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Artikel „Goltz, Bogumil“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 353–355, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Goltz,_Bogumil_von_der&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 01:21 Uhr UTC)
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Band 9 (1879), S. 353–355 (Quelle).
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Goltz: Bogumil G., Schriftsteller, geb. am 20. März 1801 zu Warschau, wo sein Vater preußischer Staatsgerichtsdirector war und ein kleines Gut Lißewo bei Thorn bewirthschaftete, welches frühe unserem in den praktischen Geheimnissen der Landwirthschaft nicht allzuerfahrenen Dichter anheimfiel. Leicht begreiflich wollte es ihm, der sich zu allerlei Studien hingezogen fühlte und zu Breslau etwas Philosophie und Theologie gekostet hatte, mit der rationellen Schafszucht und Agricultur nicht glücken. Er verkaufte den Landbesitz und versuchte es mit Pachtungen; es ging noch weniger. Endlich gab er 1846 den Ackerbau ganz auf und siedelte sich in Thorn, „der Stadt des Copernicus“ an, griff zur Feder und erwarb sich damit schnell einen geachteten vielgenannten Namen. Von hier aus unternahm er Reisen durch verschiedene Theile Europa’s, 1849 auch nach Aegypten. Von den jeweiligen Fahrten heimgekehrt, schrieb er unter den baroksten Titeln wundersame Bücher, in denen er die Ergebnisse seiner feinfühligen, scharfäugigen Beobachtungen niederlegte und unter einer Springfluth von Worthäufungen und einem inhaltreichen Redeschwall schriftstellerisch verwerthete. Praktische Lebensphilosophie, schöngeistige Wissenschaftlichkeit, „Menschen und Dinge“, kurz alle möglichen und unmöglichen Themata werden unter der vollen Begleitung eines redekünstlerischen Orchesters durchgesprochen, wozu der Witz in einem Ballet von humoristischen Verschlingungen seine anmuthigen Capriolen schlägt, indeß ein [354] romantisches Feuerwerk mit satyrischen Illuminationen und poetischen Papierlaternen abgepufft wird. Wo er auf seinen Wanderzügen erschien, überraschte und verblüffte er mit geplanten oder extemporisirten Vorlesungen, welche nicht selten zu fesselnden, immer neuen, sprudelnden socratischen Paroxismen anschwollen, bis der wunderliche Mann, welcher stundenlang und ausschließend das Wort geführt hatte, mit herzlichem Dank für die ihm gewährte köstliche Unterhaltung ebenso schnell wieder verschwand als er gekommen war. Kein Dichter der neueren Zeit hat den glänzenden Schatz seines reichen Geistes mit also freigebiger Hand immerdar unerschöpflich ausgestreut wie Jean Paul Richter, Clemens Brentano und unser meist gleich formloser und nur von momentanem Drang der Eingebung getragener G. Zu seinen besten Schöpfungen gehört das „Buch der Kindheit“, Frankfurt 1847 (neue Aufl. 1854 und 1878), wo er die frühesten Eindrücke in möglichst künstlerischer Gestaltung wiedergibt, z. B. die Porträts seiner Eltern und anderer seltsamer Menschen, drollige und nette Charaktere; als echter Dichter sieht er überall wahre Wunder, wo der hausbackene Verstand nur Heu, Stroh und Kartoffeln gewahrt. Noch trefflicher ist sein dreibändiges „Jugendleben“ (Leipzig 1852 und öfter, neueste Aufl. 1878), welches er selbst ein „Biographisches Idyll aus Westpreußen“ nannte. Die Schilderung des drolligen, redseligen Schwiegervaters und dessen sanfter Frau nebst seiner holdseligen Braut, dazu die kleinen Aventüren des Landlebens sind mit großer Meisterschaft entworfen; einzelne Scenen von unerreichter Frische, Farbe und Heiterkeit. Die volle Prächtigkeit seiner Darstellung, aber auch die ganze Untugend seiner nach endlosen Pleonasmen haschenden Suada gipfelt in dem Buche: „Der Kleinstädter in Aegypten“, Berlin (1853 ff., 1878), worin er die Erlebnisse seiner Reise nach dem Lande der Pharaonen niederlegte. Die Schreibweise unseres G. erreicht ihre Manierirtheit; seine eigensinnige Muse gaukelt in allen Untugenden ihres schillernden Geistes. Er thürmt Beiwörter aufeinander, erfindet neue, zeilenlange Substantivbildungen, deren Sinn und Bedeutung der Leser erst langsam enträthseln muß, er handhabt einen den ärztlichen Recepten des vorigen Jahrhunderts vergleichbaren Styl, nach welchen zwanzig und dreißig einander diametral verschiedene Medicamente in ein heilkräftiges Tränklein zusammengepanscht wurden. G. macht Bandwurmperioden und wahre Akrobatenkünste mit Satzbildungen; erreicht damit freilich oft den überraschendsten Eindruck der Fremdartigkeit, ermüdet aber doch bald den Leser, der hinter dem Wortgeklingel endlich das Absichtliche merkt. Von seinen übrigen Schriften erwähnen wir: „Deutsche Entartung in der lichtfreundlichen und modernen Lebensart“, Frankf. 1847. – „Das Menschendasein in seinen weltewigen Zügen und Zeichen“, 1850. 2 Bde. – „Der Mensch und die Leute. Zur Charakteristik[WS 1] der barbar. und civilisirten Nationen“, Berlin 1858. – Zur Charakteristik und Naturgeschichte der Frauen“, 1858. 1863. – „Zur Charakteristik des Volkes“, 1859. – „Exacte Menschenkenntniß in Studien und Stereoskopen“, 1860. – „Das Kneipen und die Kneip-Genies“, Berlin 1866. – „Vorlesungen“, Berlin 1869. 2 Bde. (1. Bd.: Die Ehestand-Candidaten. Vergleichende Charakteristik der Männer und Frauen. 2. Bd.: Shakespeare’s Genius und die Tragödie Hamlet. Kindheit, Jugend, Alter. Das Märchen). – „Die Weltklugheit und die Lebensweisheit mit ihren correspondirenden Studien“, Berlin 1869. – „Hinter den Feigenblättern. Eine Umgangsphilosopie“. – „Typen der Gesellschaft, ein Complimentirbuch ohne Complimente“ etc. G. war wirklich „ein gedankengequälter Geist“, der erst nach langen, körperlichen Leiden zur Ruhe kam; er starb am 12. November 1870 zu Thorn. Mit den von ihm verschleuderten Geistesfunken hätten ein Halbdutzend anderer Menschen immerhin ein hübsches Geschäft begründet, hätten sich bei einiger Industrie und Vorsicht rühmlich hervorgethan [355] und wären am Ende gar noch „deutsche Classiker“ und in Miniaturausgaben unsterblich geworden. Bei Goltz fehlte Maß und Form, der Alles verbindende klare Faden; wo sich aber in dieser wuchernden Urwaldwildniß des Geistes eine sonnige Insel aufthut, da spiegelt sich auch gleich eine wahre Paradiesesherrlichkeit. Sein Unglück war die Ueberfülle seines Geistes und seiner Kraft; sein größter Fehler, daß er damit nie haushälterisch zu Werke ging. Sein Porträt ist in Nr. 1246 der Illustr. Ztg. Leipzig 1867 enthalten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Charakeristik