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Artikel „Fabri, Friedrich Gotthart Karl Ernst“ von Schreiber. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 473–476, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Fabri,_Friedrich&oldid=- (Version vom 8. Dezember 2024, 12:26 Uhr UTC)
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Fabri: Friedrich Gotthart Karl Ernst F., geboren zu Schweinfurt am 12. Juni 1824, † zu Würzburg am 18. Juli 1891. F. war der einzige Sohn des im J. 1866 zu Würzburg als Decan und Kirchenrath verstorbenen Dr. E. F. W. Fabri. Wenn man die von dem Sohne nach dem Tode des Vaters herausgegebenen „Blätter der Erinnerung“ liest, wird man in der dort gegebenen Schilderung des Standpunktes und der Eigenthümlichkeiten des Vaters in vielen bedeutsamen Zügen den Sohn wieder erkennen. Obwol nicht dort geboren, nannte F. doch Würzburg, wo er das Gymnasium besucht und wo er noch lange Jahre sein heiß geliebtes Vaterhaus gehabt hat, seine Vaterstadt. Mit 17 Jahren bezog er die Universität Erlangen, um dort Theologie zu studiren, und kehrte auch, nachdem er zwischendurch ein Jahr in Berlin gewesen war, eben dahin zurück, um sein Studium zu vollenden. Unter seinen Lehrern hat keiner größeren Einfluß auf ihn gehabt, als der Theosoph E. A. v. Schaden. F. ist sein Leben lang ein echter biblischer Theosoph geblieben, der aber ein offenes Auge und einen tiefen Blick für alle seine Zeit bewegenden Richtungen und Erscheinungen besaß und der sich berufen fühlte, nach allen Seiten hin mit seiner wahrhaft tiefen, edlen Weisheit seinen Mitmenschen zu dienen. Er war ein durch und durch edler, großartig angelegter Charakter, sehr liebenswürdig, wenn auch dabei zurückhaltend, ein Mann der Freiheit und voll Glauben an die Macht der christlichen Wahrheit, die er aber weniger in den Bekenntnissen als in der h. Schrift fand; ein Mann voll Mitleid mit allen Unterdrückten und allezeit bereit den Elenden, die sich an ihn wandten, zu helfen, wenn er auch noch so oft von unehrlichen Leuten betrogen wurde; voll Liebe für sein Vaterland und für seine Kirche und auch bereit, mannhaft und öffentlich dafür einzutreten, aber dabei ein Feind allen Parteiwesens und Parteigetriebes; da er selbst immer über den Parteien zu stehen suchte, gern bereit, auch bei den Gegnern alle Wahrheitsmomente anzuerkennen, und überall bemüht zum Frieden zu reden und Verständigung zwischen den Parteien in Kirche und Staat herbeizuführen.

Er ist ein überaus fruchtbarer und vielseitiger Schriftsteller gewesen, und zwar hat er zumeist Broschüren geschrieben, von denen aber etliche bedeutenden Umfang haben. Schon als Stadtvicar in Würzburg gab er eine kleine Schrift über einige „Nothstände in der bairischen Kirche“ heraus, und in dem Jahre 1854, nachdem er 1851 Pfarrer in Bonnland bei Würzburg geworden war und sich auch verheirathet hatte (mit Henriette Brandt aus der Provinz Hannover), ein Schriftchen über „Kirchenzucht in Sinn und Geist des Evangeliums“. Hier tritt schon seine gegen alles gesetzliche Wesen und bloß äußere Zucht gerichtete Stellung deutlich hervor. Er pflegte zu sagen: „Das Gesetz [474] richtet nur Zorn an, das gilt auch in der Erziehung, wie vielmehr in der Kirchenzucht.“

