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Artikel „Burmeister, Hermann“ von Friedrich Ratzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 394–396, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Burmeister,_Hermann&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 19:11 Uhr UTC)
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Band 47 (1903), S. 394–396 (Quelle).
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Burmeister: Hermann B., Naturforscher und Reisender, geboren am 15. Januar 1807 zu Stralsund, studirte Medicin und Naturwissenschaften in Greifswald und Halle. 1829 promovirte er in beiden Facultäten. 1830 diente er als Militärarzt sein Freiwilligenjahr ab, gab aber die praktische Medicin auf, als sie ihm nicht zur Erfüllung seines Wunsches verhalf, in holländische Dienste nach Indien zu gehen. Von 1831 an wirkte er als Gymnasiallehrer in Berlin und las seit 1834 zoologische Collegien an der Universität. 1837 wurde er als Professor der Zoologie nach Halle berufen, wo er als Lehrer eine erfolgreiche Thätigkeit entfaltete und als Gelehrter vielseitig thätig war. Es war in diesen hallischen Jahren, daß B. von den vorwiegend entomologischen Arbeiten zu osteologischen und paläontologischen überging und daneben allgemeinere Werke von Bedeutung schuf. 1848 wurde er durch Wahl in Liegnitz Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, wo er auf der äußersten Linken seinen Sitz nahm. 1850 legte er sein Mandat nieder. Nicht bloß die politischen Verhältnisse hatten ihn enttäuscht, auch im Privatleben und in seinem Beruf fand er nicht die volle Zufriedenheit. Auf Empfehlung von A. v. Humboldt erhielt er Urlaub und Staatsunterstützung zu der lang ersehnten Tropenreise. Er reiste 1850 nach den brasilianischen Provinzen Rio de Janeiro und Minas Geraes; leider beeinträchtigte ein Beinbruch, den er im Juni 1851 erlitt, den Erfolg dieser Reise, von der er indessen doch reiche Sammlungen und Aufzeichnungen mitbrachte. Zurückgekehrt fand er sich schwer in seine alte Thätigkeit zu Halle, die er durch zwei Reisen nach Italien unterbrach. 1856 schiffte er sich nach Argentinien ein, auch dieses Mal vom Staate unterstützt und mit einem vierjährigen Urlaub ausgestattet. Er durchwanderte besonders die Pampas von Uruguay und die tropischen Theile des nördlichen Argentinien und beschloß diese Reise mit der damals nicht unschwierigen Ueberschreitung der Anden von Tucuman nach Copiapò. Ueber Panama und Cuba kehrte er 1860 heim. In Halle fand er seine Lehrthätigkeit durch die Befreiung der Mediciner von zoologischen Studien eingeschränkt. Er forderte 1861 seinen Abschied und ging neuerdings nach Argentinien, wo ihm auf sein Gesuch, das der damalige preußische Gesandte v. Gülich unterstützte, die Leitung des jungen naturhistorischen Museums übertragen wurde, das er mit gewaltiger Energie zu einem Museum ersten Ranges umgestaltete und erhob. 1870 wurde er mit der Begründung der aus sieben Professuren zu bildenden naturwissenschaftlichen Facultät der neugegründeten Universität Cordoba beauftragt; es gelang ihm, tüchtige Kräfte dafür, besonders aus Deutschland, zu gewinnen; aber sein Despotismus hat dem jungen Werk unheilbaren Schaden zugefügt; als er zum Director der „Academia de ciencias“ ernannt worden war, schieden bald die besten Kräfte wieder aus. 1892 that der körperlich und geistig Jugendkräftige einen Fall in seinem Museum, an dessen Folgen er am 2. Mai 1892 starb. Sein Begräbniß fand auf Staatskosten statt und der Präsident der Republik folgte dem Sarg.

