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Artikel „Ghelen, van“ von Heinrich Kábdebo in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 141–143, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ghelen,_van&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 06:22 Uhr UTC)
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Ghelen: van G., österreichische Buchdruckerfamilie. Obwol die G. schon im 16. Jahrhunderte in Antwerpen das Buchdruckergewerbe ausübten, waren die Vorfahren der österreichischen G. Staatsbeamte, welche unter Kaiser Leopold I. sich hier ansiedelten und von welchen wieder ein Zweig später das Juwelier- und Geldwechslergeschäft betrieb. Jacob v. G., ein Sohn des Jeremias v. G. und der Anna Drabbe, war in Wien Juwelier und Agent; sein Sohn Johann v. G., der Begründer der Druckerei, welche nachmals die bedeutendste des österreichischen Staates wurde. Johann v. G. war zu Wien im 1645 geboren und vermählte sich dann am 28. Febr. 1672 mit Elisabeth (geb. 1657, † 1733), der Tochter des reichen Wiener Goldschmiedes de la Fontaine. Durch diese Verehelichung gelangte er in den Besitz eines bedeutenden Vermögens, und, speculativ, wie er sich stets zeigte, kaufte er nun eine hier bestehende Druckerei, zu deren Einrichtung er ein eigenes Haus am Kohlmarkte erwarb. Er suchte sich einen speciellen Kundenkreis zu schaffen und sich besonders mit Hofkreisen in Verbindung zu setzen. Die damalige Hofsprache war bekanntlich die italienische; die Hofpoeten dichteten, die Sänger sangen im italienischen Idiom. G. war klug genug, diese Thatsache für sich auszunutzen und gründete eine vollkommene italienische Buchdruckerei in seinem Hause, in welcher italienische Setzer und Correctoren thätig waren; er selbst hatte diese Sprache vollkommen in seiner Gewalt. Seine Berechnung war keine unrichtige; er erhielt bald die Texte der damaligen Opernvorstellungen zum Drucke und erfreute sich auch der Gunst des Hofes. Durch seine Verbindungen gelang es ihm, auch bald von der Artistenfacultät der Wiener Akademie das Diplom eines Universitäts-Buchdruckers zu erhalten. Seine Bestrebungen waren übrigens sehr anerkennungswerth, denn er hatte hübsche Antiqualettern aus Italien und Frankreich kommen lassen und verwendete auch treffliches Papier für seinen Verlag. Dieser bestand zumeist aus Operntexten, Kalendarien und Privilegien u. d. m. Im J. 1683, als die Türken die Stadt bedrohten, stand auch er, gleich seinen Mitgenossen, in der Reihe der Vertheidiger und seinen scharfen Beobachtungen verdanken wir ein sehr reiches Quellenwerk zur Geschichte dieses Ereignisses. Er schrieb nämlich im J. 1684 eine „Kurtze doch warhaffte und mit denkwürdigen Umständen verfaßte Erzählung der im Juli 1683 von dem Erbfeind vorgenommenen Welterschallenen Belagerung von … Wien“. Schon zur Zeit des Erscheinens galt das Büchlein für eine inhaltsreiche Darstellung; sie wurde in Venedig ins Italienische und in Brüssel ins Französische übersetzt; er selbst druckte dann nach der venetianer [142] Ausgabe in seiner Officin die italienische Uebertragung. Vermuthlich in Folge dieses patriotischen Unternehmens und seiner Verdienste überhaupt ernannte ihn der Kaiser um diese Zeit zum kaiserl. italienischen Hofbuchdrucker; in seinem 54. Jahre, 1699, übergab er das Geschäft seinem Sohn und lebte bis zu seinem am 13. Mai 1721 erfolgten Tode theils in Wien, theils auf seinem Landgute. Die Gründung der ersten Wiener Zeitung und das Verhältniß zum „Wiener Diarium“ anlangend, traf ich auf ganz andere Thatsachen, als sie bisher angegeben wurden. In Wien erschienen geschriebene Zeitungen schon um das J. 1650; im J. 1671 aber erschien hier das erste gedruckte Blatt: „Das Wiener Blattl“ und durch ein kaiserliches Patent wurden nun alle geschriebenen Zeitungen entschieden verboten. Wann dieses Wiener Blättchen wieder einging, ist ungewiß, doch vermuthlich um das J. 1678, denn am 5. Nov. 1678 erhielt Johann v. G. ein kaiserliches Privilegium zur Herausgabe einer deutschen und einer lateinisch-italienischen Zeitung, welches Privilegium dann 1699 auf seinen Sohn überging; das Blatt erschien unter dem Titel: „Mercurius“.