Im folgenden Jahre 1855 erschien das Buch, welches ihn zuerst in ganz Deutschland bekannt, ja berühmt gemacht hat: „Briefe gegen den Materialismus“. In dieser mehr philosophischen als theologischen Schrift bekämpft er den Materialismus in allen seinen Vertretern wegen seiner mangelnden wissenschaftlichen Begründung. Diese Schrift und die Empfehlung seines Freundes Prof. Auberlen in Basel war die Veranlassung, daß er im J. 1857 einen Ruf als Missionsinspector der Rheinischen Mission nach Barmen erhielt, den er auch annahm. Man kann es ihm, dem 33jährigen Manne, nicht übel nehmen, daß er gleich von Anfang an erklärte, er könne sich nicht für sein ganzes Leben an diesen Posten binden. Das entsprach auch nicht seinem Geiste und seinen vielseitigen Anlagen, sich so auf ein beschränktes Gebiet einzuengen, eine Eigenthümlichkeit, die man eben so gut als seine Stärke wie als seine Schwäche bezeichnen kann.

27 Jahre ist er in dieser Stellung eines Missionsinspectors in Barmen geblieben und gerade als Missionsmann hat er unbedingt das Großartigste geleistet und am meisten Befriedigung von dieser seiner Thätigkeit gehabt. Für die rheinische Mission war es ein wahrer Segen, daß gerade solch ein weitherziger und weitblickender Mann wie F. die Leitung übernahm, der vermöge seines theosophischen Standpunktes über den confessionellen Parteien stand, und dabei vermöge seiner ganzen Geistesart es außerordentlich gut verstand, mit allen Leuten aufs beste auszukommen. Nur ein solcher Mann konnte den drohenden Riß, an dem so leicht die aufblühende Gesellschaft hätte zu Grunde gehen können, verhüten und die Parteien durch ein weises Abkommen dauernd zu gemeinsamer segensreicher Arbeit verbinden. Neben diesem größten Verdienst um die Rheinische Mission hat er ihr aber noch viele andere sehr wichtige Dienste geleistet. Er sorgte für eine ansehnliche Vergrößerung des Missionshauses wie für eine sehr bedeutende Erweiterung der Vorbildung der Zöglinge, die bis dahin gar keine alten Sprachen gelernt hatten, von nun an aber zu allererst eine der Gymnasialbildung fast adäquate Vorbildung erhalten sollten. Er verstand es als Hausvater und Lehrer in freier Weise die Zöglinge zu regieren, sie mit hohen Ideen und weitem Blick auszurüsten und dabei doch vermöge seiner imponirenden Persönlichkeit nicht nur stets in den rechten Schranken zu halten, sondern sie zugleich auch für das Werk und für ihn, ihren Lehrer zu begeistern; er drang darauf, daß man es jedem Missionar gestattete, sich so viel als möglich in seiner Eigenschaft auszuleben und auszuwirken, während auf jedem Gebiete draußen durch den fest ausgebildeten Conferenzverband dafür gesorgt wurde, daß diese Freiheit des Einzelnen doch die gedeihliche Entwicklung der ganzen Arbeit nicht gefährde; er wußte durch regelmäßige Rundschreiben an alle Missionare dieselben über alle wichtigen Vorkommnisse im politischen und kirchlichen Leben auf dem Laufenden zu erhalten. Er gab der Rheinischen Mission auch eine ganz neue Verfassung durch ein neues Statut, durch welches namentlich auch das Verhältniß der Gesellschaft zu ihren Hülfsgesellschaften erst recht geordnet und die Generalversammlung als oberste Instanz fest gestaltet wurde. So wuchs unter seiner Leitung die Rheinische Mission daheim und draußen in sehr erfreulicher Weise, wobei freilich die Leistungen der verbundenen Freundeskreise oft mit solchem Wachsthum in ihren Gaben nicht rechten Schritt halten konnten, so daß oft Deficits entstanden. Zu gleicher Zeit erwarb er sich um die Missionssache überhaupt bedeutende Verdienste. In der ersten Zeit seiner Thätigkeit in der Mission schrieb er zwei bedeutsame Schriften. Die erste (1859) handelt: „Von der [475] Entstehung des Heidenthums und der Aufgabe der Heidenmission“, die zweite (1861) „Von dem sensus communis als dem Organ der Offenbarung Gottes in allen Menschen“. Außerdem gründete er die Continentale Missionsconferenz in Bremen, welche dort 1866 zum ersten Mal zusammentrat, um über alle wichtigen Fragen der Missionsarbeit eine Verständigung unter den Leitern aller evangelischen Gesellschaften auf dem Continent herbeizuführen. Ein ganz besonderes Interesse hatte er für den Orient und die orientalischen Kirchen. Dem entsprechend nahm er ins Missionshaus eine Reihe von jungen Griechen auf, unter denen einer, Marulis, sein ganz besonderer Freund wurde, mit dessen Hülfe er die griechische Kirche von innen heraus zu reformiren hoffte. Jahre lang hat er die dahin zielende Arbeit Marulis’, der in Seres ein Lehrerseminar und andere Anstalten errichtete, so zu sagen allein zu unterhalten gewußt. Später gründete er mehrere besondere Comités, die ihm dabei behülflich sein sollten, in Deutschland, der Schweiz und in Holland. Schließlich kam es aber leider zu einem Zerwürfniß zwischen F. und Marulis.

