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Artikel „Gobat, Samuel“ von F. Zeller. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 413–416, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gobat,_Samuel&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 04:19 Uhr UTC)
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Gobat: Samuel G. ist am 26. Januar 1799 als einfacher Leute Kind in Crémine, einem kleinen Dörfchen der französischen Schweiz geboren. Tief und nachhaltig war der Einfluß der schlichten Frömmigkeit der Eltern, besonders der Mutter. Der frühreife und hochbegabte Knabe hatte eine Zeit religiöser Zweifel und jugendlichen Leichtsinns durchzumachen, die aber mit einer raschen und entscheidenden Bekehrung endigte. 1820 trat er in das Basler Missionshaus ein. Mit leidenschaftlichem Eifer ging der nun einundzwanzigjährige daran, die Lücken seiner Schulbildung auszufüllen. Es spricht für die ungewöhnliche geistige Begabung des jungen Missionszöglings, daß er, der bis zu seinem 20. Jahre nur französisch gesprochen hatte, in zwei und ein halb Jahren deutsch, lateinisch, griechisch, hebräisch und die Anfangsgründe des Englischen bewältigte. Anfangs November 1823 begab er sich nach Paris, um dort die arabische Sprache bei dem bekannten Orientalisten Baron de Sacy zu lernen. Bis Ende October 1824 blieb er in Paris und hatte in dieser Zeit solche Fortschritte gemacht, daß er, wie er selbst sagt, damals schon den Koran fast ebenso gut verstand, wie die Bibel in seiner Muttersprache. Zugleich wurde damals sein Interesse für die Judenmission geweckt, so daß sein Aufenthalt in Paris ihn in ganz besonderem Maße für den Beruf, den er später ausfüllen sollte, vorbildete. Im Februar 1825 beschloß das Basler Missionscomité ihn nach England zu schicken; er empfing vor seiner Abreise die Ordination in der unirten badischen Landeskirche. Sieben Monate blieb er in London in dem Missionshaus zu Islington. Dann wurde er anfangs 1826 ausgesandt, um zunächst nach Malta und dann weiterhin nach Palästina und Aegypten zu gehen und eine von der englisch-kirchlichen Missionsgesellschaft ins Auge gefaßte Missionsexpedition nach Abyssinien vorzubereiten. Nach einer Reise durch Syrien und Palästina wurde er October 1827 in Aegypten (Cairo) stationirt, wo er bis 1829 mit großem Erfolg Missionsarbeit trieb. Am 22. October 1829 trat er mit Schriften in abyssinischer und äthiopischer Sprache reichlich versehen, die Reise nach Abyssinien an. Am 25. März 1830 traf er in Gondar, der Hauptstadt Abyssiniens ein – der erste Europäer, der in neuerer Zeit bis in das Herz Abyssiniens gelangt war. Bei aller Verkommenheit der abyssinischen Kirche, bei aller Unwissenheit der Priesterschaft und dem Aberglauben des in den erstarrten Formen eines erstorbenen Christenthums gebundenen Volkes fand G. doch eine Fülle von Anknüpfungspunkten für die evangelistische Predigt vor: eine unbedingte Achtung vor dem freilich nur sehr unvollkommen erkannten Schriftwort, eine große Neigung religiöse, vielfach allerdings auch metaphysische und spitzfindige theologische Fragen zu erörtern, auch eine gewisse Erkenntniß der abyssinischen Christen von dem traurigen Zustande ihrer kirchlichen Verhältnisse und ein Verlangen nach einer gründlichen Verbesserung und Erneuerung derselben. Diese Zeit seines ersten Aufenthaltes hat G. immer für die schönste und