Johann Peter v. G., der Sohn, wurde zu Wien im J. 1673 geboren. Als er das Geschäft übernahm, suchte er seine Officin zu heben, trat eine Reise an, um sich zu bilden und brachte verschiedene neue Einrichtungen von derselben mit nach Hause. Um das J. 1703 vermählte er sich mit Francisca (geb. 1683, † 1754), Tochter des Banquiers Adami, und führte dadurch seinem Hause große Capitalien zu. Das Geschäft erweiterte sich immer mehr, schon im J. 1715 mußte er ein zweites Haus (zum rothen Igel, am Wildpretmarkte) für seine Officin ankaufen. Das Zeitungsblatt hatte mittlerweile eine gefährliche Concurrenz erhalten. Der k. k. Reichshofbuchdrucker Joh. Bapt. Schönwetter gründete nämlich im J. 1703 ein Blatt, das alle Wochen zwei Mal erschien: das Wiener Diarium. Diese Zeitung hatte dadurch eine officiöse Färbung, daß ihr von der Regierung die aus dem Auslande eingelangten Nachrichten, dann die Hof- und Regierungsereignisse zur Publication übergeben wurden; außerdem brachte sie noch die Verzeichnisse aller Geburten, Todesfälle und Verehelichungen. G. erkannte nun die Bedeutung eines mit den Hof- und Regierungskreisen so vertrauten Unternehmens und deshalb suchte er das Diarium zu erwerben. Am 1. Januar 1721 ging das Wiener Diarium in Besitz der Ghelen’s über, in deren Verlag es dann bis zum J. 1858 fortverblieb. Das zweite Blatt der Firma, der Mercurius, ging im J. 1724 ein. Die Officin des G. erweiterte sich nun neuerdings, sie war in der Folge die bedeutendste, druckte und verlegte hauptsächlich Gelegenheitsschriften, und zeichnet sich stets durch ihre typographischen Leistungen aus. Im Zustande der vollsten Blüthe übernahm nach dem Tode Ghelen’s, den 19. Sept. 1754, dessen Sohn Jakob das Geschäft. Kaiserin Maria Theresia ehrte die Bestrebungen der Firma und erhob dessen Chef in den erbländischen Adel. Der Verlag Ghelen’s ward nun allerdings immer geringer, denn mit der Hebung des politischen Staatswesens wuchs auch das Unternehmen der Zeitung und endlich erforderte es ausschließlich alle Kräfte der Officin, wie es aber auch die einzige Einnahmequelle der Firma blieb. Als nun unter Kaiser Joseph II. die allgemeine Preßfreiheit eingeführt wurde, und die Zeitschriften wie Pilze aus der Erde schossen, ein freierer Geist auch die Tageslitteratur beseelte, da konnte das Wiener Diarium mit seinen trockenen Regierungsberichten und der Nomenclatur aller Civilstandsnachrichten wenig Leser mehr befriedigen, und dessen bewußt, bemerkt es eines Tages ärgerlich an der Spitze des Blattes:

Den Damen und den süßen Herren,
Die ob der eignen Schönheit staunend, wie die Affen,
Zu ganzen Vormittagen gern
In grossen Spiegeln sich begaffen,
Den steht, zur Noth, wohl ein Roman,
Nicht aber unsre Zeitung an.

[143] Der Kreis der Abnehmer verkleinerte sich immer mehr: als endlich G. starb, traten die weiblichen Erben in Besitz der Druckerei. Es wurde eine Administration eingesetzt, doch das Unternehmen ging immer mehr abwärts. Die Firma hieß nun Ghelen’s Erben, auch das Diarium hatte mittlerweile seinen Titel gegen jenen einer k. k. Wiener Zeitung vertauscht. So fristete sich die Officin fort. Verlag hatte sie gar keinen mehr: die Lettern und technischen Mittel veralteten und wurden zuletzt unbrauchbar, Neuanschaffungen konnten nicht mehr geschehen, die Ausstattung und der Druck wurden also endlich so schlecht, daß sich der Staat genöthigt sah, das amtliche Blatt: die k. k. Wiener Zeitung, in den Verlag der Staatsdruckerei übergehen zu lassen. Durch die Entziehung dieser einzigen Einnahme aber wurde der Fall der Firma unvermeidlich, welcher auch im J. 1858 eintrat.

Nach Acten des Hoffinanz- und des Buchhändler-Archivs. – Wiener Pfarrbücher. – Die Litteratur s. in Wurzbach’s Lexikon V. S. 168. – Das einzige vollständige Exemplar des Wiener Diarium vom J. 1703–1858 ist im Besitze der Wiener Stadtbibliothek.