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Artikel „Goltzius, Hendrik“ von Wilhelm Schmidt (Kunsthistoriker) in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 361–362, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Goltzius,_Hendrik&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 18:46 Uhr UTC)
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Goltzius: Hendrik G., berühmter Kupferstecher und Maler, geboren zu Mülbrecht im Herzogthum Jülich. Der alte Hubrecht (s. u. S. 362) hatte einen Sohn Johann, der Glasmaler und Bürgermeister zu Königswert am Rhein war. Sein jüngster Sohn Johann, der gleichfalls auf Glas malte, zog in das Dorf Mülbrecht und erhielt hier im J. 1558 als ältesten Knaben unsern Hendrik. Dieser war nach van Mander’s Bericht ein fettes, wildes und lustiges Kind, das eben dadurch von allerlei Unglücksfällen heimgesucht wurde. Am bedenklichsten darunter war eine Brandwunde an der rechten Hand, in Folge deren dieselbe krüppelhaft wurde, ohne jedoch die Fähigkeit zur Arbeit zu verlieren. Als Hendrik ungefähr 3 Jahre alt war, zogen die Eltern nach Duisburg. Hier begann der Kleine frühzeitig sich in der Kunst zu versuchen. Dem Kupferstecher Dirk Coornhert fielen einige dieser Sachen unter die Augen, und er rieth dem Vater an, den Knaben nach Haarlem zu schicken, damit sich dieser unter seiner Leitung im Kupferstechen ausbilden sollte. Die Eltern zogen gleich mit, und G. arbeitete nun lange Zeit für Coornhert und Philipp Galle. Die Eltern wandten sich wieder nach Deutschland zurück, G. aber blieb in Haarlem und heirathete – kaum 21 Jahre alt – eine Wittwe, deren Sohn Jacob Matham von ihm unterrichtet und zu einem guten Kupferstecher ausgebildet wurde. Bald nach seiner Heirath wurde G., vermuthlich in Folge häuslicher Umstände, von einer tiefen Schwermuth erfaßt, die in eine Auszehrung überging – gegen drei Jahre lang hatte der Künstler mit dem Blutspeien zu kämpfen. Er beschloß, da ihn die Aerzte aufgegeben hatten, nach Italien zu wandern, indem er daselbst Besserung zu finden oder doch wenigstens die dortigen Meisterwerke der Kunst vor seinem Tod noch zu genießen dachte. Ende 1590 segelte er – der damals schon einen Namen hatte – von Amsterdam nach Hamburg ab, von hier aus durchwanderte er Deutschland und fühlte eine fortschreitende Besserung, so daß er selbst zu Eulenspiegeleien aufgelegt war. So ließ er seinen Diener bei Künstlern, die er unterwegs besuchte, als seine eigene Person erscheinen, so daß diesem die Ehrenbezeugungen widerfuhren, während der richtige Meister kaum angesehen wurde. Auf diese Weise konnte G. allerlei mißgünstige oder auch wohl begründete Urtheile über seine eigenen Werke hören; was ihn so ergötzte, daß er wieder zu guter Gesundheit kam. Ueber München, wo er sich bei Hans Sadeler für einen Käsehändler ausgab, kam er nach Italien, besuchte Venedig, Bologna, Florenz und begrüßte endlich den 10. Januar 1591 die ewige Stadt. Hier wahrte er einige Monate sein Incognito, warf sich in hochdeutsches Bauerncostum und ließ sich Hendrik van Bracht nennen. Fleißig zeichnete er nach Antiken. Ende April genannten Jahres wanderte G. in Begleitung des Silberschmieds Jan Mathyssen und des gelehrten jungen Edelmanns Phil. van Winghen aus Brüssel nach Neapel, copirte hier einen jugendlichen, sitzenden Herkules im Palast des Vicekönigs und ging dann mit seinen Gefährten wieder nach Rom. Hier verweilte er noch einige Zeit und zeichnete mit dem größten Eifer. Am 3. August 1591 ritten Jan Mathyssen und G. aus Rom, wandten sich über Bologna nach Venedig, wo sie einige Tage blieben, dann über Trient, München nach der Heimath. Kaum aber war G. zu Hause, als die alte Krankheit ihn wieder plagte, doch gelangte er wieder zu besseren Kräften, indem er Geisen- und Frauenmilch trank und viel spazieren ging. Im J. 1598 war er wiederhergestellt, doch mag immerhin die Nachwirkung der Schwindsucht ihm ein verhältnißmäßig kurzes Alter verursacht haben, er starb am 29. December 1616 zu Haarlem, im Alter von 58 Jahren. Seine Ruhestätte fand er in der „Großen Kirche" zu Haarlem vor dem Chor.

[362] G. zählt zu den bedeutendsten aller Kupferstecher, ja wenn man den Maßstab der Technik als den einzigen nimmt und zugleich bedenkt, was seine Vorgänger darin leisteten, dann hat ihn kein Anderer übertroffen. Den Meistern des 16. Jahrhunderts fehlte es noch an der vollen Kühnheit und Mannigfaltigkeit der Stichelführung und der dadurch erzielten plastischen und malerischen Wirkung, G. war es, der vor Allem eine freiere Behandlung anbahnen half. Es ist merkwürdig, wie seine Linien zart auslaufen und kräftig anschwellen, wie sie sich nach den Formen beugen und mannigfaltig über und neben einander liegen. Eine freiere Helldunkelwirkung gelang ihm allerdings noch nicht; seine Blätter zeigen zerstreute, oft zu breit gehaltene Lichter und daneben zu massiges Dunkel. Und prüft man seine Blätter auf den geistigen Gehalt, so tritt derselbe bedeutend hinter den Glanz des Technischen zurück; der Ausdruck seiner Körperformen und der Gesichter ist höchst äußerlich. Er stand eben unter dem Einflusse der niederländischen Manieristen, wie Spranger u. dgl., welche in verschrobenen, schwülstigen Formen den Michelangelo zu imitiren dachten. Diese Schwächen treten in Porträts oder porträtartigen Darstellungen, wie der „Knabe mit dem Hund“, natürlich weit weniger oder nicht hervor, so daß dieselben zu den schönsten Leistungen des Grabstichels überhaupt gehören. Von seinen anderen Blättern ist namentlich berühmt die aus sechs Nummern bestehende Folge, die man seine „Meisterstücke“ nennt. Er wollte in ihnen, die alle dem neuen Testament entnommen sind, verschiedene Meister nachahmen. Sehr beachtenswerth ist G. auch als Holzschneider; verschiedene wirkungsvolle Helldunkelblätter sind von ihm erhalten. (Vgl. üb. die Arbeiten des Goltzius Bartsch’s Peintre-Graveur und R. Weigel’s Supplement dazu.) In seinem 42. Jahre fing G. auch das Oelmalen an, doch sind seine Bilder manierirt und selten. Auch auf Glas hat er gemalt.

Sein Bruder Jacob G. wandte sich auch dem Kupferstechen zu, doch hat er jedenfalls sehr wenig gestochen. Man kennt von ihm einige Blätter nach seinem Bruder.

Julius G., keinesfalls ein Sohn des Hendrik, wie angegeben wurde, eher einer des jüngeren Hubrecht, stach um 1586 einige wenig bedeutende Blätter nach Hendrik G., Blockland etc.

Der in Köln arbeitende Kupferstecher Conrad Gols, der sich daneben auch Goltzius schrieb, mag gleichfalls zu der Familie gehört haben.