erfolgreichste Zeit seines ganzen langen Missionslebens angesehen. Nach einem sechsmonatlichen Aufenthalte trat er die Rückreise nach Adigrad an, mit der Absicht, bald zurückzukehren, um sich mit einem Gehilfen und ausreichenden Hilfsmitteln dauernd dort [414] niederzulassen. Vor seiner Abreise wurde von einflußreichen Leuten, Geistlichen und Laien eine große Versammlung einberufen, um die Nothwendigkeit einer Reformation ihrer Kirche zu berathen, von der zugleich eine Reform der ganzen Nation erwartet wurde. Nachdem eine Reihe von Reformvorschlägen Gobat’s berathen und angenommen waren, tauchte sogar der Gedanke auf, G. selbst zum Landesbischof zu wählen. Die großen Hoffnungen, mit denen er damals Gondar verließ, haben sich nicht verwirklicht. Auf der Heimreise gerieth er in die Wirren eines furchtbaren, zwischen mehreren abyssinischen Großen geführten, Krieges, wobei er unter großen Entbehrungen und mehrmaliger Todesgefahr in einem abgelegenen unzugänglichen Kloster eine Zufluchtsstätte fand, in der er nahezu ein und ein halb Jahr bleiben mußte. Um die Mitte des Jahres 1833 traf er in Europa wieder ein; die nächsten Jahre, die er nach den unerhörten Strapazen seiner angegriffenen Gesundheit widmen mußte, verwendete er zu zahlreichen Vortragsreisen in England und in Deutschland, wo er besonders in Württemberg großes Aufsehen erregte und der Anerkennung der Heidenmission in den kirchlichen Kreisen die Bahn brechen half. Von Bedeutung für seine spätere Laufbahn ist es ohne Zweifel gewesen, daß er damals mit mehreren Mitgliedern des württembergischen Königshauses bekannt wurde. Außerdem beschäftigte er sich mit der Bearbeitung seines, während seines Aufenthaltes in Abyssinien mit großer Treue geführten Tagebuches, das 1834 unter dem Titel: „Journal of a three years residence in Abyssinia“ durch die Ch. M. S. herausgegeben wurde. Am 23. Mai verheirathete er sich mit Maria Zeller, einer Tochter des bekannten Pädagogen und Begründers der Beuggener Anstalten, Chr. Heinr. Zeller; und trat dann im Juni 1834 mit der muthigen jungen Frau die Reise nach Abyssinien an. Aber über dieser von den heimischen Missionsgemeinden mit der wärmsten Theilnahme und den größten Erwartungen begleiteten Reise, waltete von Anfang an ein eigenthümliches Mißgeschick. Schon die Reise bis Adowa war außerordentlich schwierig und leidensreich gewesen. Dort angekommen, erkrankte er so schwer, daß er neun Monate lang das Bett nicht verlassen konnte. Während dieser Zeit wurde sein erstes Kind geboren. Dann erkrankte seine junge Frau an der Cholera und wurde nur wie durch ein Wunder gerettet. So wurde G. genöthigt, im Herbst 1836 zu einem Erholungsaufenthalte nach Aegypten zurückzukehren. Trotz seines lebhaften Wunsches, noch einen Versuch zu machen, nach Abyssinien und speciell nach Gondar zu gelangen, mußte G. sich dazu entschließen, seiner geschwächten Gesundheit wegen nach Europa zurückzukehren. Nun traten einige Jahre des Harrens ein, während deren G. durch Wort und Schrift im Dienste der Ch. M. S. und gleichzeitig der Basler Missionsgesellschaft der Missionssache diente. Der Auftrag dieser Missionsgesellschaften führte ihn auch nach Palästina, zu den Drusen auf den Libanon und nach Malta. 1845 wurde er von dem König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen zum Bischof des anglikanisch-preußischen Bisthums in Jerusalem ernannt.