Entsprechend seiner dominirenden Stellung im Wupperthal organisirte er die sogenannte „Wupperthaler Festwoche“, in welcher freilich das Missionsfest mit der Abordnung der Missionare den Mittelpunkt ausmachte. 1865 gründete er mit Dr. Borchard zusammen ein Comité „für die protestantischen Deutschen in Brasilien“, aus welchem sich mit der Zeit die „Evangelische Gesellschaft für die protestantischen Deutschen in Amerika“ bildete, deren Leiter F. gleichfalls bis zu seinem Tode war.

Daneben hat er aber während seines Barmer Aufenthaltes eine vielseitige und weitreichende sonstige schriftstellerische Thätigkeit entfaltet. Zuerst ließ er 1860 seine Meinung laut werden „über die neuesten Erweckungen in Amerika, Holland und andern Ländern“, 1861 „über die Erweckungen auf deutschem Boden“ und „über die Wohnungen der Arbeiter“. Sodann auf politischem Gebiete. Den Anfang machte 1863 seine Broschüre: „Die Stellung des Christen zur Politik“, in welcher er von den Pastoren Zurückhaltung in politischen Fragen verlangt und entschieden gegen die Identificirung des Christenthums mit irgend einer politischen Partei protestirt. Die zweite: „Die politischen Ereignisse des Sommers 1866“ sucht Preußens Vorgehen zu rechtfertigen und eine Aussöhnung zwischen Süd- und Norddeutschland anzubahnen, zu welcher er, der geborne Süddeutsche, der jetzt in Norddeutschland ansässig geworden war, sich besonders berufen fühlte. Darauf folgten nach einer zwischenein erschienenen kleinen Abhandlung über „Zeit und Ewigkeit“ eine ganze Reihe kirchenpolitischer Schriften: 1867 „Die politische Lage und die Zukunft der evangelischen Kirche in Deutschland“, in demselben Jahre: „Die Unions- und Verfassungsfrage“. 1872 „Staat und Kirche“. In demselben Jahre noch: „Kirchenpolitisches Credo“. 1874 „Gedanken zur bevorstehenden Generalsynode“. 1876 „Nach der Generalsynode“. Fabri’s Hauptziel in allen diesen Schriften ist größere Freiheit der Kirche von der Herrschaft des Staates und daneben, nicht Centralisation sondern Decentralisation der Kirche und Selbständigkeit in den einzelnen Provinzialkirchen, an deren Spitze nach seiner Meinung je ein Bischof stehen sollte. Für diese seine Pläne, denen er eine große Bedeutung beimaß, suchte er vor der außerordentlichen preußischen Generalsynode von 1875, zu der er auch berufen war, mit aller Macht zu wirken und zu werben. Er hatte auch wirklich alle Aussicht, daß er mit seiner Forderung durchdringen werde, daß man nämlich auf dieser Synode zunächst einmal alle anderen Parteigesichtspunkte fallen lassen sollte, um sich zu dieser einen Forderung größerer Freiheit für die Kirche dem Staat gegenüber zu vereinigen; aber dann mußte er auf der Synode selbst eine arge [476] Enttäuschung erleben und sehen, daß alle seine Bemühungen vergeblich gewesen waren. Auch seine Hoffnung, in das Kirchenregiment berufen zu werden, ging nicht in Erfüllung, ähnlich wie schon 1871 aus seiner Berufung an die Spitze der Kirche im Elsaß doch schließlich nichts geworden war.

