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Artikel „Ebrard, Johannes Heinrich August“ von Ernst Friedrich Karl Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 248–250, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ebrard,_August&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 04:14 Uhr UTC)
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Ebrard: Johannes Heinrich August E., reformirter Theologe und belletristischer Schriftsteller, wurde am 18. Januar 1818 zu Erlangen als Sohn des französisch-reformirten Pfarrers und Consistorialraths François Elie Ebrard in demselben Pfarrhause geboren, in welchem er siebzig Jahre später aus dem Leben scheiden sollte. Die Jugendentwicklung des später viel umgetriebenen Mannes verlief ruhig und ohne Umwege. Frühe erscheint die Grundrichtung seines Lebens festgelegt; ebenso früh offenbart sich die beispiellose Lebendigkeit seines Geistes. Als E., nachdem er 1835–39 in Erlangen und Berlin studirt, sich 1842 zu Erlangen zunächst in der philosophischen und alsbald in der theologischen Facultät habilitirte, war er eigentlich bereits ein fertiger Mann. Die positiv-christliche, kirchlich-reformirte theologische Stellung, welche sein stark entwickelter Familiensinn schon ererbt haben mochte, wurde durch den Pfarrer und Professor Krafft, von welchem ein reicher Segen auf die gesammte evangelische Kirche Baierns ausgegangen ist, vertieft und gefestigt. Ebrard’s für jegliche Wahrheit und Schönheit geöffneter Geist hatte von diesem festen Standpunkte aus, der ihm ein Zeit und Kraft verzehrendes Ringen um die Weltanschauung ersparte, nicht bloß ein reiches Wissen in allen theologischen Fächern erworben, er hatte sich auch mit den Elementen aller Geistes- und Naturwissenschaften vertraut gemacht, sich in allerlei Künsten geübt, sich in Sprache und Litteratur verschiedener Länder vertieft. Es wird in der Zeit der Arbeitstheilung und der unübersehbaren Ausdehnung aller Wissenschaften nicht leicht einen Mann geben, welcher E. an umfassendem Wissen und an Vielseitigkeit der Interessen erreichte. Und das alles war nicht ein totes Capital brach liegender Gelehrsamkeit, es stand vielmehr seinem geistreichen und schlagfertigen Besitzer stets zur Verfügung. Dabei war E. nichts weniger als ein Stubengelehrter: die Frische seines Studentenlebens in der 1836 von ihm mitgegründeten christlichen Verbindung „Uttenruthia“, die Lust am Reisen und Wandern, der offene Sinn für Freundschaft haben ihn bis ins Greisenalter nicht verlassen. Es ist ebenso begreiflich, daß ein solcher [249] Mann auf dem Katheder die Studenten kräftig anzog, wie daß er eine Beschränkung auf ein bestimmtes Gebiet seiner Wissenschaft nicht zu ertragen vermochte. Hielt er sich auch zunächst überwiegend an Exegese, so beschäftigte ihn doch von Anfang an das alte und neue Testament, und im Laufe der Zeit hat er alle Abtheilungen der Theologie irgendwie in den Bereich seiner Vorlesungen gezogen, ja mit alleiniger Ausnahme der alttestamentlichen Fächer so gut wie vollständig behandelt.