Das Jerusalemer Bisthum: Das Jahr 1838 mit seinen bedeutungsvollen Ereignissen hatte die Blicke Europas auf die Türkei gelenkt. In dem Kriege mit dem mächtigen Vasallenstaate Aegypten hatte die Türkei den kürzeren gezogen. Die Schlacht bei Nisib 1839 hatte die türkische Landmacht gebrochen, die Flotte war abgefallen. Hülfeflehend hatte sich die Pforte an die europäischen Großmächte gewandt, im Hattischerif von Gülhane weitgehende Reformen zu Gunsten der christlichen Unterthanen der Osmanen versprochen. Die Mächte, entschlossen, der Türkei beizustehen, um einem allgemeinen orientalischen Kriege vorzubeugen, konnten sich nicht verhehlen, daß ein solches Eingreifen zu Gunsten der Türken christlichen Mächten ernste Verantwortung für [415] die christliche Bevölkerung auferlege. Am stärksten vielleicht empfand diese Verantwortung der ideal gesinnte geistvolle und tiefreligiöse König von Preußen, der damals eben den Thron bestiegen hatte. Der Augenblick, in dem England, Rußland, Oesterreich und Preußen die Quadrupelallianz schlossen, um Mehemed Ali zurückzudrängen, und die Türkei zu retten, schien in hohem Maße günstig für den Erfolg christlicher Verwendungen und Vorstellungen bei der Pforte zu Gunsten der orientalischen Christen. Außerdem schwebte dem Könige der Gedanke vor, daß die Gelegenheit, dem sich emporarbeitenden deutschen Handel feste Stützpunkte zu gewinnen, und durch Begründung wissenschaftlicher Institute im Morgenlande dem deutschen Forschungstrieb Förderung und feste Richtung zu geben, nicht vorübergelassen werden dürfe. Bei der ganzen Geistesart des Königs ist es einleuchtend, daß er sich als Mittelpunkt aller solcher Bestrebungen, wenn sie lebenskräftig und zugleich von einer segensreichen Wirkung für die Bewohner jener Länder sein sollten, ein christlich-religiöses Institut denken mußte. Wenn der König nach dem damaligen Stand der Machtverhältnisse nach einem Stützpunkt für seine Bestrebungen zu suchen genöthigt war, so konnte er ihn nur bei England finden. Nach längeren Verhandlungen, die von preußischer Seite durch den Gesandten Chevalier v. Bunsen geführt wurden, kam die Gründung des anglikanischen Bisthums zu Stande. Der Bischof sollte dem Erzbischof von Canterbury unterstellt und in England geweiht werden, die Ernennung abwechselnd von der englischen und preußischen Krone geschehen. Evangelische Geistliche aus Deutschland sollten unter der Oberaufsicht des Bischofs die deutsche Gemeinde bedienen und abwechselnd ihre Gottesdienste in derselben Kirche wie die anglikanischen Christen feiern. Durch dieses evangelische Bisthum war eine gemeinsame Vertretung der protestantischen Interessen ermöglicht. Am 6. September 1841 unterzeichnete der König die Dotationsurkunde für das neue Bisthum, wonach er die Hälfte des erforderlichen Fonds in der Höhe von 15 000 ₤ bewilligte. Die Einigung war nicht zu Stande gekommen im Sinne einer Verschmelzung der preußischen Landeskirche mit der anglikanischen, sondern das Bisthum war ein anglikanisches; es sollten aber einestheils die deutschen Gemeinden unter voller Wahrung ihrer nationalen und kirchlichen Selbständigkeit unter der Oberleitung des Bischofs stehen, andererseits sollte der Bischof gehalten sein, sich der Interessen dieser Gemeinden in vollem Umfange anzunehmen. Am 6. November 1841 erhielt die Parlamentsacte zur Errichtung eines Bischofssitzes in Jerusalem die Genehmigung der Königin Victoria. Am Tag darauf wurde der zum ersten Bischof ernannte Proselyt Alexander von dem Erzbischof von Canterbury geweiht und langte am 21. Januar 1842 in Jerusalem an. Die Türken beeilten sich, dem neuen Bischof die üblichen Ehren zu erweisen, dem griechischen und armenischen Patriarchen wurden Empfehlungsschreiben des englischen Primas überreicht. Die Arbeit war schwierig; der Bau der protestantischen Kirche aufgehalten. Erst 1845 