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Artikel „Cabisius, Julius“ von Karl von Stockmayer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 420–422, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Cabisius,_Julius&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 14:19 Uhr UTC)
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Cabisius: Julius C., geboren am 15. October 1841, † am 3. April 1898. Ein um das Musikleben seiner zweiten Heimathsstadt Stuttgart hochverdienter Künstler und zu den hervorragenden Meistern des Violoncellspiels zu zählen. Sein Leben verlief den äußeren Umständen nach durchaus einfach. Geboren in Halle a. S. empfing er dort den ersten musikalischen Unterricht von seinem Vater, der ebenfalls ein tüchtiger Cellospieler war. Mit 14 Jahren kam er an das Prager Conservatorium als Schüler von Julius Goltermann[WS 1], der ihn nebst David Popper zu seinen begabtesten Schülern zählte. Zu den hoffnungsvollsten Zöglingen des berühmten Prager Conservatoriums gehörte ferner noch damals der hernach als Mitglied des Joachim’schen Quartetts berühmt gewordene Geiger Emanuel Wirth. Gleich Popper fand C. seine erste Anstellung in der vortrefflichen Capelle des Fürsten Friedrich Wilhelm Konstantin von Hohenzollern-Hechingen zu Löwenberg in Schlesien, wohin ihn der fürstliche Capellmeister Max Seifriz, sein späterer College in Stuttgart, berief. Im J. 1864 gehörte er für kurze Zeit der Hofcapelle in Meiningen an, aber schon am 1. September 1865 folgte er einem Ruf an die Hofcapelle in Stuttgart. Dieselbe wies damals vortreffliche Violoncellisten auf. Cabisius’ früherer Lehrer Goltermann war dort seit drei Jahren als Concertmeister thätig; neben ihm wirkte Kammervirtuos Th. Krumbholz. Nach Goltermann’s Rücktritt im J. 1870 rückte Krumbholz an die erste Stelle vor und nach dessen Tod im J. 1878 C., dem 1876 der Titel eines Kammermusikers verliehen worden war. Von dieser Zeit an taucht der Name C. in ungezählten Concerten auf. Leider stellte sich schon in den ersten Jahren seiner Stuttgarter Wirksamkeit bei dem sonst durch und durch gesunden Künstler ein Augenleiden ein, das mit den Jahren die Sehkraft in bedenklicher Weise beeinträchtigte. Trefflich kam ihm bei diesem Uebel sein vorzügliches musikalisches Gedächtniß zu statten, das ihm ermöglichte, fast die ganze Concert-Sololitteratur seines Instruments auswendig zu beherrschen. Abgesehen von einzelnen Concerten auswärts, u. a. in Leipzig, Breslau, Bremen gehörte Cabisius’ Wirken ganz der schwäbischen Musikpflege an. Als Solist und in Begleitung eines von ihm gebildeten Streichquartettes war er in verschiedenen württembergischen Städten regelmäßiger Concertgast. Auch bei den Hofconcerten in Stuttgart und in der Sommerresidenz Friedrichshafen fehlte er selten. Bis zu seinem Rücktritt aus der Oeffentlichkeit war er Mitglied der bekannten Solistenvereinigung, die unter Singer’s und Pruckner’s Führung den ganzen Schatz der Kammermusiklitteratur in regelmäßigen Concerten zu Gehör brachte. Singer’s Quartett- und Pruckner’s Trio-Abende sind für das ausgehende 19. Jahrhundert neben den Abonnementsconcerten der Hofcapelle, in denen auch C. [421] häufig als Solist auftrat, die markanteste und vornehmste Erscheinung des Stuttgarter Concertlebens und haben bei der Gediegenheit ihres Programms und bei ihrer die Einheitlichkeit und Durchgeistigung des Zusammenspiels begünstigenden Stabilität eine classisch zu nennende Vollendung in ihren Leistungen erreicht.

