erging an ihn eine ehrenvolle ähnliche Einladung aus Berlin unter glänzenden Anerbietungen. H., welcher es vorzog seinem engeren Vaterlande zu dienen, begab sich über Brüssel, Aachen, Köln und Frankfurt nach der Isarstadt, wo er, gemeinsam mit dem Dichter J. B. Vogl (A. D. B. XL, S. 166) eine außerordentliche Thätigkeit entfaltete und als Redner in dem unter Bluntschli’s Vorsitz florirenden „Constitutionellen Verein für Freiheit und Gesetzmäßigkeit“, nach schwerer Redactionsarbeit oft noch in später Nacht erschien, um die neuesten Ereignisse mitzutheilen. Obwohl kein glänzender Redner, trat H. auch in sogenannten Volksversammlungen auf, wo er sich durch Besonnenheit und Schlagfertigkeit des Geistes auszeichnete und ebenso als Landwehrofficier bei höchst tumultuösen Auftritten mit unerschrockenem Muthe bewährte. Sieben Jahre mühte er sich unter dem damals fast unerträglichen Druck und den zahllosen Schwierigkeiten eines officiellen Journals, welches er in leidenschaftsloser, würdiger und vornehmer Weise redigirte. König Max II. verlieh ihm 1854 eigenhändig und unter ausdrücklicher Anerkennung seines Wirkens das Ritterkreuz I. Klasse des Verdienstordenes vom hl. Michael. Ein Jahr darauf schied H. aus der Redaction dieses Blattes, welches in den Privatbesitz seines früheren Eigenthümers überging, womit für H. die früher versprochene Pension oder anderweitige Verwendung im Staatsdienst verloren war. H. nahm seine Correspondenzen theilweise wieder auf, machte Reisen nach Hamburg und Amsterdam und vergrub sich gänzlich in nationalökonomische und statistische Studien, nachdem er auch an den Bestrebungen des großdeutschen Vereins u. A. mit einer in 50 000 Exemplaren verbreiteten Flugschrift über „Handelsvertrag und Zollverein“ (1863) sich betheiligt hatte. Zuletzt ging er ganz auf culturhistorische und linguistische Forschungen über; als Frucht davon erschien nach mehrjähriger angestrengter Arbeit die Sammlung, Erläuterung und sozusagen physiologische Vergleichung „Altspanischer Sprüchwörter“ (Regensburg 1883, in 2 Bänden), ein „opus aere perennius“, welches in Ermangelung eines opferwilligen Verlegers, der Verfasser auf eigene Kosten erscheinen ließ. Das Buch war eigentlich schon im voraus bestimmt, ein Torso zu bleiben. H. wählte als Ausgangspunkt das in alphabetischer Ordnung 4300 Sprüchwörter bietende „Libro de Refrances“ des Mosen Pedro Valles (Saragossa 1549) und entnahm demselben nur die unter dem Buchstaben A mitgetheilten 555 Sprüchwörter, die er nun nach allen Seiten und mit der ihm zugänglichen Litteratur zu commentiren und zugleich ihre internationale Verwandtschaft darzulegen beschloß. Was H. hier leistete war eigentlich nur eine Probe, ein Vorbild für einen etwaigen Nachfolger, dessen adäquate Leistung und Fortsetzung jedenfalls eine mehr als vierfache Lebenszeit beanspruchen müßte. Und das alles nur aus Liebe zur Sache, aus reiner Begeisterung für Forschung und Wissenschaft. Es war die Frucht von 1223 Tagen und Nächten, da der Verfasser, des freien Gebrauchs seiner Augen sich erfreuend, gewöhnlich sechs Stunden Nachtarbeit obendrein darauf verwendete! H. beleuchtete sozusagen die ganze Genesis eines jeden einzelnen Sprich- und Wahrwortes, wie selbige schon bei den Griechen und Römern (nach Indien, China und Aegypten, nach Babylon, Arabien und Persien wagte er sich nur ausnahms- und andeutungsweise), bei den Mittel-Latinern, Italienern, Basken, Portugiesen, durch Frankreich bis nach Norwegen und Island hinauf geographisch und historisch nachweisbar erschien. Dazu versah er jedes einzelne Fundstück mit einer Fülle von sprachlichen, biographischen, geo-, topo- und ethnographischen, statistischen, geschichtlichen und litterarhistorischen Notizen und Erläuterungen. Fast möchte man in den Ruf „tant de bruit pour une omelette“ ausbrechen! Dafür erblühte ihm freilich wieder Anerkennung und Auszeichnung; er wurde Ehrenmitglied [788] von gelehrten Gesellschaften des In- und Auslandes. Noch auf seinem schmerzhaften Krankenlager in den letzten Lebenstagen kamen erfreuliche Kundgebungen aus Peru. Weitere Arbeiten über die Litteratur der Basken und eine Abhandlung über die Dichter des italischen Mittelalters blieben unvollendet. Obwohl der geistig ungeschwächte Mann alljährlich seine Badereise unternahm und noch 1886 sein liebes Würzburg und die letzten trauten Genossen aus der Jugendzeit wieder besuchte, meldeten sich plötzlich die Leiden des Alters. Er trug selbe mit bewunderungeswerther Geduld. Seine Angelegenheiten waren bis ins kleinste geordnet: seine längst ausgearbeiteten letzten Verfügungen umfaßten 40 Folioseiten! H. war ein ehrenhafter Charakter von seltener Reinheit und Tadellosigkeit, dem auch seine politischen Gegner immer Anerkennung zollten; ein Feind unnützer Polemik, ein treuer, uneigennütziger, unverbrüchlicher Freund, ein gewandter Publicist und achtbarer Gelehrter; seine Citate galten ebenso zuverlässig wie jedes Wort, das er sprach oder schrieb. – Seine Gattin Amalia Haller, eine Tochter des Augsburger Kupferstecher Bodenehr, starb 1883 zu Zürich; ihr beiderseitiger Sohn war schon in zarter Jugend an den Folgen eines Falles den Eltern vorangegangen.

Vgl. Beilage 186 „Allgemeine Ztg.“ v. 7. Juli 1886 und Nr. 334 „Neueste Nachrichten“ v. 30. Nov. 1886.

[786] *) Zu S. 723.