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Artikel „Charpentier, Johann von“ von Wilhelm von Gümbel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 107–108, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Charpentier,_Johann_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 23:41 Uhr UTC)
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Charpentier: Johann v. Ch., geb. 7. Dec. 1786 zu Freiberg, † 12. Sept. 1855 zu Bex im Canton Waadt. Sohn des berühmten sächsischen Berghauptmanns Joh. Friedr. Wilh. Ch. (s. o.), empfing er schon als Knabe durch den in seiner Vaterstadt Freiberg blühenden Bergbau und Hüttenbetrieb so mächtige Eindrücke, daß diese für seine Lebensrichtung entscheidend waren. Nach Beendigung seiner Vorbildung in Freiberg und auf dem Gymnasium zu Schulpforta bezog Ch. die Freiberger Bergakademie, wo er mit Vorliebe sich dem Studium der Physik und Mechanik zuwandte. Mit seinem älteren Bruder Toussaint, dem später gleichfalls berühmten Berghauptmann in Schlesien, begann er seine bergmännische Laufbahn auf den preußischen Bergwerken in Schlesien. Für die Befriedigung eines kaum zu beherrschenden Dranges zu Reisen bot sich ihm bald eine passende Gelegenheit durch einen Antrag zur Uebernahme der Einrichtungen von Eisenwerken in den Pyrenäen. Kaum 20 Jahre alt, folgte er diesem Rufe nach Frankreich und kehrte von da nicht mehr zu seinem deutschen Vaterlande zurück; daher denn seine sämmtlichen wissenschaftlichen Arbeiten beinahe ausnahmslos in französischer Sprache verfaßt sind. In seiner neuen Stellung erwarb Ch. sich durch seine Kenntnisse, durch seine unermüdliche Thätigkeit sowol, wie durch seine persönliche Liebenswürdigkeit in hohem Grade Achtung. Während eines ersten fünfjährigen Aufenthaltes in den Pyrenäen sammelte er das Material zu seinem erst später erschienenen größeren Werke, publicirte damals aber nur kleinere Aufsätze wie: „Mém. sur la nature et le gisem. du Pyroxène en roches-Lherzolith“, Paris 1812, worin er den jetzt so berühmt gewordenen Olivinfels vortrefflich schilderte, dann: „Observ. s. l. terr. granitique des Pyrénées“ (Journ. d. mines 1813). Ein längerer Aufenthalt in Paris (seit 1811) brachte ihn in die Kreise der ersten Geologen der Weltstadt. Doch folgte Ch. schon 1813 einem Antrag zur Uebernahme der Leitung der Salzwerke von Bex in der Schweiz, welchen er als Director während 42 Jahren bis zu seinem Tode mit dem besten Erfolge vorstand. In Bex beschäftigte Ch. sich zunächst mit der Hebung der dortigen Salzwerke, welche bis dahin nur Soole zur Herstellung von Kochsalz benützt hatten, durch Aufsuchen von Steinsalz und berichtete über die hierbei sich ergebenden wissenschaftlich wichtigen Verhältnisse in den Abhandlungen „Sur la nat. et le gisement du Gypse de Bex“ (Annal. d. min. 1820) und „Sur la découverte d’une masse d’anhydrite salée à Bex“ (das. Jahrg. XXV.), weiter: „Sur la posit. géogn. d. terr. salifère de Wimpfen“ (Annal. d. min. 1823). Auch betheiligte er sich mit Escher v. d. Linth an den Arbeiten zur Abwendung der drohenden Verheerungen des Getrozgletschers und des Gebirgsflusses Gryonne (Bericht mit Escher und Trechsel 1821), sowie an den Vorkehrungen zur Eindämmung der Rhone und für die Urbarmachung der angeschlossenen Niederung.