Als Lehrer des Violoncellspiels am Stuttgarter Conservatorium genoß C. eine überaus große Beliebtheit. Sein ausgesprochenes Lehrgeschick führte ihm eine große Anzahl von Schülern zu, unter denen sich manche später namhaft gewordene Künstler befanden. Die Art seines Verkehrs mit den von ihm Unterrichteten weckte bei diesen Eifer und tüchtiges Streben in hervorragendem Maaße und machte sie zu anhänglichen und begeisterten jüngeren Freunden ihres Meisters. Im J. 1889 wurden Cabisius’ Leistungen am Conservatorium durch die Verleihung des Professortitels anerkannt. Um diese Zeit nahm das Augenübel eine verhängnißvolle Wendung. Trotz des erwähnten vortrefflichen musikalischen Gedächtnisses wurde dem Künstler bei der immer zunehmenden Sehschwäche die Ausübung seiner Thätigkeit allmählich zur Unmöglichkeit. Ein Jahr nach der 1890 von den Collegen und Verehrern festlich begangenen Feier seiner 25jährigen Thätigkeit an der Stuttgarter Hofcapelle zog sich C. von seinem gesammten Wirken in der Oeffentlichkeit zurück. Im Alter rüstigster Schaffenskraft zur Unthätigkeit verurtheilt lebte er nun zwei Jahre in der Stille der Pflege seiner grausam verkümmerten Künstlerbegabung. Im J. 1893 brachte er einen länger gehegten Wunsch zur Ausführung und zog mit seiner Familie nach Bremen, wo neben anderen Verwandten noch sein hochbetagter Vater lebte. Vor der Abreise zeigte sich der fast erblindete Künstler im Verein mit zwei kunstbegabten Töchtern in einem glänzenden Abschiedsconcert zum letzten Mal vor dem Stuttgarter Publicum und veranlaßte bei seinen zahlreichen Verehrern eine denkwürdige Kundgebung wohlverdienter Achtung und Sympathie. Die letzten Lebensjahre waren für C. eine Kette schwerster körperlicher Leiden, die er mit heroischer Geduld trug. Kaum nach Bremen übergesiedelt machten sich bei ihm die ersten Anzeichen einer bedenklichen Erkrankung des linken Beins geltend. Dies und das alte Augenübel ließen es unabweislich erscheinen, sich in dauernde ärztliche Behandlung zu begeben. In Tübingen hatte der Künstler von früheren Concertreisen her warme Sympathien in den Kreisen der Universitätslehrer zurückgelassen. Dorthin begab er sich nach kaum einjährigem Aufenthalt in Bremen und verbrachte daselbst, umgeben von der treuen Sorge seiner Familie und unter der Pflege befreundeter ärztlicher Autoritäten trotz allen Siechthums eine erträgliche Zeit. Selbst die Vorlesungen einzelner Docenten konnte er noch eine Zeit lang mit Genuß besuchen. Indessen war infolge des Knieleidens eine Amputation des linken Beins zur unabweislichen Nothwendigkeit geworden. C. überstand die Operation verhältnißmäßig gut und selbst das Gehen wurde ihm mit Hülfe eines künstlichen Beins wieder möglich. Im Herbst 1895 siedelte die Familie wieder nach Stuttgart über. Dort verlebte C. noch zwei Jahre in leidlichem Wohlsein und im Genuß eines schönen harmonischen Familienlebens, das durch seine Geduld, seine Zufriedenheit und seinen unvergleichlichen Humor verschönt wurde. Ende 1897 aber verschlimmerte sich sein Zustand so, daß er dauernd ans Bett gefesselt blieb, bis ihn im Frühling 1898 der Tod endlich von seinem langen Leiden erlöste. An seine Gattin und treue Pflegerin schrieb damals David Popper: „Er war vom Schicksal hart angefaßt worden, der liebe, gute Mensch, und als ein Schwergeprüfter ging er durchs Leben. Dürfen wir fragen, warum Alles so kam und nicht, wie ers eigentlich verdient hätte? Nein; nur weinen dürfen [422] wir, seinen Hingang beklagen, trauern darüber, daß einem der Edelsten, dessen Kunst so Vielen glückliche Stunden schuf, das Glück so kärglich zugemessen war. Ein Tröstliches bleibt immerhin für uns, die wir ihn geliebt: der Gedanke, daß er im schweren körperlichen Leiden umgeben war von hingebender Liebe und Treue bis zur letzten Stunde.“

Neue Musikzeitung, 19. Jahrg., 1898, S. 108 f. – Schwäb. Merkur, 4. April 1898, Abendblatt. – (Stuttg.) Neues Tagblatt, 4. April 1898.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Julius Goltermann (1823–1876), Cellist aus Hamburg.