Aus dem Verzeichniß der Schriften Burmeister’s, das Taschenberg seinem Nekrolog einverleibt hat, ersieht man den außerordentlichen Fleiß, mit dem B. von seiner Doctorschrift „De insectorum systemate naturali“ (Halle 1829) an sich durch eine lange Reihe von Specialarbeiten aus dem Gebiet der Entomologie in die wissenschaftliche Zoologie hineingearbeitet hat. Von den Rhynchoten, Lepidopteren und Orthopteren schritt er weiter zu den Cirripedien [395] u. a. Crustaceen. Dazwischen gab er Nitzsch’s „Pterylographie“ heraus (1840), schrieb über Trilobiten, Pediculiden; seit 1847 begegnen wir Arbeiten über fossile Reptilien und Amphibien und seit seiner brasilianischen Reise zunehmend zahlreicheren Arbeiten über Säugethiere und Vögel. Nur diese behandelt das große Verzeichniß der auf dieser Reise von ihm gesammelten Thiere (1854–56). 1858 begegnen wir seiner ersten geologischen Arbeit „Ueber die Tertiärformation von Paranà“, in demselben Jahr veröffentlichte er Barometerbeobachtungen aus Mendoza, 1859 eine „Physikalische Beschreibung der Gegend von Paranà“, 1861 eine Monographie des Klimas von Argentinien, 1863 „Nachrichten über das Erdbeben von Mendoza“, 1864 beschrieb er Reste von Macrauchenia und Glyptodon, dann folgten mehrere Arbeiten über südatlantische Wale und Robben (1868), die physikalisch-geographische Skizze von Tucuman, 1872 eine Arbeit über alte Indianerschädel, 1875–89 die große „Monographie der fossilen Pferde der argentinischen Pampa“, 1876–86 die vier Bände „Description physique de la République Argentine“, die B. aus seiner Handschrift ins Französische übersetzen ließ. Seine letzte größere Arbeit waren 1891 die „Adiciones al examen critico de los mamiferos fosiles“ in den Annalen seines Museums. Wir haben aus hunderten von Veröffentlichungen nur die hervorgehoben, die den Höhepunkt oder Ausgangspunkt eines der Wege bezeichnen, von denen B. soviele in seiner langen Wirksamkeit beschritten hat. Doch möchten wir noch besonders betonen, mit welcher rührenden Treue B. seine entomologischen Untersuchungen fortsetzte. Noch 1886 brachte die Stettiner Entomologische Zeitschrift seine Revision der Gattung Eurysoma. B. war Zeit seines Lebens bedacht, die Ergebnisse seiner und fremder Arbeiten zusammenzufassen. Schon 1830 schrieb er ein „Handbuch der Naturgeschichte“[WS 1]. 1832 begann er sein großes „Handbuch der Entomologie“, das erst 1855 beendet wurde. 1843 seine „Geschichte der Schöpfung“, die bis 1867 sieben Auflagen erlebte. 1848 gab er mit d’Alton eine Zeitung für Zoologie heraus, die bald wieder einging. 1851 und 1853 erschienen „Geologische Bilder“. In diesen Werken hat B. ein großes Talent zu gemeinverständlicher Darstellung gezeigt. Die Beschreibung seiner Reise in Brasilien durch die Provinzen Rio de Janeiro und Minas Geraes erschien 1853, in demselben Jahr als Atlas die Landschaftlichen Bilder Brasiliens und Porträts einiger Urvölker, 1861 die Reise durch die La Platastaaten, mit besonderer Rücksicht auf die physische Beschaffenheit und den Culturzustand der Argentinischen Republik. Von seiner Uebersiedlung nach Argentinien an widmete sich B. viel zu sehr der Ordnung und Beschreibung der Schätze seines Museums, als daß er für solche allgemeine Arbeiten noch Muße hätte finden können. Doch werden seine gemeinverständlichen Schriften und Aufsätze immer eine ehrenvolle Stelle in einer Litteratur einnehmen, die B. mit A. v. Humboldt und Liebig hat heraufführen helfen. Seine dauernde Stellung in der Wissenschaft hat sich B. zuerst durch seine entomologischen Arbeiten erworben. Seine artbeschreibenden, classificatorischen und faunistischen Leistungen gehören weder der mikroscopischen noch der entwicklungsgeschichtlichen Richtung an und haben doch der Wissenschaft genutzt. Burmeister’s „Handbuch der Entomologie“ ist noch heute geschätzt. Noch größere Anerkennung haben aber wol seine früh begonnenen und in dem herrlichen Material des Museums von Buenos Aires erst recht aufgeblühten paläontologischen Arbeiten gefunden; hier hat B. große Entdeckungen gemacht, gründlich beschrieben und scharfsinnig eingereiht. B. ist in manchen Beziehungen alten Methoden und auch alten Anschauungen treu geblieben; doch hat er jene auf passende Gegenstände angewendet und damit bis zum Ende schöne Ergebnisse gewonnen, wobei es durchaus nicht schadete, [396] daß er nicht in den allgemeinen descendenztheoretischen Chorus einstimmte, oder daß er in seinen allgemeinen Einleitungen in die geographischen Beschreibungen Argentiniens veraltete Ansichten über Gebirgsbildung vortrug. Inmitten der die wissenschaftlichen Persönlichkeiten vernichtenden Einseitigkeit der übertriebenen Arbeitstheilung bleibt B. auch als Vertreter der universellen Tendenzen A. v. Humboldt’s eine erfreuliche Erscheinung. Er war der Letzte aus der wissenschaftlichen Familie, der Pöppig und Martius angehörten, blieb aber nicht stiller Gelehrter wie sie, sondern wurde durch einen energischen Bethätigungstrieb zu rastloser, wechselnder Arbeit getrieben. Er scheute nicht die Oeffentlichkeit. Von seinen Leistungen dachte er selbst nicht gering, wie die eigenhändige Beschreibung der ihm zu seinem 50jähr. Doctorjubiläum erwiesenen Ehren (1880) zeigt. Ein schöner Stahlstich vor der 7. Auflage der „Geschichte der Schöpfung“ zeigt seine scharfen Züge im Mannesalter.

Nekrolog von Taschenberg in der Leopoldina 1893.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: kein schließendes Anführungszeichen