Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Etzel, Karl von“ von August Wintterlin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 403–405, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Etzel,_Carl_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 08:49 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Etzel, August von
Band 6 (1877), S. 403–405 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Karl Etzel in der Wikipedia
Karl Etzel in Wikidata
GND-Nummer 104147512
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|6|403|405|Etzel, Karl von|August Wintterlin|ADB:Etzel, Carl von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=104147512}}    

Etzel: Karl (von) E., Eisenbahningenieur und Architekt, geb. zu Heilbronn a. N. den 6. Januar 1812, † den 2. Mai 1865 auf der Eisenbahnstation Kemmelbach bei Linz, war der Sohn des Oberbauraths Eberhard (von) E. (geb. 1784, † 1840), eines um das würtembergische Straßennetz hochverdienten Mannes, dessen Gedächtniß seine Schüler und Freunde durch ein Denkmal an der von ihm erbauten neuen Weinsteige bei Stuttgart geehrt haben. Vom Vater zur Theologie bestimmt, besuchte Karl E. in Stuttgart, wohin die Familie später übersiedelte, das Gymnasium und darauf das niedere evangelische Seminar zu Blaubeuren. Er legte in diesen Anstalten den Grund zu jener umfassenden allgemeinen Bildung, welche ihn vor den meisten seiner Fachgenossen auszeichnete. Mit 18 Jahren sollte er in das Tübinger Stift übergehen, hatte aber inzwischen das Fach seines Vaters so lebendig auch als seinen richtigen Beruf erkannt, daß er es bei demselben durchsetzte, in die Stuttgarter Gewerbeschule (das jetzige Polytechnikum) eintreten zu dürfen. Er genoß dort den Unterricht der Architekten Prof. Heigelin, des Hofbaumeisters Prof. Thouret und des Oberbauraths Fischer. Zu Hause leitete der Vater, dem als Ministerialreferenten für das Straßen-, Brücken- und Wasserbauwesen ein großes praktisches Material zu Gebot stand, seine Studien. Daneben war E. ein fleißiger Besucher der Kunstschule, wo er nach der Antike und nach dem lebenden Modell zeichnete, als wollte er Maler werden. Im J. 1835 ging er nach Paris und fand dort als Zeichner Eintritt in das Bureau des Architekten Gau aus Köln, des Erbauers der Kirche der h. Clotilde. Er wurde auch mit Hittorf befreundet und machte sich in kurzer Zeit unter den Fachgenossen durch seine elegant gezeichneten und brillant colorirten Ornamente bemerklich. Aber die Eisenbahnbauten, welche damals in der Nähe von Paris gemacht wurden, führten ihn dem Ingenieurfache zu, worin er bald sein wahres Berufsfeld finden sollte. Der Oberingenieur [404] Clapeyron, welcher zu Anfang des J. 1836 die Eisenbahn nach St. Germain auf dem rechten Seineufer begann, zog das Project des jungen Deutschen für die Seinebrücke bei Asnières den übrigen Entwürfen vor und vertraute ihm die Ausführung desselben an. Zugleich in das Cabinet seines Chefs aufgenommen und dadurch in alle Zweige des Eisenbahnbauwesens eingeweiht, machte E. im Winter von 1836–37 auch eine Studienreise nach England, damals der Hochschule der jungen Eisenbahntechnik. Später trat er als Ingenieur I. Classe zum Bau der Versailler Bahn auf dem linken Seineufer über. Um dieselbe Zeit ließ er in Paris in französischer Sprache ein Werk erscheinen: „Notice sur la disposition des grands chantiers de terrassement etc. etc.