gelang es, den Sultan dazu zu bewegen, die Fortsetzung des Baues zu genehmigen. Aber schon 1845 starb Bischof Alexander. Nun war die Reihe, den Bischof zu ernennen an dem König von Preußen; seine Wahl fiel auf G. Diese Wahl muß als eine nach jeder Hinsicht glückliche bezeichnet werden. G. stand als Schweizer den beiden Nationen, die er zu vertreten hatte, objectiv gegenüber; dabei war er durch seine langjährigen Beziehungen zu der englischen Mission und seine wiederholten langen Besuche mit den englischen Verhältnissen vollkommen vertraut; andererseits war er durch seine Frau und deren verwandtschaftliche Beziehungen mit Deutschland aufs engste verbunden. Seine Ausbildung war durch Vermittlung des Basler Missionshauses eine deutsche; seine in Baden, also einer deutschen Landeskirche vollzogene [416] Ordination hatte er immer sehr hoch geschätzt. Die drei wichtigsten Cultursprachen, das Deutsche, Englische und Französische beherrschte er vollständig, ebenso das Arabische; Italienisch war ihm nicht fremd, in den alten Sprachen war er wohl unterrichtet; ebenso hatte er gründliche Kenntnisse des Amharischen und Aethiopischen. Dabei war er durch seine persönlichen religiösen Erfahrungen vor einer allzu großen Hinneigung zum englischen Hochkirchenthum gefeit. Dr. Rosen, lange Jahre preußischer Consul in Jerusalem, urtheilt über Gobat’s Persönlichkeit: „G. hat während seines 30jährigen Aufenthaltes in der heiligen Stadt nicht bloß für die protestantischen, sondern für alle Bewohner derselben als leuchtendes Vorbild eines echt christlichen Wandels dagestanden. Er war in irdischen Dingen von makelloser Rechtschaffenheit, leutselig gegen jedermann, besonders ein väterlicher Freund und Berather der Armen, von sorgfältigster Wahrhaftigkeit im Umgang, gastfrei, aller Eitelkeit abhold, ein treuliebender Gatte und Vater. Er ließ sich nie vom Augenblick, auch nicht dem Augenblick des Erfolges, hinreißen; vielmehr handelte er immer methodisch nach gewissenhaft erwogenen Grundsätzen, wie er denn auch die christliche Lebensweisheit gern als das Ideal für den in den Stürmen des Erdendaseins ringenden hinstellte.“ Mehr als 30 Jahre lang hat G. sein schweres Amt verwaltet und das jerusalemitische Bisthum ist mit seinem Namen für immer verknüpft. Mag auch dem rückschauenden Blick jene ganze Schöpfung als ein Irrtum erscheinen und mögen die historischen Entwicklungen, die man damals nicht vorauszusehen vermochte, ein Verhältniß, wie es in jenem Bisthum gedacht war, zwischen Engländern und Deutschen unhaltbar gemacht haben, so ist doch zweifellos durch die Art und Weise wie er sein Amt auffaßte und führte, für die evangelische Mission in Palästina und den Culturfortschritt im heiligen Lande ein reicher Segen erwachsen. Fast alles, was an englischen und deutschen evangelischen Missions- und Wohlfahrtseinrichtungen vorhanden, ist irgendwie auf Gobat’s Thätigkeit und Anregung zurückzuführen. Die Gründung der heute bestehenden protestantischen Gemeinden, die ca. 2100 Seelen stark sind, die Niederlassung der Kaiserswerther Diakonissen in Talithakumi, die Schneller’schen Anstalten, die englische Zionsschule, das Ueberziehen des Landes mit einem Netz von Schulen, eine Druckerei und ein Lehrerseminar, schließlich die Uebernahme der von G. gegründeten Gemeinden durch die leistungsfähige und gesunde evangelische Ch. M. S., die jetzt einen Stab von zwölf Missionaren und 45 Missionarinnen, drei Missionsärzten, zehn eingeborenen Geistlichen auf zehn Stationen hat, sind die bleibenden Früchte von Gobat’s Thätigkeit. Von den hochkirchlichen Kreisen in England viel angefeindet, hat er in den eigentlich englischen Missionskreisen immer viele treue Freunde gehabt. Ebenso ist ihm der deutsche und schweizerische Missionskreis immer treu geblieben. Am 11. Mai 1879 ist er im Alter von 80 Jahren gestorben.

F. Zeller.