Seit dem Jahre 1879 trat er noch auf einem ganz neuen Felde in sehr hervorragender Weise auf. Durch seine langjährige vielfache Beschäftigung mit den überseeischen Ländern und den Auswanderern war er zu der Ueberzeugung gekommen, daß Deutschland durchaus für seine Weiterentfaltung Colonieen nöthig habe. Diese seine Gedanken erschienen 1879 ausgeführt in der Schrift: „Bedarf Deutschland der Kolonien?“, mit welcher er thatsächlich den Anstoß zu der ganzen colonialen Bewegung in Deutschland gegeben hat. Für diese Sache hat er seitdem unermüdlich gewirkt, durch viele Reden auf allen möglichen Versammlungen, sogar im Verein mit Katholiken, durch zahlreiche Leitartikel in der Kölnischen Zeitung, durch vielseitige Correspondenz mit hervorragenden Colonialfreunden und großen Industriellen. 1889 gab er noch eine zweite Broschüre heraus unter dem Titel: „Fünf Jahre Deutscher Kolonialpolitik“. Aber trotz alledem hat er doch thatsächlich mit aller dieser rastlosen Arbeit nicht den Erfolg gehabt, den man ihm hätte wünschen sollen. In den Colonialrath, der eigentlich sein Gedanke war, wurde er nicht einmal als Mitglied, geschweige denn als Vorsitzender berufen; seinen Lieblingsplan, der sich auf deutsche Einwanderung resp. Colonisation in Brasilien bezog, konnte er nicht verwirklichen. Das Alles konnte ihn aber nicht entmuthigen; und so hat seine Thätigkeit gerade auf diesem Gebiete erst mit seinem Tode aufgehört. Sein letzter Vortrag, den er auf der Versammlung des Colonialvereins in Nürnberg wenige Wochen vor seinem Tode hielt, galt der „Bedeutung der Auswanderung“. Es ist sehr zu bedauern, daß er über dieser seiner Thätigkeit in colonialen Angelegenheiten nicht dazu kam, seine Pläne betreffs zweier theologischer Werke auszuführen, mit denen er sich seit vielen Jahren getragen hatte, nämlich eines Commentars über die Korintherbriefe und eines Werks über die Lehre vom heiligen Geiste. Ebenso hat er von seiner Ernennung als Honorarprofessor der Universität Bonn kaum Gebrauch gemacht. Vielleicht hätte er von einer solchen Thätigkeit als Theologe mehr Befriedigung gehabt und hätte auch mehr dauernden Nutzen geschaffen. Er hatte schon längere Zeit, ohne es wol selbst recht zu wissen, ein bedenkliches Leiden gehabt. Dasselbe kam nach dem Vortrag in Nürnberg plötzlich zum Ausbruche und machte seinem Leben ganz unerwartet ein Ende. Er starb im Krankenhaus seiner geliebten Vaterstadt. Wie er den Tod niemals gefürchtet hatte, so ging er nun auch demselben im Glauben an seinen Erlöser entgegen.

Schreiber.