“, Paris 1839. 8., das in demselben Jahre zu Stuttgart unter dem Titel: „Notizen über die Ausführung von Erdarbeiten in größerem Maßstabe etc.“, Text in 4., Atlas in Fol., deutsch herauskam. E. wurde damals auch ein lebhafter Correspondent der Wiener Bauzeitung, deren Redacteur Förster ihn in Paris kennen gelernt hatte. In die würtembergische Heimath zurückgekehrt, schrieb er eine Schrift über die „Nothwendigkeit und Ausführbarkeit einer Eisenbahn durch Würtemberg“, 1839. Da man aber dort für die Eisenbahnen noch nicht reif war, lehnte er die Einladung zum Eintritt in den würtembergischen Staatsdienst ab und siedelte noch im J. 1839 nach Wien über. Er arbeitete daselbst fleißig an der Bauzeitung mit und führte zuerst in der Verbindung mit Förster, später allein, in Wien (z. B. das Dianabad), Brünn, Vöslau und an andern Orten mehrere Hochbauten aus. Inzwischen machte man in Würtemberg doch Ernst mit den Eisenbahnen. Die Regierung wandte sich unter anderen auch nach Paris um eine Autorität im Eisenbahnbau und bekam von dort den Würtemberger E. in Wien empfohlen. Einunddreißigjährig trat er als Oberbaurath in den würtembergischen Staatsdienst, entwarf ein Eisenbahnnetz für dieses Land, vertheidigte die auf seine Vorschläge gegründeten Anträge als Regierungscommissär in der Ständekammer und übernahm nach Annahme derselben die Leitung der Linie Plochingen-Stuttgart-Heilbronn. Vom J. 1844 an redigirte er mit dem jetzigen würtembergischen Eisenbahndirector Ludwig Klein die Eisenbahnzeitung, für welche er in den ersten Jahren selbst sehr viel schrieb. Die Baustockung des J. 1848 führte ihn wieder nach Wien, von wo er aber bald zur Ausführung der Linie Bietigheim-Bruchsal (mit dem großartigen Enz-Viaducte bei ersterem Städtchen) nach Würtemberg zurückkehrte. Die gelungene Vollendung der vorerst nicht weiter geführten würtembergischen Staatsbahn, worunter namentlich auch der von ihm projectirte Albübergang bei Geißlingen gehörte, verschaffte ihm im J. 1852 einen Ruf nach Basel als Oberingenieur der schweizerischen Centralbahn; gleichzeitig wurde ihm die Oberleitung des Bahnbaus in St. Gallen von der Gesellschaft der vereinigten Schweizerbahnen übertragen. Die Schweiz, das Gebirgsland, das war der rechte und darum auch der willkommene Schauplatz für das Genie des Mannes, der seine Hauptstärke hatte „in der Wahl der Tracen, im Vermeiden kostspieliger Kunstbauten und in der Anwendung der einfachsten Constructionssysteme für letztere, wo sie unvermeidlich waren“. Neben den großen Aufgaben dieser Stellung lieferte E., dem eine riesige Arbeitskraft zu Gebote stand, in jener Zeit noch mancherlei Gutachten für Regierungen und Private, entwarf und baute die neue Bank in Basel, einen Quaderbau in reichem Renaissancestil, dessen Einrichtung als überaus praktisch gerühmt wird. Als er mit der Centralbahn so weit fertig war, daß sie sein Landsmann und Untergebener bei den würtembergischen Bahnen, Pressel, vollends zu Ende führen konnte, folgte E., jetzt schon zu den Koryphäen des europäischen Eisenbahnbaues gezählt, einer Einladung nach Wien als Director der neugebildeten Kaiser-Franz-Josef-Orientbahngesellschaft. Er nahm dahin aus der Schweiz einen Stab von trefflich eingeschulten [405] Ingenieuren, worunter viele würtembergische Landsleute, mit. Seine weitgreifenden Verdienste um das österreichische Bahnnetz schildert der treffliche Nekrolog in der