Noch in Erlangen hat der junge Gelehrte sein umfangreiches Werk wider die Strauß’sche Evangelienkritik ausgearbeitet, in welchem sich der biblische Glaube mit der Energie der Jugend zu einer ungemein temperamentvollen Abwehr vereinigt: „Wissenschaftliche Kritik der evangelischen Geschichte“ (Frankfurt 1842, 3. Aufl. 1868). Das Buch trug seinem Verfasser 1844 einen Ruf als außerordentlicher Professor nach Zürich ein und stellte ihn daselbst auf den Posten eines Vorkämpfers für das positive Christenthum. Er gab zusammen mit J. P. Lange eine Zeitschrift „Die Zukunft der Kirche“ heraus und nahm lebhaften Antheil an den kirchlichen Bewegungen. Der Lehrer und Schriftsteller begab sich jetzt überwiegend auf das systematische Gebiet. Aus der Züricher Zeit stammt das auf umfassenden geschichtlichen Studien ruhende Werk: „Das Dogma vom heiligen Abendmahl und seine Geschichte“ (2 Bände, Frankfurt 1845 f.). Allerlei Unerquicklichkeiten ließen jedoch E. gern nach Erlangen als seiner und der Heimath seiner Frau Luise geb. v. Löwenich zurückkehren, wo er als Nachfolger Krafft’s 1847 die jetzt zu einem Ordinariat erhobene Professur für reformirte Theologie übernahm. Es folgten die wohl fruchtbarsten Jahre seines Lebens. Es ist kaum zu fassen, wie der unermüdliche Mann neben seinen Vorlesungen und der litterarischen Arbeit an mehreren neutestamentlichen Commentaren wie an seiner zweibändigen „Dogmatik“ (Königsberg 1851 f., 2. Aufl. 1862 f.) und an der von ihm begründeten und 1851–53 redigirten „Reformirten Kirchenzeitung“ Zeit fand zur lebhaftesten thätigen Theilnahme an politischen und kirchlichen Bewegungen, zum Mitbetriebe von localen Aufgaben der Armenpflege, zu weiten Reisen u. s. w. Gegen seinen Wunsch wurde E., dessen energische Lebhaftigkeit manchen Collegen unbequem geworden war, aus dieser reichen Thätigkeit gerissen: unvermuthet traf ihn im März 1853 die Ernennung zum Consistorialrath in Speyer. Hier wurde er mit seinen umfangreichen Kenntnissen und seiner beweglichen Thatkraft alsbald die Seele des Consistoriums. E. begnügte sich weder mit der herkömmlichen Leitung des kirchlichen Betriebes, noch mit der einfachen Besserung offensichtlicher Schäden: er gedachte in jeder Hinsicht, in Bezug auf die presbyteriale und synodale Verfassung, auf Bekenntniß- und Lehrordnung, auf Katechismus und Gesangbuch in der pfälzischen unirten Kirche ein ihm theoretisch feststehendes Ideal zu verwirklichen. Verzehrende Kämpfe konnten infolge dieser nicht immer an den historischen Bestand mit hinlänglicher Vorsicht anknüpfenden Bestrebungen nicht ausbleiben. Der an sich durchaus berechtigte Versuch, das eingebürgerte rationalistische Gesangbuch durch eine Arbeit wahrhaft evangelischen Geistes zu ersetzen, scheiterte an der „liberalen“ Gegenagitation, welcher der Mangel an persönlicher und fachlicher Mäßigung im Vorgehen des Consistoriums manchen erwünschten Anlaß bot. E., zuletzt auch von Ministerium und Regierung in Stich gelassen, mußte dem Ansturm weichen, erbat und erhielt im April 1861 seine Quiescirung. Von allen unter seinem Einfluß geschaffenen Ordnungen behauptete nur die Anerkennung der Augustana variata als Unionsbekenntniß ihre Gültigkeit.

In der Fülle der Manneskraft emeritirt zog sich E. nach seinem geliebten Erlangen zurück, in der Hoffnung, seine akademischen Vorlesungen wieder aufnehmen [250] zu können. Doch gelang dies auf Grund der 1842 erworbenen venia legendi erst nach Ueberwindung großer Schwierigkeiten. In den Jahren 1863 bis 1887 hat E., nicht als Inhaber seiner früheren, durch J. J. Herzog und später durch Fr. Sieffert besetzten Professur, sondern in einer Art von Privatdocentenstellung wieder Vorlesungen über fast alle theologischen Disciplinen gehalten. Mit besonderem Eifer pflegte er seine litterarischen Arbeiten. In diesen Jahren entstand u. a. sein vierbändiges „Handbuch der christlichen Kirchen- und Dogmengeschichte“ (Erlangen 1865 f.) und seine zweibändige „Apologetik“ (Gütersloh 1874 f., 2. Aufl. 1878 ff.). Hervorragend fruchtbar wurde jetzt die schon früher begonnene poetische und belletristische Production, deren Ergebnisse unter den Pseudonymen Gottfried Flammberg, Christian Deutsch und Sigmund Sturm vorliegen. Im J. 1875 übernahm E. das Pfarramt an der kleinen französisch-reformirten Gemeinde zu Erlangen, welches er bis zu seinem am 23. Juli 1888 erfolgenden Tode mit hingebender Treue geführt hat.

Eine ausführlichere Biographie mit vollständigem Schriftenverzeichniß gab der Unterzeichnete in der 3. Aufl. der Realencyklopädie für protest. Theologie und Kirche, Bd. V, S. 130 ff.