Nach wiederholten Besuchen der Pyrenäen kam er endlich 1823 zur Veröffentlichung seines bedeutendsten Werkes: „Essai sur l. constitut. géol. d. Pyrénées“, ein mustergültiges Werk in Bezug auf Schärfe und Treue der Beobachtung, sowie Klarheit der Darstellung, welches, wie Sauffure’s berühmtes Werk für die Alpen, für die Pyrenäen selbst jetzt noch, nachdem die geognostische Wissenschaft so großartige Fortschritte gemacht hat, als der Ausgangspunkt für alle weiteren Arbeiten über dieses Gebirge zu gelten hat. In Frankreich wurde es von dem Institut royal des Preises würdig erklärt. Etwas später fällt seine Entdeckung des Jodgehaltes des Salzes von Bex („Découv. de l’Jode dans la [108] sal. d. Bex“ (Annal. d. min 1825) und das Auffinden einer warmen Quelle im Flußbette der Rhone, welches dem jetzt so berühmten Bade Lavey das Dasein gab („Sur l. nouv. Source thermale de Lavey“ 1832 und „Essai d’une explic. d. phén. que présente la source therm. d. Lavey“ 1853 (Mittheil. d. naturf. Gesellschaft). Um diese Zeit verheirathete Ch. sich mit Fr. v. Gablenz aus Dresden, die ihm aber nach drei Jahren wieder durch den Tod entrissen wurde; doch hinterließ sie ihm als treue Pflegerin seines Alters eine Tochter.

Mächtig wurde Ch. durch die unter seiner lebhaftesten Betheiligung rasch Wurzel schlagende Gletscherhypothese erregt, an deren Ausbildung er sich so erfolgreich betheiligte, daß sein Name für alle Zeiten mit dieser bestbegründeten geologischen Theorie verknüpft bleiben wird. Hierher gehören die Schriften:„Sur la cause probable d. transport d. bloc errat. d. l. Suisse“ 1835 und „Essai sur l. glaciers d. bass. d. Rhone“ 1841, in welch’ letzterem er ein Fundamentalwerk über Gletschererscheinungen schuf und darin in höchst lichtvoller und geistreicher Weise die damals neue Lehre überzeugend begründete. Ch. war aber nicht blos Geolog und Salinist, sondern ein Naturforscher von allgemeinem und umfassendem Wissen; seine Leistungen in den Gebieten der Botanik, Conchyliologie und Entomologie, namentlich in Bezug auf die Gegend seines Wohnortes, sind von hervorragender Bedeutung; seine Sammlungen, von denen er einen großen Theil dem Museum in Lausanne hinterließ, enthalten höchst wichtige Beiträge zur Flora und Fauna der Schweiz. In einem sorgfältig ausgearbeiteten Katalog der in der Schweiz vorkommenden Mollusken (Act. d. schweiz. naturf. Gesellsch.) theilte er auch höchst interessante Beobachtungen über die Verbreitung der verschiedenen Arten und ihre Abänderungen in Beziehung auf die natürlichen Bedingungen, unter welchen sie vorkommen, mit. An seine letzte Publication von ganz allgemeinem Interesse: „Ueber das Sehen der Sterne aus tiefen Schächten“ (Mitth. d. naturf. Gesellsch. 1857) sollte sich eine Vervollständigung seines Mollusken-Katalogs anreihen, bei dieser Arbeit ereilte ihn der Tod.

Obwol Ch. seine Publicationen fast ausschließlich in französischer Sprache verfaßte, gehörte er nicht blos nach Geburt, sondern nach seinem ganzen Wesen der deutschen Nation an, so daß Wolf in seiner Biographie ihn selbst nicht unter die Schweizer zählen zu dürfen glaubte, weil nach eingezogenen Nachrichten Ch. selbst in Lausanne erklärte, er habe sich nie in der Schweiz eingebürgert. Auch sagt Ch. selbst (Préface p. XI. in Essai sur l. cons. géogn. d. Pyr.), daß die französische Sprache nicht seine Muttersprache sei. Ch. war Mitglied vieler gelehrter Gesellschaften und Akademien. Anspruchslos und liebenswürdig im Umgange war Ch. geehrt und geliebt von Allen, die ihn näher kannten. Der Canton Waadt, dem er seine besten Dienste geleistet hat, widmete seinem Andenken in sinniger Weise einen erratischen Block, auf dem der Name des großen Gelehrten eingegraben ist. (Vergl. Wolf, Biogr. d. Schweiz.)