Wiener Zeitung, dem auch sonst hier vielfach zu folgen war, mit den Worten: Die Hauptlinie dieser Gesellschaft, Ofen-Pragerbahnhof, war noch nicht vollendet, als die Fusion der Orientbahn mit der neugebildeten Südbahngesellschaft eintrat. E. übernahm als Baudirector der neuen Gesellschaft die Leitung des Baudienstes in dem nichtitalienischen Theile des großen gesellschaftlichen Netzes. Unter seiner Leitung und nach seinen Planen wurden theils neu gebaut, theils vollendet: die Linien Ofen-Pragerbahnhof, die Linien Alba-Uj-Szöny, die Linien Steinbrück-Sisseg und Agram-Karlstadt, die Linien Marburg-Villach, die Linien Oedenburg-Kanisza. E. leitete auch den Umbau der Stationen und der meisten Brücken auf der Linie Wien-Triest. Noch harrte seiner das größte Werk seines Lebens: die Brennerbahn, die erste Ueberschreitung der Centralalpen mit der Locomotive. Und wieder zeigte er jenen genialen Blick im Traciren, welcher, wie scherzhaft behauptet wurde, den Meister dieser Bahn in dem am größten erscheinen läßt, was er nicht gebaut hat. Aber kaum hatte er das Detailproject fertig gestellt und den Bau eingeleitet, als den Mann, dessen Nerven von Stahl zu sein schienen, im November des J. 1864 ein schwerer Schlaganfall traf. Seine Brennerbahn dem früheren Nachfolger in der Schweiz, Pressel, überlassend, wollte er Heilung in den Bädern seiner Heimath und dann ein ruhiges Alter in seiner neugebauten Villa an den Stuttgarter Rebhügeln suchen. Aber der Abschied von Wien und seiner unvollendeten Lieblingsschöpfung erschütterte ihn so sehr, daß ein neuer Anfall unterwegs zwischen Wien und Stuttgart ihn der Gefahr enthob, bei seinem rastlosen Geiste unter einer unfreiwilligen Muße doch einmal bitter zu leiden. Aus Urgebirgsblöcken von der Brennerbahn wurde über seinem Grabe auf dem Hoppelaufriedhofe zu Stuttgart ein edelgeformtes Denkmal errichtet, in welches ein Marmorrelief mit seiner Büste eingelassen ist.

E., dessen äußere Persönlichkeit ebenso gewaltig imponirte, wie sein überlegener Geist, hatte nicht blos als Techniker, sondern auch als Organisator und Administrator Wenige seinesgleichen. Er zeigte in der Art, wie er selbst bedeutende Männer unter seinen Mitarbeitern und Untergebenen zu williger Unterordnung gewöhnte und meist auch dauernd in warmer persönlicher Ergebenheit an sich fesselte, etwas von einem geborenen Herrscher oder Feldherrn an sich. Mit genialen Naturen dieser Art hatte er auch das gemein, daß er, im Dienste trocken und schweigsam, im Kreise seiner Familie und Freunde sich als ein heiterer Gesellschafter und feiner Kenner der Litteratur und Kunst, insbesondere der Musik zeigte. Von seinen schriftstellerischen Leistungen sind außer den schon genannten Arbeiten und vielen Gelegenheitsschriften, wie Gutachten u. dgl., vornehmlich seine für die Entwicklung des Eisenbahnbauwesens höchst fruchtbaren Rechenschaftsberichte über seine schweizerischen und österreichischen Schöpfungen zu erwähnen, die Werke: „Ueber die Brücken und Thalübergänge schweizerischer Eisenbahnen“, 1856–59, gr. Fol., und „Oesterreichische Eisenbahnen, entworfen und ausgeführt in den J. 1857 und 1867“, Bd. I-VI, 1864–67, gr. Fol.

(Weber’s) Illustrirte Zeitung Bd. XXX. S. 199. Ueber Land und Meer, herausg. v. Hackländer, Bd. XIV. S. 549 ff. (wo auch sein Bildniß) und besonders Wiener Zeitung, 1865, S. 522 (auch abgedr. Schwäb. Chronik, 1865, S. 1389 ff.).